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Nachhaltigkeit Interview

Bertrand Piccard: Ökologie und wirtschaftliche Rentabilität – das eine geht nicht mehr ohne das andere

25.11.2023
von Léa Stocky

«Um alle Menschen aus der Landflucht und alle neuen Bewohner:innen des Planeten in den nächsten 20 Jahren unterzubringen, muss alle vier Monate die Fläche einer Stadt wie Manhattan gebaut werden», sagt Bertrand Piccard.
Die auf Anregung des Forschers und Umweltschützers entstandene und am 20. September in der «Cité des Sciences et de l’industrie» eröffnete Ausstellung «Ville de Demain» zeigt, wie man anders wohnen kann.

Bei einem Spaziergang durch die verschiedenen Räume entdeckte «Fokus» auf spielerische Weise die vorgestellten konkreten Lösungen zur Bewältigung der Klimadringlichkeit. Am Nachmittag konnten wir darüber direkt mit Bertrand Piccard sprechen, den wir in der Lounge eines Pariser Hotels trafen.

Bertrand Piccard

Bertrand Piccard

Bertrand Piccard, was war die verrückteste Sache, die Sie in Ihrem Leben gemacht haben?

Ich würde sagen, dass ich mich jedes Mal verrückt gefühlt habe, wenn mir Fachleute gesagt haben, dass etwas unmöglich ist und ich es trotzdem getan habe. Damit meine ich nicht nur die Weltumrundung in einem Ballon oder Solarflugzeug, sondern auch die Tatsache, dass ich 1000 Lösungen gefunden habe, die sowohl umweltfreundlich als auch wirtschaftlich rentabel sind. Vielleicht ist es das Verrückteste, im Voraus anzukündigen, was man tun wird, auch wenn die Leute nicht daran glauben. Man ist dazu gezwungen, Erfolg zu haben. Im Nachhinein denke ich, dass die Verrückten diejenigen waren, die nicht daran geglaubt haben!

Welche Initiativen führen Sie in Frankreich zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung durch?

Mein Ziel ist es, den Akteur:innen in Industrie, Wirtschaft und Politik ein wünschenswertes Bild der Ökologie zu vermitteln. Ich versuche, mich vom Opfer-Image der Ökologie zu distanzieren, um den Entscheidungsträgern zu zeigen, dass es in ihrem Interesse liegt, zu handeln. Denn unsere Welt zu modernisieren, um sie weniger umweltschädlich und sauberer zu gestalten, ist ein wirtschaftlicher Vorteil und schafft viele neue Arbeitsplätze.

Was ist der Zweck der Ausstellung in der «Cité des Sciences»?

Man kann dort erfahren, wie man Bauen, Wohnen, Energie, Mobilität und Abfall- und Wassermanagement modernisieren kann. Alles, was in der Ausstellung gezeigt wird, wird in einigen Städten verwendet, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Entscheidung getroffen wurde. So sieht man, dass man teilweise dekarbonisierten Zement, Recyclingbeton und Metallklammern ohne schwere und umweltschädliche Stahlarmierungen verwenden kann. Die Wärmepumpen mit geothermischen Brunnen, die den Energieverbrauch um 80 Prozent senken, oder auch Systeme zur Temperaturregelung je nach Anzahl der Personen in einem Gebäude, werden ebenso vorgestellt.

Warum dauert die Implementierung von Lösungen manchmal sehr lange, obwohl ihre Wirksamkeit nachgewiesen wurde?

Es ist immer einfacher, nichts zu tun, als etwas Neues zu tun. Was heute so schlimm ist, ist diese Lähmung angesichts der klimatischen Notlage. Der Mensch ändert nicht gerne seine Gewohnheiten, deshalb muss man ihm Vertrauen in den Wandel geben, indem man attraktive Lösungen und ihren wirtschaftlichen Nutzen aufzeigt. Man schafft nämlich Mehrwert, wenn man in eine effiziente Kreislaufwirtschaft eintritt.

Die Trägheit der Entscheidungsträger entmutigt viele Menschen, die dann aufgeben, weil sie denken, dass man nichts mehr tun kann. Umweltschützer:innen sind schon lange überzeugt, aber um wirklich etwas zu bewegen, müssen wir jetzt auch diejenigen überzeugen, die keine Opfer bringen wollen. Deshalb bemühe ich mich so sehr darum, ihnen das Argument der wirtschaftlichen Rentabilität zu liefern. Da alle vom Klimawandel betroffen sind, können wir das nur erreichen, wenn wir alle zusammenarbeiten und die ideologischen Gräben überwinden.

Wie werden Sie von den Regierungen und den Akteuren des Sektors empfangen?

Ich werde von Regierungen und europäischen Institutionen viel um Hilfe gebeten. Ich reise für die Europäische Kommission in Länder wie Polen, Rumänien oder auch Spanien, um alle Lösungen aufzuzeigen, die es ermöglichen, die nationalen Energie- und Klimapläne ehrgeiziger zu verabschieden. Damit können die europäischen Ziele viel schneller erreicht werden.

Wie können wir die öffentliche Hand für diese Themen mobilisieren?

Wir untersuchen Lösungen, die von alten Gesetzen ausgebremst werden und schlagen Gesetzesänderungen vor, um diese Blockade zu lösen. So haben wir das «Prêt à voter» ins Leben gerufen, eine Sammlung von 50 Empfehlungen, die wir dem französischen Parlament und dem Senat vorgelegt haben. Einige davon wurden in das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien aufgenommen. In der Schweiz machen wir das Gleiche.

Wie würde Ihrer Meinung nach eine ideale, d. h. moderne und gegenwartsorientierte Gesellschaft aussehen?

Es wäre eine effiziente Gesellschaft, in der man mit weniger Verbrauch mehr erreichen würde: kohlenstofffreies Bauen und Wohnen, Elektromobilität, die es ermöglicht, die Batterien zu Spitzenzeiten über das Netz zu entladen, Abfall, der zirkulär wiederverwendet wird und die Vermeidung der Verschwendung von Energie und natürlichen Ressourcen. Diese «qualitative Wirtschaft» würde eine bessere Lebensqualität und eine höhere Kaufkraft bewirken.

Welchen Weg müssen wir noch gehen, um zu dieser neu gestalteten Gesellschaft und Wirtschaft zu gelangen?

Wir stehen noch ganz am Anfang. Den Medien muss bewusst gemacht werden, dass sie über diese Themen kommunizieren können. Die Politik muss auch die Gesetzgebung ändern, um diese Lösungen zu ermöglichen. Es muss so schnell wie möglich gehen, denn wenn wir zu lange warten, verschlimmern wir die kommende Katastrophe. Die Kluft zwischen dem, was wir tun, und dem, was wir tun sollten, wird jeden Tag grösser.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz erhöht die Synergie der verschiedenen Elemente. Sie ermöglicht die Schaffung von Ökosystemen und Netzwerken, was von grundlegender Bedeutung ist. Wenn eine Person in Echtzeit Einblick in ihren Energieverbrauch hat, wird sie im Durchschnitt etwa 20 Prozent Energie einsparen. Wenn man Angebot und Nachfrage mit erneuerbaren, aber intermittierenden Energiequellen ausgleicht und jedem genau die Menge an Energie gibt, die er benötigt, kann man Verschwendung vermeiden. Ohne künstliche Intelligenz ist das nicht möglich. Die Verantwortung für ihren Einsatz bleibt jedoch in den Händen der Menschen. Die Technologie kann die Welt zerstören, wenn sie falsch eingesetzt wird, oder sie retten, wenn sie richtig eingesetzt wird.

Haben Sie neue Pläne?

Ich plane zwei Nonstop-Weltumrundungen, eine mit einem Wasserstoffflugzeug und eine mit einem solarbetriebenen Luftschiff.

Macht Ihnen das keine Angst?

Was mir Angst macht, ist die derzeitige Umweltsituation. Alles, was wir tun können, um sie zu verbessern, beruhigt mich. Ich denke, ein aufregendes Bild der Energiewende zu vermitteln, indem man zeigt, was alles möglich ist, kann dazu beitragen, die Denkweise der Menschen zu ändern.

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