«Für mich war es nie schwierig, ohne Alkohol zu leben»
Der warme Buzz nach drei Wodkashots; die am Tag danach in Vergessenheit geratenen Gespräche mit Wildfremden; die betrunkenen Versuche, um vier Uhr morgens die Haustreppe hinaufzustolpern; die pochenden Kopfschmerzen am nächsten Morgen – das alles hat Andrea Monica Hug noch nie erlebt. Und zugegeben, ihr fehlt auch nichts davon. Die selbstständige Fotografin und Content Creator aus Zürich spricht über den sozialen Druck rund um den Alkohol und weshalb sie trotz ihrer Abstinenz Spass am Ausgehen hat.
Andrea Monica Hug, wann sind Sie erstmals mit Alkohol in Berührung gekommen?
Alkohol habe ich zum ersten Mal als Kind am Tisch meiner Eltern gesehen. Ich lernte, dass zu einem guten Essen auch ein gutes Glas Wein gehört und dass Männer nach dem Essen Schnaps trinken. Das war für mich alles, was ich kannte. Bis ich dann ins Gymnnasium kam und meine Freund:innen als Teenager heimlich begannen, regelmässig Alkohol zu trinken.
Wann und weshalb entschieden Sie sich dazu, nüchtern zu bleiben?
Als Teenager wollte ich zwar unbedingt cool sein, doch die montags erzählten Trinkgeschichten, die Blackouts meiner Mitschülerinnen und der Geruch und Geschmack des Alkohols schreckten mich ab. Jegliche Versuche, einen Drink auch nur zu probieren, endeten damit, dass ich das Zeug ausspucken musste. Es war aussichtslos. Ich fand mich damit ab, nicht cool zu sein und mich zu den «uncoolen Aussenseitern» zu gruppieren. Das war mir recht, da wir deshalb auch weniger Ärger mit den Lehrer:innen hatten.
Haben Sie sich aufgrund Ihrer Abstinenz jemals «ausgeschlossen» gefühlt?
Als Jugendliche vielleicht schon, aber damals habe ich einfach mein Umfeld verändert. Für mich war es nie schwierig, ohne Alkohol zu leben. Ich fühlte mich weder verzweifelt noch ausgeschlossen: Bei Partys war ich immer dabei, fiel als Nüchterne aber nie auf und tanzte oder feierte einfach mit den anderen, die tranken.
Welche Vorteile erfahren Sie aus Ihrer Abstinenz?
Ich empfinde es im Ausgang immer als angenehm, bei vollem Bewusstsein zu sein. Sowohl in meiner Entscheidungsfreiheit, mit wem ich mich unterhalten will, als auch darin, den betrunkenen Menschen um mich herum Grenzen setzen zu können. Ich will ja nur tanzen, habe die ganze Nacht Energie und kann am nächsten Tag trotzdem noch etwas unternehmen. Ich sehe nur Vorteile, kenne es aber auch nicht anders.
Wie reagiert Ihr Umfeld, wenn Sie diesem mitteilen, dass Sie keinen Alkohol konsumieren?
Mein Umfeld kennt mich und reagiert ganz normal. Manchmal werden mir extra alkoholfreie Getränke angeboten, was absolut nicht nötig wäre. Oft reagieren Menschen positiv und bewundern mich, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann. Ich habe ja nichts geleistet, ausser vielleicht dem sozialen Druck standzuhalten. Vielmehr bewundere ich alkoholkranke Menschen, die nun nüchtern leben müssen. Für sie ist es schwierig – für mich nicht.
Hat jemand schon mal auf unangenehme Weise auf Ihre Abstinenz reagiert?
Einmal wurde ich fast aus einem New Yorker It-Club rausgeschmissen, weil ich kein alkoholisches Getränk bestellen wollte. Ich griff zur Notlüge, dass ich schwanger sei, um das Gespräch möglichst schnell zu beenden.
Kommt es oft vor, dass Ihre Mitmenschen Sie davon überzeugen wollen, ein Gläschen zu trinken?
Ja, das passiert.
Und wie reagieren Sie darauf?
Ich antworte dann dankend und bestimmt mit einem «nein». Falls das nichts nützt, sage ich, dass ich arbeiten oder autofahren muss. Wenn das immer noch nicht hilft, bin ich halt «schwanger».
Welche Alternativen zu Alkohol haben Sie für sich entdeckt?
An der Bar trinke ich gerne Wasser, einen Tee oder einen Espresso. An Silvester stosse ich auch mal mit einem Rimuss oder Tröpfel an. Das muss aber nicht sein.
Was halten Sie davon, dass Alkohol in unserer Gesellschaft als eine Art «Alltagsdroge» gilt?
Ich befürworte es nicht. Alkohol kann schnell sehr gefährlich werden. Als Genussmittel finde ich es absolut legitim, aber es kann auch abhängig machen und schweren Schaden anrichten. Ein sensibilisierter Umgang wäre angebracht.
Was denken Sie, aus welchen Gründen konsumieren Ihre Mitmenschen Alkohol? Können Sie diese zum Teil nachvollziehen?
Ich kann das absolut nachvollziehen! Ich stelle es mir vor wie ein kaltes Cola an einem Sommertag. Oder ein leckeres Stück Kuchen, das man sich gönnt. Ausserdem sagen viele, dass sie Alkohol als Mittel gegen Langeweile oder für mehr Mut einsetzen. Dieses Gefühl kenne ich nicht, kann es mir aber vorstellen.
Was halten Sie vom Argument, dass Trinken in Massen doch nicht schaden kann?
Das Mass hat bestimmt einen Einfluss. Jede:r muss seine Grenzen selbst kennen oder kennenlernen. Trotzdem ist es ein schmaler Grat.
Was empfinden Sie, wenn Sie Ihre Mitmenschen betrunken miterleben?
Ich finde es nicht schlimm. Für mich ist das ein Gefühlszustand, den ich in einer Person sehe, wie wenn jemand traurig, nervös, oder wahnsinnig glücklich ist. Ich nehme jeweils mehr Rücksicht, bin mir bewusst, dass mein Gegenüber mich nicht mehr gleich wahrnimmt. Vielleicht kommen Worte schneller aus dem Mund, die nicht so gemeint sind, und die Aufmerksamkeit nimmt ab. Wenn ein Mensch stark alkoholisiert ist, sorge ich mich grundsätzlich nur um seine Sicherheit, auch bei Fremden. Ich habe einmal eine 16-Jährige, die zu viel Vodka Redbull getrunken hatte, ohnmächtig am See gefunden und rief einen Krankenwagen. Bei betrunkenen, grölenden Männern auf der Strasse wechsle ich die Strassenseite, um aggressive Konfrontationen und Beleidigungen oder Anmachsprüche zu vermeiden.
Wünschen Sie sich eine Veränderung in unserer Gesellschaft in Bezug auf den Alkohol?
Ja, ich wünsche mir eine Sensibilisierung in Schulen und mehr Respekt für Menschen, die nicht trinken. Und mit Respekt meine ich nicht Lob, sondern Gleichgültigkeit. In der Pizzeria ist ja auch niemand beleidigt oder fragt nach, warum ich anstatt Pizza lieber einen Teller Spaghetti essen möchte. Das sollte bei einem Wasser statt Bier oder Wein auch kein Problem sein.
Auf Ihrem Instagramkonto kommunizieren Sie klar, dass Sie keinen Alkohol trinken. Gibt es eine Message, die Sie in diesem Sinne an die Öffentlichkeit vermitteln möchten?
Ja klar: Schaut mich an, es geht auch ohne! Ich bin jung und tanze gerne, gehe an Festivals oder in Clubs, und auch ich kann Spass haben.
Interview Akvile Arlauskaite
Fotos Nives Arrigoni
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