Interview von SMA

Martin Lück: «Wir haben den Point of no Return bereits überschritten»

Es sind die grossen Fragen und Zusammenhänge, mit denen sich der Ökonom Martin Lück befasst. Als Leiter für Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei Blackrock, ist er seit 2015 für das makroökonomische Research und die entsprechenden Investment-Einschätzungen verantwortlich. «Fokus» wollte von ihm erfahren, wie sich internationale Entwicklungen auf die Finanzwelt auswirken und welche Megatrends den grössten Impact bewirken.

Es sind die grossen Fragen und Zusammenhänge, mit denen sich der Ökonom Martin Lück befasst. Als Leiter für Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei Blackrock, ist er seit 2015 für das makroökonomische Research und die entsprechenden Investment-Einschätzungen verantwortlich. «Fokus» wollte von ihm erfahren, wie sich internationale Entwicklungen auf die Finanzwelt auswirken und welche Megatrends den grössten Impact bewirken.

Interview mit Dr. Martin Lück, Managing Director bei Blackrock

Martin Lück, kürzlich fand in Glasgow die UN-Klimakonferenz COP26 statt. Welche Auswirkungen haben die dort gefassten Beschlüsse Ihres Erachtens auf die Finanzwelt?

Die Veranstaltung wird definitiv Folgen haben – zumindest wird dies langfristig der Fall sein. Persönlich würde ich mir mehr Dynamik und ein stärkeres Bekenntnis wünschen. In Glasgow wurde viel über die Reduktion von Methan gesprochen und die Beschränkung der weltweiten Waldabholzung diskutiert. Und obschon es sich dabei um hochrelevante Themen handelt und die besprochenen Vorhaben äussert wohlklingend sind, sassen doch die wichtigsten Leute gar nicht mit am Tisch: China beispielsweise schickte nur einen Unterhändler nach Glasgow. Und dennoch wäre es falsch, das Gipfeltreffen als irrelevant abzutun. Denn am Anfang eines jeden Wandels steht immer das Gespräch. Es wird viel geredet, das ist aber letztlich auch notwendig, damit später Taten folgen können. Die Finanzwelt wiederum wird sich parallel dazu weiterentwickeln, da die Märkte letztlich ein konzentriertes Abbild unserer Realität darstellen. Will heissen: Je stärker wir die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen – wie etwa bei den diesjährigen Flutkatastrophen in der Schweiz und Deutschland – desto relevanter wird das Thema «Nachhaltigkeit» auch für die Finanzwelt. Denn mittel- bis langfristig wird es beispielsweise unhaltbar sein, einen Fonds anzubieten, der Anteile eines Unternehmens hält, welches nachweislich den Klimawandel anheizt. Dieser Wandel wird kommen – und er ist auch dringend notwendig, denn wir stehen meines Erachtens an einem markanten wirtschaftlichen Wendepunkt.

Inwiefern?

Bereits in den 1970er-Jahren prognostizierte das internationale Experten-Netzwerk «Club of Rome», dass dem wirtschaftlichen Wachstum Grenzen gesetzt sind. Ich bin der Ansicht, dass wir diesen «Point of no Return» bereits überschritten haben. Klimarisiko ist auch ein Investmentrisiko, deshalb handelt es sich bei der erfolgreichen grünen Transformation nicht nur um eine soziale Notwendigkeit, sondern auch um eine finanztechnische. Um diesen disruptiven Prozess zu meistern, sind gewaltige Investmentvolumina nötig – genau darin liegt eine gewaltige Chance für Anlegerinnen und Anleger. 

Wie beurteilen Sie demnach allgemein die Entwicklung von nachhaltigen Investitionen? 

Die Thematik ist hochkomplex, was nur schon mit der Tatsache zu tun hat, dass es diverse Definitionen von Nachhaltigkeit gibt. Welche möchte man nutzen, um Investments zu klassifizieren? Orientiert man sich beispielsweise an den ESG-Kriterien der UNO? Doch auf welche fokussiert man sich konkret – Environment, Social oder Government? Und wie misst man, wie gut oder schlecht Menschen in Unternehmen oder Staaten behandelt werden? Diese Fragestellungen zeigen, dass wir vor einem umfangreichen Prozess stehen, der viel Zeit benötigt. Was man aber bereits heute festhalten kann: Die Anlegerinnen und Anleger verändern sich und mit ihnen auch die Ansprüche an Finanzprodukte. 

Von welcher Veränderung sprechen Sie?

Immer mehr Millennials kommen durch beruflichen Erfolg und Erbschaft zu Vermögen. Diese Menschen sind deutlich sensibler für die Frage, was mit ihrem Geld passiert und wohin es fliesst. Zudem ist ein immer grösserer Teil der Anlegerschaft weiblich und Frauen verfügen ebenfalls über eine generell höhere Sensibilität, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Diese Entwicklungen setzen althergebrachte Finanzhäuser unter Druck, passende Angebote zu schaffen.  

In den vergangenen Monaten haben das Zittern der chinesischen Immobilienmärkte sowie die nach wie vor anhaltende Unsicherheit der Post-Corona-Zeit für Schlagzeilen gesorgt. Wie beurteilen Sie die Märkte aktuell?

Wir durchlaufen einen ökonomischen «Neustart» nach der Pandemie. In den USA kommt es zu einer neuen wirtschaftlichen Beschleunigung, dank des genehmigten Infrastrukturpaketes. In Europa rollt aktuell die fünfte Corona-Welle an, was eine gewisse Wachstumsdämpfung mit sich bringen könnte. Mit dieser Realität müssen wir uns arrangieren. Zwar haben sich bis vor kurzem die Aktienmärkte fantastisch entwickelt, doch der Weg zu weiteren Gewinnen dürfte nun wieder schmaler werden. Zudem sind die Aktienmärkte hoch bewertet: Betrachten wir etwa den S&P 500, dann sehen wir, dass der Erfolg der besten Performer auf sogenannte «Multiple Expansions» zurückzuführen ist. Hier ist kein echtes Wachstum verzeichnet, sondern die Titel teurer bewertet. Dementsprechend sind diese nun anfälliger für Rückschläge. Meines Erachtens wird die weitere Marktentwicklung zu einem wesentlichen Teil davon abhängen, wie stark die derzeitige Corona-Welle in der industriellen Welt verläuft. Generell wird aber, wie gesagt, der Weg zu Aktienkursgewinnen enger werden und die Volatilität eher zunehmen. 

Im «Black Rock Midyear Outlook» ist zu lesen, dass China sich besser als seine Peers von der Pandemie erholt hat. Ist die Aussage «China stands out» auch zum Jahresende noch korrekt?

Das denke ich durchaus. Ich hege nicht die Befürchtung, dass der chinesische Immobilienmarkt kollabieren wird, das Szenario eines «Chinesischen Lehman Brothers» halte ich für unwahrscheinlich. Natürlich ist das Schuldenvolumen gigantisch, doch dass mit dieser Strategie Probleme einhergehen würden, wurde in Kauf genommen und war abzusehen. Die entsprechenden Auffang-Mechanismen dürften in Kraft sein.

Wie beurteilen Sie aktuell die DACH-Region?

Das ist meine persönliche Wahrnehmung: Die Wahrung unserer individuellen Freiheit ist von grösster Wichtigkeit. Gleichzeitig sehen wir aber, dass Österreich die 2G-Regel eingeführt hat. Ich denke, dass wir auch in anderen Ländern in diese Richtung werden gehen müssen. Denn je schlimmer sich die Pandemiesituation entwickelt, desto härter müssen die Behörden letztlich durchgreifen. Meine Hoffnung besteht vorwiegend darin, dass die Schulen geöffnet werden und weitere Lockdowns ausbleiben. 

Was raten Sie Ihren Kundinnen und Kunden in diesen Zeiten?

Man muss in den Herausforderungen die Chancen suchen. Denn diese existieren durchaus, gerade für Anlegerinnen und Anleger. In der DACH-Region gibt es viele kreative Köpfe, die unter anderem im Feld der Wasserstofftechnologie unglaublich innovativ unterwegs sind. Solche und ähnliche Unternehmen bergen potenziell ein enormes Investmentpotenzial. Ein grosses Augenmerk wird auch darauf zu legen sein, wie China sich entwickelt. Exportländer wie die Schweiz, Deutschland und Österreich sind zwar nicht direkt abhängig vom Reich der Mitte, aber dennoch auf gute Beziehungen mit China angewiesen. Der europäische Markt wiederum ist attraktiv, aber man muss in die richtigen Sektoren investieren – wie etwa in Industrien, die sich gut erholt haben.  Der Dienstleistungsbereich hinkt im Vergleich noch hinterher, doch auch dieser dürfte ein Comeback feiern. Sobald das der Fall ist, ergeben sich auch dort wieder spannende Investmentchancen, gleiches gilt für den Tourismussektor. 

Die Digitalisierung verändert auch den Finanzsektor grundlegend. Welche Chancen und Herausforderungen orten Sie zu Themen wie Krypto und Co.?

Die digitale Transformation ist eine gewaltige Herausforderung und verändert unser Leben und unsere Arbeit grundlegend. Einen enorm grossen Einfluss sehen wir etwa im Feld des Asset-Managements: Dort bieten digitale Kanäle heute einen viel direkteren Zugang zu den Anlegerinnen und Anlegern. Produkte wie ETFs erfreuen sich enormer Beliebtheit und die Fintech-Branche wächst. Auch wir spüren die Transformation und versuchen, durch unser Angebot den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten, wobei das derzeit so beliebte Thema «Kryptowährungen» nur eine von unzähligen Facetten ist. Ebenfalls erwähnenswert ist das enorme Tempo, mit dem sich der digitale Wandel vollzieht. Die Summe all dieser Faktoren stellt uns und alle anderen Marktteilnehmer vor die Herausforderung, die richtigen Schlüsse zu ziehen. 

Welche Megatrends sehen Sie mittel- und langfristig auf die Anlegerschaft zukommen und welche Auswirkungen werden diese auf Investments haben?

Was für die Gesellschaft relevant ist, ist für die Finanzmärkte interessant. Denn Letztere sind wie gesagt ein Destillat aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. Der wohl grösste Finanz-Megatrend betrifft daher die grundlegende Neuordnung der Welt, sprich die «Globalisierung 2.0». Da geht es vor allem um das Verhältnis zwischen den USA und China. Ein weiteres zentrales Thema sehe ich in der wachsenden ökonomischen Ungleichheit sowie der ansteigenden sozialen Ungerechtigkeit. Gerade für Demokratien bergen solche Entwicklungen ein enormes Risiko. Auch das Migrationsthema müssen wir lösen: Derzeit sehen wir anhand der Flüchtlingsmassen an der Grenze zwischen Polen und Belarus, welche Züge diese Entwicklung annehmen kann. 

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Zur Person

Dr. Martin Lück ist Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei Blackrock. Der promovierte Volkswirt verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung. Vor seinem Wechsel zu Blackrock war er bei UBS Deutschland tätig, wo er als Chefvolkswirt für Deutschland und als Mitglied des European-Economics-Teams vor allem Deutschland, Italien und die Niederlande sowie die EZB-Politik und Investment-Themen analysierte. 

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16.12.2021
von SMA
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