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Business

Ability Management als Wettbewerbsvorteil

24.09.2021
von Lisa Allemann

Menschen mit Behinderungen werden tagtäglich mit Hindernissen und Vorurteilen konfrontiert, auch im Arbeitsleben. «Fokus» hat mit Personen gesprochen, die darüber Auskunft geben, wie Unternehmen Diversität fördern und sich dadurch gar einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können.

Unter dem Stichwort «Diversity Management» wird schon seit Jahrzehnten die personelle Vielfalt in Unternehmen gefördert. Trotz aller Bekenntnisse zur Integration «schliessen Barrieren bei der Rekrutierung, Vorurteile und nicht zugängliche Arbeitsplätze qualifizierte und leistungsfähige Menschen mit Behinderungen weiterhin aus», erläutert Dr. Urs Germann, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und assoziierter Forscher am Institut für Medizingeschichte der Uni Bern.

Für die Unterrepräsentation von Menschen mit einer Behinderung in der Erwerbstätigkeit gibt es unterschiedliche Gründe, die teilweise jedoch vermeidbar wären. Sicherlich, einige Personen können wegen ihrer Einschränkung nicht im ersten Arbeitsmarkt tätig sein und arbeiten folglich im geschützten Bereich. Oft werden Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten aber einfach nur unnötig viele Hindernisse in den Weg gelegt, weshalb sich schon die Ausbildung als schwierig gestalten kann. Und auch wenn die entsprechenden Qualifikationen vorgewiesen werden können, haben Betroffene mit Vorurteilen zu kämpfen. «Zu den gängigsten gehören: Menschen mit Behinderungen sind häufiger abwesend, unselbstständig, wenig flexibel und verursachen einen Zusatzaufwand. Interessant ist, dass die Bedenken oft rasch verschwinden, wenn eine Person einmal eine Stelle angetreten hat. Das Überspringen der ersten Hürde wie die Einladung zum Vorstellungsgespräch ist oft das Wichtigste – und zugleich das Schwierigste. Umso entscheidender ist die Haltung, mit denen Unternehmen Menschen mit Behinderungen gegenübertreten», sagt Germann, der selbst von einer Hörbehinderung betroffen ist.

Ein Kulturwandel ist nötig

Unternehmen müssen also einen Kulturwandel vollziehen. Denn bestehende Strategien und Messungen innerhalb der «Environmental Social Governance» sind nicht ausreichend. «Der Wille, ‹disability inclusive› zu werden, ist bei einigen Unternehmen bereits vorhanden. Doch bei der Umsetzung stehen viele Fragezeichen im Raum. Disability Inclusion ist komplexer als bisherige Diversitätsansätze, weshalb zuerst noch ein Verständnis vom Business Case geschaffen werden muss», meint Dr. Michael Lorz, Geschäftsführer der Stiftung MyHandicap, die mit Hilfe ihres Portals EnableMe über den Umgang mit Menschen mit Behinderungen aufklärt, eine Community betreut und Unternehmen berät. 

Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass sich die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in vielerlei Hinsicht vorteilhaft auf das gesamte Unternehmen auswirkt. Dr. Michael Lorz, Geschäftsführer der Stiftung MyHandicap

Die zu verhindernden Hindernisse am Arbeitsplatz sind je nach Beeinträchtigung unterschiedlich und müssen deshalb individuell und situationsspezifisch gelöst werden. «Wichtig ist vor allem, dass Arbeitgebende, Personalverantwortliche und Vorgesetzte das Arbeitsumfeld so gestalten, dass auch Menschen mit Behinderungen selbstverständlich Teil eines Betriebs sein und ihre Leistung erbringen können. Dazu gehören zum Beispiel ein offenes Betriebsklima, flexible Arbeitszeitmodelle oder individuelle Anpassungen am Jobprofil», erklärt Germann.

Für eine gelingende Umgestaltung des Arbeitsumfeldes sind laut Lorz drei Bereiche zentral: «Accessibility», «Accommodation» und «Attitude». Das grösste Handlungspotenzial sieht Lorz erst einmal im Bereich der Attitüden: «Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass sich die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in vielerlei Hinsicht vorteilhaft auf das gesamte Unternehmen auswirkt. Neben der Verminderung von Scham und Angst vor Stigmatisierung tragen die Schaffung von barrierefreien Arbeitsplätzen (Accessibility) und von flexibel und individuell anpassbaren Prozessen und Strukturen (Accommodation) letztlich dazu bei, dass Menschen mit einer Behinderung ihre Fähigkeiten optimal einsetzen können und die Performance des gesamten Teams signifikant gesteigert wird.» Zur Veranschaulichung legt Lorz ein Beispiel einer von einer Hörbehinderung betroffenen Studentin dar, aufgrund derer die Vorlesungen mit Untertiteln versehen wurden. Diese Massnahme führte unverhofft dazu, dass fremdsprachige Studenten auf einmal aktiver am Unterricht teilnahmen, da durch die zusätzliche Möglichkeit des Mitlesens ihr Verständnis des Lernstoffes gesteigert wurde.

Auch Germann sieht in realisierter Diversität Vorteile für Unternehmen: «Zusätzliches Arbeitskräftepotenzial, geförderte Innovationsfähigkeit aufgrund divers zusammengesetzter Teams und eine bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse sind klare Wettbewerbsvorteile.» Gleichzeitig nehmen Unternehmen dadurch ihre soziale Verantwortung wahr, was laut Lorz wiederum den Shareholdervalue steigert. Deswegen ist es für Unternehmen von zunehmender Wichtigkeit, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. «Denn die Realität ist, dass 76 Prozent aller Menschen mit einer nicht augenscheinlichen Behinderung ihren Arbeitgeber davon nicht in Kenntnis setzen. Ausserdem sind Erkrankungen und Unfälle nicht vorhersehbar, sie können alle betreffen. Diese Erkenntnis betont die Allgemeinheit des Problems», erläutert Lorz.

Die Gesellschaft schränkt betroffene Menschen ein, nicht die Behinderung 

 Gerade weil es alle treffen kann, müssen Unternehmen Pläne, Strategien und Messungen ausarbeiten, die regeln, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen umgesetzt werden soll. «Ziel wäre es, dass man nicht mehr über die Behinderungen von Menschen sprechen müsste, da diese nebensächlich für die Ausführung einer produktiven Arbeit wären. Doch davon sind wir noch weit entfernt. Jetzt gilt es erst einmal, Berührungspunkte zu schaffen und Aufklärungsarbeit zu leisten», führt Lorz aus. Die Einsicht, die man daraus gewinnen kann, ist, dass nicht die Behinderung an sich betroffene Menschen im Alltag oder Arbeitsleben einschränkt, sondern die strukturellen und sozialen Gegebenheiten die Menschen beim Einsetzen ihrer Fähigkeiten behindern.

Die Teilhabe am Arbeitsleben ist aber nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Menschen mit Behinderungen zentral. «Wer arbeitet, kann seine Kompetenzen einsetzen, soziale Kontakte pflegen und ein Einkommen erzielen. Gleichstellung erreichen wir als Gesellschaft durch Inklusion: Ein Prozess, der die Gesellschaft und Umwelt weiterentwickelt, sodass alle teilhaben können», so Germann.

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