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Distressed M&A: Ein Schnäppchen in der Krise?

20.04.2022
von Kevin Meier

Krisen bergen Chancen. Diese Phrase drohte während der letzten zwei Jahre zum Allgemeinplatz zu verkommen. Und doch zielt sie auf einen wahren Kern, vor allem auch in einem wirtschaftlichen Sinne. Distressed M&A sind nicht nur Geschichten von notleidenden Unternehmen, sondern komplexe Verhältnisse mit Vor- und Nachteilen für alle Parteien.

Herkömmliche Mergers & Acquisitions sind in der Unternehmenswelt gang und gäbe. Durch die unsicheren Zeiten der letzten Jahre rücken nun auch Distressed M&A zunehmend in den Fokus. Vereinfacht gesagt handelt es sich hierbei um Fusionen und Übernahmen von Firmen oder deren Vermögenswerte in finanziellen Schwierigkeiten.

Die Natur der Nöte können unterschiedlich gelagert sein: von Unternehmen mit unerwarteten Liquiditätsproblemen bis hin zu solchen, die jahrelang Verluste generieren. Allgemeiner spricht man auch von «special situations», wenn eigentlich gesunde Organisationen – selbst- oder unverschuldet – in eine problematische Situation kommen, beispielsweise durch eine schlechte Akquisition.

Der Einfluss der Pandemie

Die Coronapandemie brachte erhebliche Verunsicherung in den Markt und auch der Ukrainekrieg hinterlässt Spuren. Schon davor nahmen durch die Digitalisierung, steigende Rohstoffpreise und die steigenden Anforderungen bezüglich Nachhaltigkeit die Belastungen und der Transformationsdruck auf Unternehmen zu.

Während der Covid-19-Krise sanken aufgrund der staatlichen Unterstützungen jedoch die Insolvenzfälle. Im laufenden Jahr ist aber eine Normalisierung der Dynamik zu erwarten. In Westeuropa wird die Anzahl von Sanierungsfällen, Insolvenzen und Unternehmen in Schieflage zunehmen. So berichtet Deloitte von einer deutlichen Zunahme von Distressed M&A auf dem deutschen Markt.

Ganze Branchen in Schwierigkeiten

Die Pandemie wird ihre Auswirkungen noch eine Weile auf den Markt entfalten. So kann davon ausgegangen werden, dass Distressed-M&A-Transaktionen vor allem in jenen Branchen steigen werden, die besonders von den Massnahmen betroffen waren wie beispielsweise der Tourismusbereich.

Marius Fuchs, Dozent an der Hochschule Luzern und Programmleiter des CAS Turnaround-Management nennt das Beispiel von Fitnessstudios. Kleinen Studios fehlt oft – trotz der finanziellen Unterstützungen – die Marketingpower, um von selbst wieder auf die Beine zu kommen. «Hier lässt sich einerseits ein Konsolidierungsprozess beobachten, bei dem grössere Ketten zugreifen und Opportunitäten aufkaufen. Gleichzeitig treten neue Firmen mit günstigen Angeboten in den Markt ein.» Folglich wird es für angeschlagene Unternehmen schwierig, sich langfristig zu halten. 

Opportunitäten

Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten können durch Distressed M&A verschiedenste Nachteile verhindern. Verkaufsseitig bietet sich die Chance, Konkurse, Auflösungen und Imageschäden zu vermeiden sowie Arbeitsplätze zu erhalten. Solche Transaktionen können zudem eine solide Grundlage für strategische Neuausrichtungen oder tiefgreifende Restrukturierungsmassnahmen schaffen.

Letztere können einen Nutzen für beide Seiten darstellen, wie Tomi Laamanen, Lehrstuhlinhaber und Professor für Strategisches Management an der Universität St. Gallen, erklärt: «Durch die schwierige Situation sind Zielunternehmen eher bereit, Veränderungen anzugehen. Auch wenn harte Entscheidungen getroffen werden müssen, ist eher das Verständnis für deren Notwendigkeit vorhanden.»

Auf Kaufseite sind die Opportunitäten monetärer und strategischer Natur. So profitieren Käufer von günstigeren Preisen, schnellem Zugang zu einem neuen Markt, erstmaligem Einstieg in ein neues Segment oder von anorganischem Wachstum. Fuchs zufolge kann der Wettbewerbsgedanke wichtige Rolle spielen: «Firmen mit liquiden Beständen und einer starken Bilanz können Konkurrenten vom Markt wegkaufen. Zuweilen stehen Unternehmen erst aufgrund der Krise zum Verkauf.»

Der Distressed-M&A-Markt findet hinter den Kulissen statt. Marius Fuchs

Spiel auf Zeit zerstört Werte

Gerade bei Distressed M&A ist der Zeitfaktor entscheidend. Denn bei Firmen in finanzieller Schieflage muss es schnell gehen. Die Käufer können zwar auf Zeit spielen, um ihre Verhandlungsposition zu stärken und um den Preis weiter zu drücken. «Währenddessen werden jedoch Werte zerstört», mahnt Laamanen, «da besteht eine Wechselbeziehung zwischen Unternehmens- und Assetwerten und Kaufpreis». Fuchs stimmt zu und führt aus: «Zudem besteht der Druck auf Verkaufsseite, dass die Situation nicht im Markt ruchbar wird. Deshalb findet der Distressed-M&A-Markt im Interesse aller Beteiligten hinter den Kulissen statt.» 

Due Diligence in Extremis

Wie bei allen Transaktionen trägt die Due Diligence eine ausserordentliche Bedeutung. Der Zeitdruck behindert allerdings eine umfassende Prüfung. Laut Fuchs liegen solche Fälle anders als bei üblichen M&A: «In diesen Lagen ist die Informationstransparenz stark eingeschränkt. Es fehlt an Zeit und oft auch an personellen Ressourcen.

Da können sich bei der Due Diligence Fehler einschleichen.» Branchenfremde Kaufparteien haben die zusätzliche Schwierigkeit, dass sie die Art der Krise weniger abschätzen können als vor- oder nachgelagerte Branchenteilnehmer. Dies kann ein erhöhtes Risiko für die Integration oder den Turnaround nach dem Distressed M&A bedeuten.

In der heutigen Welt weist Laamanen auch auf eine Art politische Due Diligence hin: «Im Zielunternehmen könnten noch undeklarierte Vermögen bestehen, insbesondere bei kleinen Privatbanken. Auch Verbindungen zu Oligarchen und Russland sollten bekannt sein, um politische und regulatorische Risiken einschätzen zu können.»

Distressed-M&A-Käufe sind günstiger, aber anspruchsvoller. Tomi Laamanen

Komplexitäten in Distressed M&A

Der Zeitfaktor und die Krisensituationen machen Distressed M&A komplexer. «Die Käufe sind günstiger, aber anspruchsvoller in Bezug auf die Aufwände, die zu beachtenden rechtlichen Aspekte und die verschiedenen involvierten Stakeholder, die auch Gerichte umfassen können», erläutert Laamanen.

Vor allem sind Distressed-M&A-Prozesse rechtlich geprägt, wie Fuchs ausführt: «Aufgrund des Zeitdrucks kann man sich nicht leisten, jemanden noch in diesem Bereich auszubilden. Es braucht also professionelles und erfahrenes Fachpersonal – insbesondere auf der rechtlichen Seite.»

Text Kevin Meier

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