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Energie Sicherheit

Ausfall, Blackout, Mangellange: Aufklärung zur Stromversorgung

19.10.2022
von Marina S. Haq

Zurzeit befürchten viele, dass der Schweiz ein Strom-Blackout droht. Im Interview mit «Fokus» klärt der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE darüber auf.

Was ist ein Stromausfall? Wie unterscheidet er sich von einer Strommangellage?

Ein Stromausfall oder Blackout ist ein zeitlich und örtlich begrenztes technisches Problem und tritt beispielsweise ein, wenn eine Stromleitung oder eine Produktionsanlage ausfällt. Dies führt zu einem vorübergehenden Versorgungsunterbruch, der aber von den zuständigen Stromversorgungsunternehmen in der Regel innert kurzer Zeit behoben werden kann.

Bei einer Strommangellage hingegen steht über einen längeren Zeitraum weniger Strom zur Verfügung, als von den Stromverbrauchenden benötigt wird. Diese würde nicht nur die Schweiz, sondern weite Teile Europas betreffen und kann nicht von den Stromversorgungsunternehmen allein bewältigt werden. In einer solchen Situation würde der Bundesrat Massnahmen zur Krisenbewältigung in Kraft setzen.

Was sind die Ursachen für eine Strommangellage?

Verschiedene Einflussfaktoren unterschiedlicher Intensität können zu einer Mangellage führen. Aktuell ist es die Gasknappheit in ganz Europa aufgrund des Krieges in der Ukraine kombiniert mit dem Ausfall eines grossen Anteils der französischen Nuklearproduktion, die dazu führen, dass die Energie in ganz Europa knapp ist und die Importmöglichkeiten der Schweiz reduziert sind. Hinzu kommt ein sehr heisser und trockener Sommer, der sich negativ auf die Schweizer Wasserkraft auswirkt.

Eine Strommangellage gab es in der Schweiz noch nie.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Das Risiko einer Strommangellage ist wegen der aktuellen Energiekrise in Europa real und gross. Die Energiewende ist nicht der Grund für die aktuelle Situation. Das Gegenteil ist der Fall: Hätte man schweiz- und europaweit die Energiewende stärker vorangetrieben, wäre die Abhängigkeit von fossilen Energien kleiner, weil man mehr auf erneuerbare Produktion zurückgreifen könnte. Um das Risiko einer Strommangellage zu minimieren, bleibt uns kurzfristig für den kommenden Winter vor allem der Konsumhebel: Der Verbrauch muss in Bevölkerung und Wirtschaft gesenkt werden.

Wann gab es die letzten Stromausfälle in der Schweiz? Hat es bereits vergleichbare Situationen gegeben?

Kürzere, zeitlich und räumlich begrenzte Stromausfälle gibt es immer wieder – ausgelöst beispielsweise durch Bauarbeiten oder defekte Anlagenteile. Durch die hohe Qualität der Stromversorgung in der Schweiz sind Dauer und Auswirkungen solcher Ereignisse in der Regel eng begrenzt. Eine Strommangellage gab es in der Schweiz noch nie.

Was sind mögliche Folgen einer Strommangellage?

Der Bund erachtet die Strommangellage als grösstes Risiko für die Schweiz – noch vor einer Pandemie oder dem Ausfall des Mobilfunknetzes. Sie würde uns alle betreffen, Unternehmen wie Private, und hätte enorme Konsequenzen für Wirtschaft und Bevölkerung. In einer modernen und zunehmend digitalisierten Gesellschaft gibt es kaum mehr Produkte oder Dienstleistungen, die ohne Strom erstellt oder erbracht werden können. Die Auswirkungen von zu wenig Strom wären in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen zu spüren. Je nachdem, welche Bewirtschaftungsmassnahmen der Bundesrat in einer konkreten Situation verfügen würde, sind andere Akteure mehr oder weniger betroffen. Je länger eine Mangellage anhalten würde und je einschneidender die Massnahmen wären, um sie zu bekämpfen, desto gravierender die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Sparappelle und Verbrauchseinschränkungen richten sich grundsätzlich an alle. Die Stromkontingentierung betrifft jedoch nur die Grossverbraucher von Strom (rund 30 000 Unternehmen in der Schweiz), die ihren Verbrauch um eine bestimmte Menge reduzieren müssten. Von geplanten Netzabschaltungen wäre wiederum die ganze Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft betroffen.

Es muss immer genügend Energie im System sein, um den Verbrauch zu decken.

Was sind die Folgen eines Netzausfalls?

Das ist eine Frage des Ausmasses. In der Regel ist ein Stromausfall lokal und zeitlich begrenzt und kann vom zuständigen Versorger in kurzer Zeit behoben werden. Bricht das Netz jedoch grossflächig zusammen, dann ist die Versorgung im betroffenen Gebiet unter Umständen für einen längeren Zeitraum unterbrochen, was je nach Situation zu einem grenzüberschreitenden Problem führen könnte. Auf Strom angewiesene Anlagen und Geräte wären nicht mehr betriebsfähig. Die Stromversorgung müsste schrittweise wiederhergestellt werden.

Wie kann man sich Netzabschaltungen vorstellen?

Netzabschaltungen kommen erst als allerletztes Mittel in einer Strommangellage zum Zug, wenn alle anderen Massnahmen nicht ausreichen, um die Stromnachfrage dem Stromangebot anzugleichen. Netzabschaltungen bedeuten, dass die Stromversorgung von Teilnetzgebieten für ein paar Stunden täglich unterbrochen ist. Sie würden rollierend und gebietsweise im 4-4- oder 4-8-Stundenrhythmus stattfinden. In einem Teilnetzgebiet gäbe es also für vier Stunden keinen Strom, dann wieder für vier oder acht Stunden und so weiter.

Was wäre die grösste Gefahr bei zu wenig Energie?

Die Netzstabilität muss allzeit gewährt sein. Das heisst: Es muss immer genügend Energie im System sein, um den Verbrauch zu decken. In einer Strommangellage gäbe es eben zu wenig Energie, um die Nachfrage zu decken. Daher zielen die Bewirtschaftungsmassnahmen darauf ab, den Verbrauch in so einer Situation, wenn nötig, massiv zu reduzieren und auf tiefem Niveau Nachfrage und Angebot zu stabilisieren. Gelingt dies nicht, droht das Stromnetz zusammenzubrechen.

Was ist unter Versorgungssicherheit zu verstehen?

Unter Versorgungssicherheit im Bereich Strom versteht der VSE, dass die Endverbraucher:innen jederzeit, dauerhaft und nachhaltig die gewünschte Menge Strom zu angemessenen Preisen und in gewünschter Qualität erhalten. Dazu müssen alle Elemente des Versorgungssystems optimal zusammenspielen: Die Stromproduktion in inländischen Kraftwerken, ein effizienter und flexibler Stromverbrauch, ausreichend ausgebaute und sichere Stromnetze sowie Übertragungsnetzkapazitäten, die den grenzüberschreitenden Austausch ermöglichen.

Wer ist dafür verantwortlich?

Die Versorgungssicherheit kann nur in einem engen Zusammenspiel aller Akteure als Gesamtsystem auf der gesamten Wertschöpfungskette untrennbar gewährleistet werden. Die verschiedenen Akteure wie Energiewirtschaft, Bund, Kantone, ElCom teilen sich die Verantwortung für dieses Gesamtsystem Versorgungssicherheit. Die Energieversorgung in der Schweiz ist laut Energiegesetz, Art. 6 Abs. 2 primär Sache der Energiewirtschaft. Bund und Kantone haben eine subsidiäre Rolle: Sie setzen die Rahmenbedingungen, damit die Branche ihre Aufgabe optimal erfüllen kann.

Die Strombranche steht zu ihrer Verantwortung. Geeignete politische und regulatorische Rahmenbedingungen legen die Basis. Das Gesamtsystem Stromversorgungssicherheit funktioniert nur, wenn alle involvierten Akteure zusammenspielen. Deshalb zeigt die VSE Roadmap eine Gesamtsicht der notwendigen Massnahmen über die ganze Wertschöpfungskette: vom Verbrauch über Produktion und Speicher zentral-dezentral hin zu Handel und Netze. Ebenfalls berücksichtigt die Roadmap Fragen der Akzeptanz, die Themen Verfahren und die Stromzusammenarbeit zwischen der Schweiz und Europa.

Wie bereitet sich die Schweiz auf eine Strommangellage vor?

Der Bund hat für den Winter 2022/23 verschiedene Massnahmen beschlossen, so zum Beispiel die Bildung einer Wasserkraftreserve und die Inbetriebnahme von Gas-/Öl-Reservekraftwerken. Diese Massnahmen dienen zur Überbrückung von akuten Knappheitssituationen im Winter. Zudem hat er eine Kampagne mit einfachen, aber effektiven Spartipps lanciert – mit dem Ziel, den Verbrauch zu reduzieren und so auch die Nachfrage zu senken, bevor es zu einer Mangellage kommt. Diese Massnahmen sind wichtig und richtig und können helfen, Knappheitssituation im kommenden Winter zu überbrücken.

Sollte dennoch eine Strommangellage eintreten, liegt das Bewirtschaftungskonzept in der Schublade bereit. Sie wurden von langer Hand vorbereitet. Um die Versorgung auf tieferem Niveau als üblich zu stabilisieren, stehen verschiedene, zum Teil sehr einschneidende Massnahmen zur Verfügung. Ob sie zum Einsatz kommen, hängt aber von der konkreten Krisensituation ab.

Welche Massnahmen werden im Falle einer Strommangellage in Kraft treten? Gibt es Verbote auf politischer Ebene?

Was im Falle einer Strommangellage geschieht, fasst das Erklärvideo auf der OSTRAL-Webseite www.ostral.ch zusammen. Der Bundesrat würde Verordnungen mit Massnahmen in Kraft setzen, um Stromangebot und -nachfrage zu lenken und auf reduziertem Niveau ins Gleichgewicht zu bringen. Der Bundesrat hat etwa auch die Möglichkeit, Verbrauchseinschränkungen oder Verbote von energieintensiven Anwendungen zu erlassen, sofern es die konkrete Situation erfordert.

Zu welchem Zeitpunkt wird die OSTRAL (Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen) aktiv?

OSTRAL wird auf Geheiss der wirtschaftlichen Landesversorgung des Bundes aktiv, wenn sich ein Krisenfall abzeichnet. OSTRAL unterscheidet vier Bereitschaftsgrade: Im Normalbetrieb spricht OSTRAL vom Bereitschaftsgrad 1. In dieser Phase überwacht die wirtschaftliche Landesversorgung die Versorgungslage. Zeichnet sich eine Strommangellage ab, hat dies eine erhöhte Bereitschaft zur Folge. Die wirtschaftliche Landesversorgung alarmiert OSTRAL. Nun gilt der Bereitschaftsgrad 2. Behörden und die wirtschaftliche Landesversorgung appellieren in dieser Lage an die Bevölkerung, freiwillig Strom zu sparen. In Bereitschaftsgrad 3 beantragt der oder die Delegierte für wirtschaftliche Landesversorgung dem Bundesrat, dass entsprechende Bewirtschaftungsmassnahmen in Kraft gesetzt werden. In Bereitschaftsgrad 4 setzt der Bundesrat die notwendigen Massnahmen per Verordnung in Kraft, und die wirtschaftliche Landesversorgung beauftragt OSTRAL mit dem Vollzug dieser Massnahmen.

Wie und wo kann man sich beim Eintreten einer Mangellage informieren?

Eine Strommangellage tritt nicht von heute auf morgen ein. Ist sie absehbar, informiert der Bundesrat an einer Medienkonferenz über die Situation und darüber, welche Massnahmen in Kraft gesetzt werden. Zudem werden weitere Informationen mittels verschiedener Kanäle verbreitet, zum Beispiel AlertSwiss, Twitter, Medien und weitere. Werden Bewirtschaftungsmassnahmen vom Bundesrat verordnet, informiert er die Öffentlichkeit über die entsprechenden Entscheide.

Wie kann jede:r Einzelne dazu beitragen, eine Strommangellage zu verhindern?

Wir alle können einen Beitrag leisten, indem wir kurzfristig weniger Strom und Gas brauchen. Jede Kilowattstunde zählt. Nicht nur die produzierte, sondern auch die eingesparte. Es gibt in allen Bereichen des Alltags sowohl in Privathaushalten wie in Unternehmen und öffentlichen Gebäuden Sparmassnahmen, die meistens ohne Komforteinbussen umsetzbar sind und in der Summe viel bewirken können. Wenn wir solidarisch und im Kollektiv den Verbrauch reduzieren, schont dies die inländischen Wasser- und europäischen Gasspeicher. Im Hinblick auf die kritische Winterversorgung ist es zentral, dass diese Speicher möglichst voll sind. Daher unterstützt der VSE aktiv die Energiesparkampagne des Bundes. Weitere Hinweise stehen zudem unter www.strom-ratgeber.ch des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung zur Verfügung.

Interview Marina S. Haq

 

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