Go for it oder abstinent sein – wie verhält sich die Jugend der Sexualität gegenüber?
Die Sexualität ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens, welches sich im Jugendalter neben dem Körper und der Identität stark entwickelt. Während der Adoleszenz werden viele Jugendliche sexuell aktiv. Studien weisen darauf hin (z. B. in American Psychologist und in Social Science Research), dass es von verschiedenen Faktoren abhängt, wie Jugendliche ihre Sexualität ausleben, wie unter anderem den familiären Verhältnissen, dem Freundeskreis, der Religiosität, der Ausbildung, der sozialen Schicht und verknüpften monetären Verhältnissen.
Studien zufolge beträgt in der Schweiz das Durchschnittsalter beim ersten Geschlechtsverkehr 16 Jahre. Nichtsdestotrotz ist der Eintritt in einem aktiven Sexualleben je nach Person sehr unterschiedlich. Während sich viele Jugendliche entscheiden, sexuelle Erfahrungen im Jugendalter zu sammeln, warten andere auf einen späteren Zeitpunkt.
Im Gespräch gewähren zwei junge Studentinnen einen Einblick in ihre Entscheidung «go for it oder abstinent sein»:
Hast du dich als Jugendliche bereit gefühlt, Geschlechtsverkehr zu haben?
Go For It: Ich glaube, man ist eigentlich nie bereit als Jugendliche:r, denn man macht sich sehr viele Gedanken. Ich war gerade 16 Jahre alt, als ich es zum ersten Mal gemacht habe. Ich falle also gerade in den Durchschnitt. Ich habe mich nicht bereit gefühlt, ich habe es einfach gemacht, als ich die richtige Person gefunden hatte, mit der ich diese Erfahrung teilen konnte.
Abstinent: Nein, ich habe mich in diesem Alter nicht bereit gefühlt. Es ist teilweise aus religiösen, aber auch aus persönlichen Gründen, die in meinem Charakter liegen. Denn ich brauche Zeit, bis ich mich an jemanden gewöhne. Meiner Meinung nach ist Geschlechtsverkehr etwas Persönliches, das einen Wert hat. Deshalb ist es für mich nicht so einfach, mit irgendjemanden oder meiner Jugendliebe zu schlafen.
Meiner Meinung nach ist Geschlechtsverkehr etwas Persönliches, das einen Wert hat.
Bereust du es im Nachhinein, als Jugendliche diese Erfahrung (nicht) gemacht zu haben?
Go For It: Nein. Ich bereue es nicht, weil ich ihn wirklich geliebt habe. Ich bin nicht die Art von Person, die bis zur Ehe gewartet hätte – ich hatte auch keinen Grund dazu. Ich glaube, ich hätte einfach gewartet, bis die richtige Person kommt, bei der ich mich wohlfühle. Und diese Person erschien einfach früher in meinem Leben. Wenn diese Person aber in 20 Jahren gekommen wäre, wäre das auch in Ordnung gewesen. Ich finde, Sex sollte etwas Schönes sein, dass man mit jemanden teilt, zu dem man eine Verbindung hat. Sex sollte ein Paar enger zusammenbringen. Ich finde es aber schön, dass jedes Mal mit einer anderen Person so ist, als wäre man Jungfrau – es ist wieder etwas Neues, etwas anderes.
Abstinent: Nein, ich bereue es nicht. Denn seit ich eine Jugendliche war, hat Geschlechtsverkehr eine grosse Bedeutung. Diese Einstellung habe ich immer noch. Ich finde, man sollte nicht einfach mit jemanden schlafen, um mehr Liebe zu zeigen oder ein bisschen mehr Spass in der Beziehung zu haben. Ich finde, dass die Beziehung in der Ehe viel stärker und intensiver ist als mit einem Freund. Und zu einer starken Liebesbeziehung gehört Geschlechtsverkehr dazu, denn es schliesst die Beziehung mit einem «Final Touch» ab. Das ist dein Lebenspartner, den du dann für immer hast und mit dem du verbunden bist. Ich finde, dass die Sexualität eine Art Verbundenheit symbolisiert. Dies habe ich nicht mit der Jugendliebe, einem Freund oder One-Night-Stand.
Denkst du, dass Jugendliche unter Druck gesetzt werden, Geschlechtsverkehr zu haben? Standest du unter Druck?
Go For It: Ich glaube schon, dass Jugendliche unter Druck gesetzt werden. Es kommt aber mehr auf das Umfeld an. Ich hatte ein gutes Umfeld mit gebildeten Menschen, die keinen spezifischen Wert darauf legten, ob man Geschlechtsverkehr hatte. Es gibt aber Jugendliche, die sich in einem Umfeld mit weniger gebildeten Menschen befinden und eher unter Druck gesetzt werden. Die Erziehung spielt auch eine Rolle, denn die Eltern beeinflussen die Gedanken in eine bestimmte Richtung.
Abstinent: Ehrlich gesagt stand ich nicht unter Druck, weil die meisten meiner Kolleginnen ähnlich wie ich waren. Auch wenn meine Kolleginnen nicht ähnlich wie ich gewesen wären, hätte ich mich nicht unter Druck gesetzt gefühlt, weil ich fest davon überzeugt bin, dass es das Richtige ist, was ich mache. Die Erziehung spielt hier auch eine Rolle. Natürlich denkt man manchmal, man sei ein Outsider und je nachdem wie die Persönlichkeit ist, wird man von anderen beeinflusst. Bei mir war dies aber nicht der Fall.
Was ist deine Meinung zu Abstinenz und Jungfräulichkeit vor der Ehe?
Go For It: Im Alter von 15 Jahren dachte ich, dass ich erst verheiratet Geschlechtsverkehr haben möchte. Meine Mutter hat mir auch öfters gesagt, dass es besser wäre, wenn man lange auf den Geschlechtsverkehr wartet. Aber ich glaube, das hat sie mir nur gesagt, damit ich nicht denke, dass man einfach mit irgendjemanden schlafen sollte. In diesem jungen Alter hatte ich nicht sehr viel Ahnung darüber. Jetzt würde ich jedoch sagen, dass es in Ordnung ist, früh Geschlechtsverkehr zu haben, denn ich finde, es macht die Beziehung besser.
Es ist aber nicht schlimm, wenn man auf den Geschlechtsverkehr wartet und das nicht als Jugendliche:r hat. Man kann auch auf andere Art Verbindungen eingehen. Es ist wirklich wunderschön, wenn sich zwei Personen verbinden und eine gewisse Zeit zusammen sind, bevor sie heiraten und sich auf diesen speziellen Moment freuen. Sie haben in gewisser Weise darauf hingearbeitet. Heutzutage wird öfters gesagt: «Was passiert, wenn der Sex schlecht ist?» Aber ich denke, dass guter Sex beim ersten Mal nur ein Traum ist. Man muss immer daran arbeiten, deshalb spielt es keine Rolle, ob man erst nach der Ehe zum ersten Mal Sex hat. Man kann sich danach immer verbessern.
Abstinent: Ich finde, die Ehe ist der Abschluss von einer sehr tiefgründigen Beziehung. Du hast vielleicht viele Beziehungen in deinem Leben, aber die Ehe ist deine letzte Beziehung, die dann für immer ist – oder sein sollte. Du solltest mit dieser Person aufwachsen, keine Seitensprünge oder andere Liebesbeziehungen haben. Ich finde es nicht schlimm und kann es verstehen, wenn jemand nicht Jungfrau ist oder findet, dass das Leben vor der Ehe dem Partner nichts angeht. Aber für mich persönlich hängt Geschlechtsverkehr mit der Ehe zusammen. Damit einher geht, dass man die Jungfräulichkeit für diesen speziellen Moment aufbewahren sollte.
Denkst du, dass man Abstinenz in der heutigen Gesellschaft normalisieren sollte? Wenn ja, wie?
Go For It: Ja, sicher. Ich finde es sollte normalisiert und akzeptiert werden. Ich finde Abstinenz sollte normal sein, genauso wie Sex zu haben normal ist. Sei es aufgrund der Religion oder des persönlichen Gewissens; jedem das Seine.
Abstinent: Ja, ich finde schon. Denn jeder hat das Gefühl, dass es ein eher altmodischer Gedanke ist, aber das stimmt eigentlich nicht. Ich kenne immer mehr Menschen, welche die gleichen Prinzipien haben wie ich – auch wenn nicht unbedingt in Europa. Ich finde, es kann schon normalisiert werden. Aber auch wenn ist es etwas sehr Persönliches, das niemanden etwas angeht. Es geht nur dich etwas an.
Ich glaube schon, dass Jugendliche unter Druck gesetzt werden. Es kommt aber mehr auf das Umfeld an.
Darum finde ich es auch nicht gezwungenermassen wichtig, dass man es normalisiert. Denn niemand darf sich in deine Sexualität einmischen. Man sollte allen die Freiheit gewährleisten, das zu machen, was sie möchten und niemanden diskriminieren, mobben und ausschliessen, weil man eine andere Denkweise bezüglich der Sexualität hat.
Hast du noch ein Statement für die Jugend der Schweiz?
Go For It: Jede:r sollte den richtigen Moment für Sex selbst finden und nicht auf andere hören. Es kommt auch darauf an, ob man experimentieren oder einen speziellen Moment mit einer wichtigen Person teilen möchte. Zudem ist Sex für die Frau spezieller als für den Mann. Vor Kurzem habe ich in einem Podcast gehört: «Eine Frau öffnet sich für den Mann.» Der Mann dringt in die Frau ein. Das kann man metaphorisch verstehen. Die Frau öffnet sozusagen die Tür für den Mann. Ein wichtiger Punkt wie ich finde.
Abstinent: Ich finde, das ist ein spannendes Thema für weitere Untersuchungen – auch wie verschiedene Generationen darüber denken, der Generationsunterschied. Ich glaube, die junge Generation – auch wenn sie religiös ist – hat andere Gedanken, wenn es um das Thema geht, als beispielsweise unsere Generation und die davor. Für die Generation meiner Eltern war es eine Regel, an der sich alle gehalten haben und nicht hinterfragt wurde. Oder ihr Umfeld, die Gesellschaft, hat sie dahin gesteuert, abstinent zu leben, bis sie das mit der Ehe auflösen konnten. Heute hinterfragt die jüngere Generation dies mehr und macht dies aus Überzeugung und nicht aus Zwang für die Gesellschaft.
Text Marina S. Haq
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