Gemäss einer kürzlich publizierten Studie des Bundesamts für Statistik arbeitete letztes Jahr knapp die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer im Rahmen flexibler Arbeitszeiten. Doch nicht zuletzt dank Cloud Computing und modernster Kommunikationstechnologie wären noch viel innovativere Arbeitsformen möglich: «Smart Working» lautet der entsprechende Sammelbegriff.
Spass macht es nicht. Wirklich nicht. Morgens um sieben in der S-Bahn wird der oft zitierte «Dichtestress» für Tausende in der Schweiz geradezu physisch erlebbar. Heerscharen von Menschen pendeln täglich in überfüllten Zügen und über verstopfte Autobahnen zu ihren Arbeitsplätzen. Von der Peripherie ins Zentrum, von der Agglomeration in die Stadt, vom Wohnort zum Büro. Die Pendlerflut strapaziert jedoch nicht nur das Wohlbefinden der Beteiligten, sondern überlastet auch die Verkehrssysteme. Deren Ausbau und Unterhalt kostet viel Geld, belastet die Umwelt und verschlingt Quadratkilometer des ohnehin knappen Schweizer Bodens. Flexible Arbeitszeiten wirken dieser Problematik entgegen, sind allerdings nicht das Ende der Fahnenstange. Der Trend geht hin zu Modellen, welche dezentrales Arbeiten ermöglichen: Home Office etwa, aber auch «Coworking Spaces» oder die (Rück-)Verlagerung gewisser Jobs in periphere Gebiete. Anders ausgedrückt: Wohn- und Arbeitsort sollen wieder näher zusammenrücken.
Enger Kontakt dank Technologie
Wer von zu Hause oder von einem externen Standort aus arbeitet, vermisst vielleicht gelegentlich den persönlichen Austausch mit seinem Team. Darüber hinaus ist der Koordinationsaufwand grösser: Ein spontanes Meeting oder eine kurzfristige Besprechung liegen nicht mehr drin. Fachleute empfehlen deshalb, klare Absprachen zu treffen. Das können fixe Bürozeiten sein, beispielsweise von 10 bis 15 Uhr, aber ebenso regelmässige Treffen und frühzeitig geplante Teamevents. So lassen sich Unstimmigkeiten vermeiden und eine aktive Kommunikation etablieren. Letztere wird zudem durch verschiedene Technologien wie Lync, VoIP, Skype, WhatsApp oder OneNote erleichtert. Sie ermöglichen den Austausch von Sofortnachrichten oder die Durchführung von Telefon- und Videokonferenzen. Teams bleiben so in regem Kontakt, auch wenn sich die Mitarbeiter nicht täglich im Büro versammeln.
Apropos Weg zum Büro: Wenn das Pendeln unumgänglich ist, dann immerhin auf eine clevere Art und Weise. Der smarte Arbeitnehmer vermeidet die Hauptverkehrszeiten, indem er beispielsweise Meetings nicht auf den frühen Morgen oder den späten Nachmittag ansetzt. Wer den grossen Pendlerströmen aus dem Weg geht, hat mehr Platz und Ruhe – und wirkt der angesprochenen Systemüberlastung entgegen. Bei einer Anreise mit dem Öffentlichen Verkehr ist zudem unbedingt abzuklären, ob die Pendelzeit für die Arbeit genutzt und entsprechend angerechnet werden kann. Davon profitieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermassen, auch wenn das auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist.
Der smarte Arbeitnehmer vermeidet die Hauptverkehrszeiten, indem er beispielsweise Meetings nicht auf den frühen Morgen oder den späten Nachmittag ansetzt.
Leistungspotenzial mit Smart Working optimal ausnutzen
Als Augenöffner dient hier das Stichwort Biorhythmus. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen individuell unterschiedliche Phasen von hoher und tiefer Leistungsfähigkeit haben. Diesem Fakt (endlich) Rechnung zu tragen, ist ein weiterer Aspekt von smartem «Schaffen». Das Ziel muss sein, die persönlichen Leistungszeiten optimal auszunützen und die unproduktiven Perioden sinnvoll zu nutzen. Wer also – häufig nach dem Mittagessen – eher träge ist, nützt die Zeit besser für ein kurzes Nickerchen oder eine Runde Sport, als sich am Schreibtisch abzuquälen. Umgekehrt gilt es die produktiven Phasen zu nutzen, zum Beispiel den angesprochenen Arbeitsweg, denn am Vormittag sind wir meistens «on fire». Untätiges, gelangweiltes Herumsitzen während der morgendlichen Anreise ist somit nichts anderes als eine ärgerliche Verschwendung von Zeit und Energie.
Das mobile Arbeiten will allerdings gut geplant sein: Administrative Tätigkeiten wie das Schreiben von E-Mails oder das Abarbeiten der Pendenzenliste eignen sich dafür wesentlich besser als der Versuch, komplexe Denkprozesse zu starten. Für solche Aufgaben, welche Konzentration und eine Wohlfühlumgebung erfordern, sind das Home Office oder eine Kreativ-Koje im Büro geeigneter.
Nicht immer am gleichen Platz
Der Begriff «Smart Working» beschränkt sich nämlich nicht auf dezentrale und mobile Arbeitsorte, sondern umfasst darüber hinaus die Gestaltung von Arbeitsplätzen und -abläufen. Konkret verzichtet man beispielsweise auf die fixe Zuteilung von Schreibtischen: Jeder wählt individuell den Arbeitsplatz aus, der optimal zu seiner aktuellen Aufgabenstellung passt. Zur Verfügung stehen zudem nicht mehr bloss Schreibtische, sondern auch Räume für Gruppenarbeiten, Lounges, Nischen oder gar Hängematten und Liegestühle. Selbstverständlich passt nicht jede Einrichtung zu jedem Unternehmen, sinnvoll ist deshalb eine Abstimmung der Gestaltung auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter. Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch die flexiblen Arbeitsplätze ergibt sich mehr Abwechslung, der Austausch zwischen den Teammitgliedern intensiviert sich, starre Hierarchien und Routinen brechen auf.
Clouds bringen auch Verpflichtungen
Die Flexibilisierung von Arbeitsprozessen ist nicht zuletzt dank cloudbasierter Software-Lösungen möglich geworden. Dadurch ergeben sich für Unternehmen neue Möglichkeiten, weil Informationen immer aktuell und ortsunabhängig bezogen werden können. Moderne Cloud-Dienste grosser IT-Unternehmen sind technologisch und in Bezug auf die Sicherheit immer auf dem neusten Stand, die aufwändige und teure Entwicklung und Wartung eigener Produkte und Server entfällt. Die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), welche die EU Ende Mai implementiert, bringt allerdings auch für die Nutzer von Cloud-Dienstleistungen gewisse Vorgaben mit sich. Den Umgang mit Daten beispielsweise muss jedes Unternehmen selber intern regeln, teilweise braucht es einen eigenen Datenschutzverantwortlichen.
«Smart Working» ist kein Selbstläufer, sondern funktioniert nur mit umsichtiger Planung, selbstständigen Mitarbeitern und innovativen Arbeitgebern. Und vielleicht mit einer Prise Mut, denn ein allgemein gültiges Konzept gibt es nicht und wird es nicht geben. Die Arbeitsmodelle der Zukunft sind individuell und flexibel, sie müssen eigenständig erarbeitet und immer wieder angepasst werden. Das ist herausfordernd und vielleicht manchmal anstrengend – macht aber garantiert mehr Spass als der Dichtestress morgens in der S-Bahn.
Text: Remo Bürgi
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