Wie jedes Jahr wünschen sich viele auch diesen Dezember weisse Weihnachten. Diese Hoffnungen werden im Schweizer Flachland aber meist enttäuscht. «Fokus» hat sich von Sachkundigen erklären lassen, warum und woher diese Erwartungen rühren könnten.
Sogar Schneehasser machen zuweilen an Weihnachten eine
Ausnahme. Das Bild von weissen Weihnachten ist einfach schön: verschneite
Landschaften, bedächtige Stille, wohliges Ambiente. Unsere Kultur scheint
darauf aufzubauen, denn auch im Marketing wird man kaum jemals karge Bäume in
den Hintergrund stellen. Auch hier dominieren Implikationen von leise
rieselndem Schnee und stillen Nächten. Diese Darstellung der idealen
Weihnachtstage kommt in Wirklichkeit im Mittelland kaum vor. Somit sind weisse
Weihnachten ein Mythos, der trotz der Realität hartnäckig weiterbesteht.
Das typische
Weihnachtswetter
Für weisse Weihnachten sind zwei meteorologische Gegebenheiten ausschlaggebend. «Es braucht dazu einen Vorstoss von feuchtkalter Luft aus Norden/ Nordwesten kurz vor Weihnachten, ohne darauffolgenden Warmlufteinbruch», erklärt Stephan Bader von MeteoSchweiz. Dieser Warmlufteinbruch wird auch Weihnachtstauwetter genannt. Wie der Name erahnen lässt, ist dieses Wetterphänomen charakteristisch für den Zeitraum. Oft kommt es aber auch vor, dass im Dezember bis Weihnachten in tieferen Lagen überhaupt kein Schnee fällt. Demnach sind weisse Weihnachten im Mittelland aus meteorologischer Sicht eher unwahrscheinlich. Dies wird auch durch die Messungen seit 1931 bestätigt. Laut MeteoSchweiz liegt um die Weihnachtstage in 60 Prozent der Jahre kein Schnee im zentralen und östlichen schweizerischen Mittelland. In der West- und Nordwestschweiz trifft das sogar in 75 Prozent der Fälle zu.
Als Hochwintermonat müsste der Januar wahrgenommen werden.
In den Köpfen der Menschen scheint auch die Auffassung zu
bestehen, dass Weihnachten und der Jahreswechsel die Hochpunkte des Winters
sind. Nach diesen Festivitäten freuen sich einige bereits wieder auf den
Frühling. Am 24. Dezember ist der kalendarische Winter aber erst drei Tage alt,
da die Wintersonnenwende meist auf den 21. Dezember fällt. Als Hochwintermonat
müsste deshalb der Januar wahrgenommen werden.
Weisse Weihnachten
aus historischer Sicht
Wie bereits erwähnt, gab es seit 1931 keine Phase mit regelmässigen weissen Weihnachten im Mittelland. Für die Zeit davor wird es schwieriger Aussagen zu treffen. Stephan Bader verweist aber auf einen Bericht von N. Arnet aus dem Jahre 1917 über Witterungsaufzeichnungen von 1911 bis 1914: «Echte Winterkälte und Schneeherrschaft sind dem Christmonat seit einigen Jahren fast unbekannte Dinge geworden. Kein Weihnachtsgedicht, das von Kälte, Schnee und Eis redet, wollte mehr passen.»
Diese Textpassage zeigt, dass der Mythos der weissen Weihnachtstage bereits über 100 Jahre alt ist. Zudem lassen sich daraus zwei Möglichkeiten für das 19. Jahrhundert lesen: Entweder war Schnee an Weihnachten ein häufigeres Ereignis als im 20. Jahrhundert oder der Mythos war zu dieser Zeit bereits so weit verbreitet, dass er im darauffolgenden Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit war. Hinweise scheinen auf ersteres zu deuten. Dr. Chantal Camenisch des Historischen Instituts der Universität Bern berichtet, dass für die Zeit vor instrumentellen Messungen «Chronisten immer mal wieder sehr schneereiche Winter schon vor Weihnachten beschreiben».
Gleichzeitig warnt sie vor voreiligen Schlüssen, da die Chronisten auch von auffallend wenig Schnee berichten. Ausserdem ist die Dokumentation von Wetterereignissen im 19. Jahrhundert und davor lückenhaft.
Allerdings scheint es eine Zeit gegeben zu haben, zu der weisse Weihnachten üblich waren. Denn die sogenannte Kleine Eiszeit erstreckte sich über etwa 500 Jahre von beginnend im 14. Jahrhundert. «Es gab immer wieder Phasen, in denen die Winter härter und länger waren», erklärt Chantal Camenisch. Vor allem in den 1430er-Jahren habe eine Häufung von eisigen und langen Wintern mit nahezu katastrophalen Folgen in weiten Teilen Europas stattgefunden. Durch zufällige Witterungsschwankungen ausgelöst und zusammen regenreichen Sommern kam es deswegen zu Ernteausfällen, Hungersnöten und Kriegen in ganz Europa. Eine direkte Verbindung zum Mythos der weissen Weihnacht ist eher unwahrscheinlich. Chantal Camenisch weist darauf hin, dass Bilder von Winterlandschaften zwar schon im Spätmittelalter beliebt waren. «Diese Darstellungen zeigten aber beispielsweise Bauern bei ihren Beschäftigungen und keine Weihnachtsbräuche», ergänzt die Klimahistorikerin.
Die Entstehung des
Mythos
Das Konzept der weissen Weihnacht im Mittelland geht demnach nicht auf das Wetter oder das Klima in diesem Gebiet zurück. Die Klimaforscherin Prof. Dr. Martine Rebetez der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft sieht den Ursprung in den Weihnachtspostkarten in Neuengland. Dort sind weisse Weihnachten nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Deshalb wurden auch üppige Winterlandschaften auf Postkarten als Weihnachtsgruss abgebildet. Diese Mode breitete sich auch in den 1860er-Jahren in Europa aus. So scheint sich diese Erwartung in Europa Fuss gefasst zu haben – in der Schweiz vermutlich in Anlehnung an die Weihnachtstage in den Bergen.
Ausserdem scheint auch ein psychologischer Effekt
mitzuspielen. Stephan Bader vermutet, dass die gewünschte Ruhe der besinnlichen
Feiertage durch eine Schneedecke verstärkt werden kann. Die Landschaft wird
eingehüllt in einen beruhigenden Schleier, der Schnee wirkt dämpfend auf
Geräusche und das Leben scheint sich zu verlangsamen. Man fühlt sich eben wie
in einer Postkartenwelt.
Ein immer selteneres
Phänomen
Der Wunsch nach einer weissen Weihnacht ist verständlicherweise eine schöne Vorstellung, aber eine Erwartung sollte man daraus nicht machen. Im Zuge der Klimaveränderung wird es vorläufig auch kaum zu weisseren Weihnachten als üblich kommen. Ob sich die weihnächtliche Schneemenge im Laufe der Zeit tendenziell verändert hat, kann man nicht wirklich feststellen, da Schneevorkommen um die Feiertage laut Stephan Bader ohnehin selten ist. Allerdings erklärt er, dass «mit zunehmender Wintererwärmung weihnachtlicher Schnee im Mittelland immer seltener zu erwarten ist». Auch Chantal Camenisch stimmt zu und rechnet damit, dass der Mythos «noch öfter nicht erfüllt wird».
Text Kevin Meier
Schreibe einen Kommentar