
Markus Theunert
Programmleiter MenCare Schweiz & Gesamtleiter männer.ch
Freiheit.
Ein Sehnsuchts(w)ort für die meisten Männer. Unabhängig sein. Es niemandem Recht machen müssen. Sich mit all seinen Potenzialen verwirklichen.
Die Realität ist deutlich weniger schillernd. Denn Mannsein ist zwangsläufig nicht frei, solange wir nur dann Anerkennung finden als «richtige Männer», wenn wir gesellschaftlichen Männlichkeitsanforderungen genügen. Klar, diese Anforderungen haben sich gewandelt. Männer heute «dürfen», was vor wenigen Jahren noch als «unmännlich» gegolten hätte. Sich gesund ernähren, beispielsweise. Sich in Achtsamkeit üben. Yoga machen. Die Fingernägel lackieren.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn gleichzeitig gelten die alten Männlichkeitsimperative von Härte, Stärke und Leistung in allen Lebensbereichen ungebrochen weiter. Die Einsicht ist unausweichlich:
Männlichkeitsanforderungen haben sich nicht im Kern transformiert. Es ist zum Kanon traditioneller Männlichkeit bloss ein zusätzlicher Katalog progressiver Männlichkeitsgebote – Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Rücksicht etc. – hinzugekommen. Das ist nicht nur verwirrend, sondern schlicht überfordernd. Denn die beiden Profile passen weder praktisch noch energetisch zusammen. Im Versuch, Unvereinbares zu vereinbaren, können wir nur scheitern.
Wo ist der Ausstieg aus dem Hamsterrad? Was wären Perspektiven zeitgemässen Mannseins? Wie könnten wir diese Widersprüche auflösen, statt uns damit zufriedenzugeben, mehr schlecht als recht allen Ansprüchen zu genügen? Auf Basis von 25 Jahren fachlicher Auseinandersetzung mit Männer- und Männlichkeitsfragen komme ich in meinem Buch «Jungs, wir schaffen das» zum Schluss, dass sich Männer drei Kompetenzen zurückerobern sollten: Erstens die Fähigkeit, sich um sich selbst zu kümmern, statt in Momenten der Bedürftigkeit reflexartig auf weibliche Zuwendung zu schielen. Zweitens die Fähigkeit, sich und anderen Grenzen zu setzen. Das umfasst insbesondere die Kompetenz, immer dann selbstkritische Distanz einzunehmen, wenn man(n) meint, Anspruch auf ein grösseres Stück vom Kuchen zu haben. Drittens die Fähigkeit, sich auf Menschen und aufs Leben wirklich einzulassen, das Prinzip Kontrolle durchs Prinzip Vertrauen zu ersetzen.
Wir alle haben im Alter von zwei bis drei Jahren gelernt: Wenn wir in der Gruppe der Jungs Anerkennung finden wollen, dürfen wir manche Dinge – beispielsweise Angst, Scham und Hilflosigkeit – nicht zeigen. Viele haben sich in der Kunst der Verdrängung so gut geübt, dass sie diese Gefühle überhaupt nicht mehr empfinden. Das ist nicht sehr weitsichtig. Denn Gefühle sind Informationsquellen. Ärger signalisiert Grenzverletzungen. Angst informiert über Gefahren. Trauer erinnert daran, was wirklich wichtig ist. Diesen Informationsreichtum von Gefühlen nicht zu nutzen, «nur» um eine Fassade männlicher Souveränität aufrechtzuerhalten, ist weder vernünftig noch gesund. Was hindert uns daran, das Korsett einengender Männlichkeitsnormen aufzuknüpfen?
Freiheit beginnt mit der Offenheit zu fühlen, was du fühlst.
Gesundheit auch.
Text Markus Theunert, Programmleiter MenCare Schweiz & Gesamtleiter männer.ch
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