Ob des Mordes, der Vergewaltigung oder des Betruges beschuldigt, alle haben das Recht, verteidigt zu werden. Die Gesellschaft stellt hierbei öfters die Moral der Strafverteidigenden infrage, zu denen auch Rechtsanwältin Magda Zihlmann des Vereins Forum Strafverteidigung gehört. «Fokus» erzählt sie, wie es sich in diesem Beruf lebt und wie sie mit Moralvorstellungen umgeht.
Magda Zihlmann,
Rechtsanwältin
Frau Magda Zihlmann, warum haben Sie sich für die Strafverteidigung entschieden?
Meine Studienwahl war schon von einer diffusen Idee der Unterstützung der Davids gegen die Goliaths geprägt. Auch meine Spezialisierung im Strafrecht und Migrationsrecht entstand aus diesem Berufsverständnis heraus. Je länger ich in der Praxis tätig war, desto bewusster wurde mir, dass sich Recht, gerade auch das Strafrecht, immer in gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnissen bewegt.
Strafverteidigung ist in meinem Verständnis also immer auch der Beistand für eine Person gegenüber einem mächtigen und häufig einseitigen Strafverfolgungsapparat. Abgesehen davon finde ich die Strafverteidigung sehr komplex, spannend und abwechslungsreich.
Was war bisher die grösste Herausforderung in Ihrem Beruf?
Ich empfinde den Beruf nach wie vor als sehr herausfordernd und finde es daher schwierig, mich auf eine grösste Herausforderung festzulegen: In praktischer Hinsicht sind es vor allem die Unvorhersehbarkeiten, welche die Entscheide und die Arbeitsplanung schwierig machen, wie etwa Fristen, oder der ewige Gelddruck bei der Verteidigung von Prekarisierten.
Laien unterschätzen meiner Meinung nach häufig, wie belastend und hart so ein Strafverfahren sein kann.
Als Belastung empfinde ich den Umgang mit dem Ohnmachtsgefühl angesichts der ungleich langen Spiessen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung oder die Ungleichheit, mit welcher die unterschiedlichen Beschuldigten behandelt werden. Auch der teilweise herabwürdigende Umgang mit den Menschen und die Härte eines Strafverfahrens finde ich zuweilen schwer zu ertragen.
Oft bekommen Strafverteidigende die Frage «Wie können Sie nur so jemanden verteidigen?» zu hören. Wie würden Sie darauf antworten?
Ich verteidige einen Menschen, der in einem Strafverfahren beschuldigt wird. Häufig wird bereits von einer Beschuldigung auf eine Schuld geschlossen. Das ist nicht richtig. Zuerst muss in einem rechtsstaatlichen Verfahren über Schuld oder Unschuld entschieden werden.
Und die Verteidigung ist ein elementarer Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit eines Verfahrens und hat diese, soweit mit ihren beschränkten Mitteln möglich, sicherzustellen. Sie ist der einzige Beistand einer beschuldigten Person gegen den Strafverfolgungsapparat. Falsche Anschuldigungen oder unzutreffende Tatverdachte sind nicht selten. Rechtsirrtümer im Übrigen – trotz Verteidigungsrechten – auch nicht. Laien unterschätzen meiner Meinung nach häufig, wie belastend und hart so ein Strafverfahren sein kann.
Unabhängig davon, ob und was jemand gemacht hat, bin ich der tiefsten Überzeugung, dass jede:r es verdient hat, jemanden zur Seite gestellt zu bekommen, der ihn unterstützt, nur für ihn da ist, seinen Standpunkt und seine Geschichte einbringt. Gerade Sexual- oder Gewaltstraftäter:innen waren in ganz vielen Fällen früher selbst Opfer.
Personen sind nicht einfach nur gut oder nur böse. Mir fällt es jedenfalls in der Regel leicht, den Menschen hinter der Tat zu sehen, Verständnis für diesen aufzubringen und auch seine anderen Seiten zu sehen. Das heisst nicht, dass ich die Tat an sich gutheisse.
Gab es Fälle, bei denen ein persönlicher Konflikt mit der Gegenpartei entstand?
Das gab es – soweit ich mich erinnere – nur einmal. Ich wurde von der Schwiegermutter meines Klienten angezeigt. Da war allerdings nicht das Strafverfahren zentral, sondern eine Aussage im parallelen Scheidungsverfahren.
Was dürfen Sie in Bezug auf die Strafverteidigung nicht tun?
Als Verteidigerin habe ich einseitig die Interessen meiner Klient:innen zu wahren. Ich darf mich in keiner Interessenkollision befinden, weder in einer zwischen mir und der Klientel, noch durch die Verteidigung mehrerer Klient:innen mit potenziell gegenläufigen Interessen. Eine weitere Schranke für die Verteidigung setzt das Strafrecht selbst.
Ich nehme es also niemandem übel, wenn er oder sie mich anlügt.
Ich darf mich als Strafverteidigerin also nicht strafbar machen und beispielsweise Urkunden fälschen, Zeugen bedrohen oder Dinge ins oder aus dem Gefängnis schmuggeln. Schliesslich geben sich weitere Einschränkungen durch das Berufs- und Standesrecht, wobei bei Letzterem die Meinungen teilweise auseinandergehen.
Ist es Ihnen wichtig zu wissen, ob Ihre Klient:innen wirklich schuldig sind?
Meist dient es der Verteidigung wohl, wenn ich es weiss, weil ich dann die Chancen und Risiken einzelner Verteidigungsstrategien besser beurteilen kann. Eine Gewissheit gibt es aber ohnehin nie. Kann ich damit nicht umgehen, darf ich das Mandat nicht führen.
Wie wissen Sie, dass der oder die Beschuldigte nicht lügt?
Ich weiss es nicht und sehe es auch nicht als Pflicht der Beschuldigten, mir die Wahrheit zu sagen. Wie gesagt dient es wohl der Verteidigung, wenn ich weiss, was Sache ist. Ohnehin muss ich aber die Möglichkeit, dass ich durch die Klient:innen angelogen werde, immer mitdenken.
Ich nehme es also niemandem übel, wenn er oder sie mich anlügt. Eine Verteidigerkollegin sagt den Klient:innen jeweils: «Sie müssen mir nicht die Wahrheit sagen und ich muss ihnen nicht glauben.» Ich finde das treffend. Verteidigen kann man nämlich ohne beides.
Gibt es Fälle, die Ihnen nahe gingen? Wie schaffen Sie es, Distanz zu Ihrem Beruf zu wahren?
Natürlich gab es Fälle, die mir nahe gingen. Beispielsweise als Kinder involviert waren, die ziemlich genau im Alter meiner eigenen waren. Oder wenn ich erschütternde Lebensgeschichten von Täter:innen höre. Dies sind aber selten die Dinge, die ich mit nach Hause nehme. Mich belasten eher die Verantwortung und die in mich gesetzten Hoffnungen der Klient:innen.
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