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Nachhaltiges Bauen bedeutet mehr als ein Solarpanel auf dem Dach

12.04.2019
von Remo Buergi

Nach dem trockenen und heissen Sommer 2018 und den aktuellen Debatten über Klimapolitik hat der Begriff «Nachhaltigkeit» wieder Hochkonjunktur. Oft geht es dabei um erneuerbare Energie und Umweltschutz. Das ist ebenso richtig wie wichtig, doch eigentlich umfasst Nachhaltigkeit noch viel mehr – zum Beispiel beim Bauen. Einblicke in die unbekannteren Seiten eines prominenten Schlagworts.

«Das Schöne an der ganzen Sache ist, dass nachhaltiges Bauen allen nützt.» Das sagt einer, der es wissen muss: Andreas Baumgartner arbeitet als technischer Sekretär beim Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS). Baumgartner erläutert, dass zur Nachhaltigkeit in der Baubranche auch eher unbekannte Aspekte gehören: «Lieferketten, Sicherheit, Mobilität, die Verwendung von regionalen Materialien oder die Lebenszykluskosten eines Gebäudes sind wichtige Faktoren beim nachhaltigen Bauen.» Es gehe dabei immer um ein Zusammenspiel von verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Ansprüchen.

Kompromisse sind nötig

Dass sich die Interessen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt nicht selten widersprechen, ist eine der grossen Herausforderungen beim nachhaltigen Bauen. Gemäss Experte Baumgartner müssen die Beteiligten solche Konflikte von Beginn an in die Planung einbeziehen, gemeinsam eine verbindliche Lösung finden und dann auch umsetzen. Letzteres sei der schwierigste Teil, weil sich Bauprojekte oft über mehrere Jahre hinziehen. Baumgartner empfiehlt deshalb, dass sich ein Mitglied des Projektteams speziell um das Thema Nachhaltigkeit kümmert.

Nicht zuletzt aufgrund des breiten Spektrums, das der Begriff Nachhaltigkeit abdeckt, wurde auf Wunsch von Wirtschaft und öffentlicher Hand ein Schweizer Standard entwickelt. Für die Betreuung dieses Standards ist das NNBS verantwortlich. Der Standard beinhaltet zwölf Kriterien aus den Sphären Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Anhand dieser Kriterien – dazu gehören beispielsweise «Kontext & Architektur», «Regionalökonomie» und «Klima» – lässt sich die Nachhaltigkeit eines Bauwerks beurteilen.

Möglichst billige Metallfassaden aus China – verkleidet mit Natursteinplatten aus Indien – sind wirklich keine Alternative für ein nachhaltiges Wirtschaften in der SchweizAndreas Baumgartner, NNBS

Regional herstellen und verwenden

Die Förderung der Regionalökonomie etwa zählt zu den zentralen Zielen des Standards. Gemeint ist damit, dass das Material für den Bau möglichst regional produziert und verarbeitet wird. Das mag heutzutage nicht ganz einfach sein, wo doch im globalisierten Markt Produkte aus aller Herren Länder bezogen werden. «Aber möglichst billige Metallfassaden aus China – verkleidet mit Natursteinplatten aus Indien – sind wirklich keine Alternative für ein nachhaltiges Wirtschaften in der Schweiz», hält Andreas Baumgartner dezidiert fest. Der Experte ist sich bewusst, dass diesbezüglich noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. In einigen Bereichen sieht er immerhin bereits Erfolge: «Die regionale Bereitstellung von Recyclingbeton funktioniert schon gut, teilweise auch die Verwendung von Holz und Holzprodukten aus der Region.»

Das Beispiel Holz zeigt exemplarisch, wie Regionalökonomie für alle Anspruchsgruppen Vorteile bietet. Die kurzen Transportwege und der nachhaltige Baustoff sind positiv für die Umwelt. Die einheimische Wirtschaft profitiert derweil von der regionalen Wertschöpfung, was wiederum aus gesellschaftlicher Sicht erfreulich ist. Dadurch entstehen nämlich Arbeitsplätze im Inland. Nicht selten auch in eher strukturschwachen Regionen, denn das Holz stammt überwiegend aus den ländlichen Teilen der Schweiz.

Langfristig effizient

Nachhaltiges Bauen beschränkt sich indes nicht nur auf den Bauprozess per se, sondern auch auf das, was danach kommt: Der Betrieb des Bauwerks soll ebenfalls möglichst effizient und kostengünstig sein. Fachleute sprechen dabei von tiefen Lebenszykluskosten, die aber nur mit viel Denkarbeit in einer frühen Projektphase erreicht werden können. Experte Baumgartner erklärt, dass dazu verschiedene Szenarien durchgerechnet werden müssten. «Das ist manchmal anstrengend und sorgt für rote Köpfe. Doch es ist unumgänglich, wenn wir Gebäude bauen wollen, die uns im Betrieb nicht täglich mit hohen Kosten belasten.» Besonders im Fokus stehen dabei Bauteile wie die Fassade inklusive Fenster und Sonnenschutz, Lüftungs- und Klimaanlagen oder Systeme zur Gebäudeautomation. Dabei gilt es jeweils, einen möglichst optimalen Ausgleich zwischen Investitions- und Folgekosten zu finden.

Nachhaltiges Bauen erfordert viel Fachkompetenz.

Auch Kunden sind gefordert

Man ahnt es: Nachhaltiges Bauen erfordert viel Fachkompetenz. Als Bauherr sucht man sich deshalb am besten einen Architekten, der bereits Erfahrung mit nachhaltigem Bauen hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Endkunde nichts beitragen kann. Im Gegenteil: Wer als Kunde bewusst nachhaltige Produkte fordert, generiert eine Nachfrage und beeinflusst so den Markt. Auch ein Mieter kann dazu beitragen, wie Andreas Baumgartner aus eigener Erfahrung weiss. «In unserem Haushalt musste der Kühlschrank ersetzt werden. Wir haben bei der Verwaltung angeregt, ein Gerät mit besserer Energieeffizienz zu installieren. So sparen wir Energie – und dank der tieferen Stromkosten ist der höhere Kaufpreis rasch amortisiert.»

Von Energie- und Ressourceneffizienz über Lieferketten und Regionalökonomie und bis hin zu den Lebenszykluskosten: Nachhaltiges Bauen basiert auf einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Das Ziel ist klar: Der Einbezug möglichst vieler Aspekte von Nachhaltigkeit soll zum Normalfall werden. Dieser Ansatz gewährleistet, dass Gebäude umweltverträglich, wirtschaftlich sowie zweckdienlich werden – und zwar längerfristig. Eben: Das Schöne an der Nachhaltigkeit ist, dass sie allen nützt.

Text: Remo Bürgi

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