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Nachhaltigkeit Reisen

Auch Reisen können nachhaltig sein

18.03.2023
von Kevin Meier

Die Unzufriedenheit über Massen- und Übertourismus aufseiten der Lokalbevölkerung hat in den letzten Jahren zugenommen, bevor die Pandemie die Reiseaktivitäten jäh einbrechen liess. Der Ruf nach einem verträglichen Tourismus auf allen Ebenen ist jedoch nicht verstummt. Welchen Herausforderungen muss sich die Branche stellen und was können wir, die Tourist:innen, selbst beitragen?

Amsterdam, Venedig, Luzern: Das sind nur drei der Beispiele für Städte, die mit Beschränkungen oder Gebühren auf Massentourismus sowie Überlastung von Infrastruktur und Bevölkerung reagieren. Tourismus bringt natürlich wirtschaftliche Vorteile mit sich, daran hängt aber nicht nur ein finanzieller Preis. Für Einheimische, das Klima und die Umwelt kann es schnell zu viel werden. Dennoch befinden sich die Reise- und Tourismusaktivitäten bald wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie und werden aller Wahrscheinlichkeit nach dieses überschreiten. Trotz des Wachstums findet langsam aber sicher ein Umdenken in der Branche und bei Privatpersonen statt.

Steigendes Interesse an nachhaltigen Reisen

Die Nachfrage bei Reisenden hat sich erhöht, wie Jon Andrea Florin der Schweizer NGO fairunterwegs darlegt: «64 Prozent der Befragten einer breit angelegten deutschen Umfrage wollen verantwortungsvoll reisen.» Allerdings reisen laut Florin dann doch nur einige wenige Prozent tatsächlich nachhaltig. Die Gründe sieht der Experte einerseits darin, dass «nachhaltiger Tourismus» ein schwammiges Konzept mit schwierig zu findenden Angeboten sei. Andererseits gilt er noch stets – fälschlicherweise – als teuer.
Ähnlich sieht es auch Tanja Bügler des Instituts für Tourismus und Freizeit der FH Graubünden. «Es sind aber nicht nur die Nachfrage, sondern auch die persönlichen Einstellungen, welche die Branche anspornt, nachhaltiger zu werden», fügt sie an. Schliesslich hätten aktuelle Krisen und Veränderungen gezeigt, wie wichtig eine nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen ist. So scheint das Thema Nachhaltigkeit laut Bügler ein neues Image erhalten zu haben: «Es ging um Verzicht und Einschränkungen. Zum Glück sind wir darüber hinweg und nachhaltige Angebote und Lebensstile zeigen auf, dass diese Spass machen sowie ästhetisch und modern daherkommen.»

Orientierung im Dschungel

Nachhaltigkeit ist ein weiter Begriff, der unterschiedlich ausgelegt und zudem auf verschiedenen Ebenen betrachtet wird. «Es geht um mehr als nur Umweltschutz», betont Bügler, «alle drei Dimensionen – Ökologie, Ökonomie und Soziales – sollen einbezogen werden». Sie führt aus, dass ein gutes Label unabhängig, überprüfbar, transparent und ganzheitlich sein sowie zu einer kontinuierlichen Verbesserung beitragen sollte.

Bei Privatpersonen und in der Branche findet ein Umdenken statt.

Für Reisende sei es tatsächlich schwierig, so Bügler, sich in der Fülle von Labels zurechtzufinden. Im Bereich des nachhaltigen Tourismus zählt Florin über 200 Labels: «Wenn man den Begleittext nicht liest, ist oftmals unklar, wofür das Zertifikat steht. Bisweilen ist es auch nach der Lektüre nicht klar.» Trotzdem ist eine Übersicht möglich. Die Expert:innen verweisen auf Labelführer, die eine gewisse Klarheit und Vergleichbarkeit schaffen wie labelinfo.ch, fairunterwegs.ch/labelfuehrer oder Swisstainable Level III von Schweiz Tourismus.

Emissionen erfassen

Die Daten, um Nachhaltigkeitsmassstäbe wie beispielsweise CO2-Emissionen zu berechnen, sind eigentlich vorhanden. Die Schwierigkeit besteht darin, den Tourismus abzugrenzen. «Diese Abgrenzung kann geografisch und/oder auch in Bezug auf die Produkte oder Dienstleistungen erfolgen», erklärt Bügler. Wo fängt eine Destination an? Welche Zwischenschritte eines Produktes sollen mit einberechnet werden?

Die Herausforderung für Dienstleister vor Ort ist aber die An- und Abreise der Gäste. Schliesslich hat «die Wahl des Transportmittels einen grossen Einfluss auf die CO2-Emissionen», legt Bügler dar, «und die An- und Abreise machen im Tourismus generell einen grossen Teil der Emissionen aus».

Ganzheitliche Nachhaltigkeit

Wie erwähnt, sind die Treibhausgasemissionen jedoch nur ein Teil der Nachhaltigkeit. Dies schlägt sich auch in den von Florin zitierten Daten nieder: «Die Umfrage besagt, dass 47 Prozent der Bevölkerung möglichst ökologisch nachhaltige Ferien machen möchten, doch 64 Prozent streben nach einem möglichst sozialverträglichen Urlaub.» Da kann man sich die Frage stellen, was Sozialverträglichkeit ausmacht. Florin nennt zum einen die kurze Antwort der Einhaltung von Menschenrechten. Seine ausführlichere Reaktion: «faire Arbeitsbedingungen für alle unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft und Hautfarbe sowie der Miteinbezug der Lokalbevölkerung.»

Destinationen und deren Betriebe fühlen sich unterschiedlich an und dies soll auch gewahrt werden. Bügler schlägt in dieselbe Kerbe: «Es geht darum, den Tourismus eingebettet in seinem individuellen Lebensraum zu verstehen.» Das verkompliziert den Wunsch nach einer nachhaltigen Destination, doch schlussendlich profitieren alle davon, ist Bügler überzeugt: «Es macht Regionen und Unternehmungen individueller, authentischer, einzigartiger und dadurch attraktiv für bestehende und potenzielle Gäste.»

Wie soll ich mich verhalten?

Zu dieser Frage präsentiert Florin die GLÜCK-Formel: «Gemächlich unterwegs sein, Lokales bevorzugen, Überraschungen zulassen, CO2-Ausstoss und andere Emissionen senken sowie einen korrekten Preis bezahlen.» Dies führe ihm zufolge nicht nur zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus, sondern auch zu nachhaltigem Glück bei Reisenden und der Lokalbevölkerung. Ein rundum gutes Gefühl.

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