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Editorial Bildung

Zukunftstauglichkeit üben

18.03.2023
von SMA
Jakub Samochowiec

Dr. Jakub Samochowiec
Senior Researcher GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Was bringt die Zukunft? Bis vor nicht allzu langer Zeit herrschte in den Köpfen vieler, zumindest implizit, ein relativ lineares Zukunftsverständnis – die Zukunft wird wie die Gegenwart, einfach mit etwas wärmeren Sommern, etwas älterer Bevölkerung, etwas schnellerem Internet.

Spätestens seit der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine sollte allen klar sein: Diese Linearität ist nicht gegeben. Wir müssen mit plötzlichen, radikalen Veränderungen rechnen – mit klimatischen Kipppunkten, politischen Umwälzungen oder disruptiven, technologischen Durchbrüchen.

Welche Fähigkeiten muss man aber für eine Zukunft mitbringen, die so unbestimmbar ist? Soll man Kindern und Jugendlichen nun beibringen, Kartoffeln anzupflanzen, damit sie sich dereinst in den Ruinen unserer Zivilisation noch ernähren können oder Poesiekurse anbieten, um Sinnkrisen eines vollautomatisierten Schlaraffenlandes meistern zu können?

Wollen wir Kinder, Lernende oder Mitarbeitende auf die Zukunft vorbereiten, müssen wir ihnen vertrauen und damit überhaupt ermöglichen, sich persönlich weiterzuentwickeln.

Von der Prämisse einer unbestimmbaren, aber womöglich radikal anderen Zukunft ausgehend, wird klar, dass konkrete Wissensinhalte, ob über den Kartoffelkäfer oder Kreuzreime, alleine nicht ausreichen. Da man junge Menschen nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten kann, gilt es, Fähigkeiten zu vermitteln, sich auf sehr unterschiedliche Situationen einzustellen und das dafür notwendige Wissen situativ selbst zu erarbeiten.

Junge Menschen müssen die Fähigkeit entwickeln, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Je fremder die Zukunft, desto weniger können sie sich dabei auf vergangene Erfahrungen und Traditionen, auf unseren Rat, stützen.

Eine solche Selbstbestimmung will gelernt sein. Es bedingt eine Umgebung, in der nicht alles vorgegeben ist, sodass Entscheidungen geübt werden können. Sei das in der Freizeit, in der Kinder und Jugendliche jedoch immer weniger unverplante, frei gestaltbare Zeit haben oder in der Ausbildung, wo Lernende in die Entscheidung eingebunden werden sollten, was sie lernen wollen.

Am Arbeitsplatz können starre Hierarchien Freiräume einschränken. Das verunmöglicht den Mitarbeitenden, sich persönlich weiterzuentwickeln und besser darin zu werden, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Digitale Kontrollmethoden, Algorithmen, welche beispielsweise kontrollieren, ob Menschen im Homeoffice arbeiten, schränken diese Freiräume ebenfalls ein. Sie belohnen das Maximieren von simplen Kennwerten (z.B. die Anzahl Tastaturanschläge), nicht freie, vielleicht kreative Entscheidungen.

Dabei wird gerade im Umgang mit Technologie das kreative Entscheiden, das Fragenstellen, immer wichtiger. Die Software ChatGPT schreibt Texte, Dall-e 2 malt Bilder basierend auf Instruktionen. Die Herausforderung ist nicht mehr das Malen eines Bildes, sondern die Formulierung einer kreativen Instruktion, der richtigen Frage – das Entscheiden also, was die Maschine malen oder schreiben soll.

Um diese Freiräume anzubieten und Menschen damit zukunftstauglicher zu machen, ist das Vertrauen notwendig, dass die Freiheiten nicht ausgenutzt werden. Um das zu erfahren, muss man die Freiräume aber erst mal gewähren. So bestand vor der Pandemie eine grosse Zurückhaltung, das Homeoffice zu ermöglichen – nicht zuletzt aufgrund des Misstrauens, ob zu Hause gearbeitet würde. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass Menschen auch zu Hause arbeiten.

Wollen wir nun Kinder, Lernende oder Mitarbeitende auf die Zukunft vorbereiten, müssen wir ihnen vertrauen und damit überhaupt ermöglichen, sich persönlich weiterzuentwickeln und die notwendige Mündigkeit aufzubauen, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen.

Text Dr. Jakub Samochowiec, Senior Researcher GDI Gottlieb Duttweiler Institute

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