Wie haben Sie die vergangenen Wochen gearbeitet und gewohnt? Erging es Ihnen wie der Familie Müller, bei der die Eltern wiederum zum grössten Teil im Homeoffice arbeiteten? Immerhin konnten die drei Kinder, im Gegensatz zum vergangenen Frühling, meist zur Schule gehen. Dennoch: Anita und Peter Müller mussten sich erneut zu zweit mit nur einem in der Wohnung vorhandenen Arbeitszimmer arrangieren. In «normalen» Zeiten war dies auch völlig ausreichend; nun aber waren sie beide gleichzeitig zu Hause, sollten an Zoom-Konferenzen teilnehmen oder konzentriert arbeiten können. Ihre Wohnung wurde damit auch zum vorübergehenden Büro. Und weil zugleich am Abend oder am Wochenende nichts mehr los war, verbrachten sie so viel Zeit zu Hause wie schon lange nicht mehr.
Die Zeit während der Coronapandemie ist eine Ausnahmesituation, die – so hoffen wir alle – bald vorbei sein wird. Aber sie verdeutlicht den Stellenwert der Wohnung und die vielfältigen Ansprüche, die eine Wohnung erfüllen muss. Ja, sie wirft die Frage auf, wie wir wohnen und was beim Wohnen wichtig ist – während einer Pandemie ebenso wie darüber hinaus.
Statistisch gesehen hat eine durchschnittliche Schweizer Wohnung 3,8 Zimmer und eine Fläche von 99 m2. Der Wohnflächenkonsum nahm in den letzten Jahrzehnten stetig zu. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf betrug 1980 noch 34 m2, stieg bis ins Jahr 2000 auf 43 m2 und erreichte 2019 46 m2. Seit der Jahrtausendwende ist das Wachstum etwas abgeflacht. Allerdings zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen den Wohnungskategorien: Eigentümerinnen und Eigentümer wohnen mit 52,2 m2 auf grösstem Fuss, während der Wohnflächenverbrauch in einer gemeinnützigen Wohnung 36,5 m2 pro Kopf beträgt.
Wahrscheinlich wird Homeoffice auch längerfristig einen grösseren Stellenwert haben als vor der Pandemie.
Martin Tschirren, Direktor Bundesamt für Wohnungswesen BWO
Von den rund 2,75 Millionen Gebäuden in der Schweiz dienen fast zwei Drittel dem Wohnen. Dabei machen die Einfamilienhäuser mit beinahe 1 Million den weitaus grössten Teil aus. Insgesamt gibt es gut 3,8 Millionen bewohnte Wohnungen. Die Schweiz ist nach wie vor ein Land von Mieterinnen und Mietern: Etwa 58 Prozent der Haushalte wohnen zur Miete, während 36,4 Prozent dies in der eigenen Wohnung tun. Knapp 5 Prozent leben in einer gemeinnützigen Wohnung. Diese Verteilung ist regional sehr unterschiedlich: In ländlich
geprägten Regionen überwiegt das Wohneigentum, während Mietwohnungen und gemeinnützige Wohnungen in städtischen Gebieten dominieren.
Wie das eingangs erwähnte Beispiel zeigt, erfüllte die eigene Wohnung gerade in den letzten Monaten zahlreiche Funktionen: Arbeit, Freizeit, Essen, Erholung, Schlafen. Kurz – die Wohnung wurde zum Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens. Einrichtung, Behaglichkeit und vielseitige Nutzbarkeit gewannen an Bedeutung.
Wie stark die Wohnung auch langfristig als Arbeitsort dienen muss, ist schwer voraussehbar. Wahrscheinlich wird Homeoffice auch längerfristig einen grösseren Stellenwert haben als vor der Pandemie. Insofern dürfte sich die bereits vorher eingesetzte Entwicklung verstärken, dass Wohnen und Arbeiten stärker miteinander verschmelzen. Dies beeinflusst auch die Wohnungsnachfrage: Bei Suchanfragen auf Wohnungs-Vermittlungsportalen waren in den vergangenen Monaten zusätzliche Zimmer, ein Balkon oder andere privat nutzbare Aussenräume begehrt.
Dies bedeutet aber nicht automatisch, dass Boden- und Wohnflächenkonsum nun wieder stärker wachsen müssen. Bedürfnisse nach (zusätzlichen) Arbeits- und Rückzugsräumen in der Wohnung lassen sich mit gut durchdachten und vor allem flexibleren Grundrissen erfüllen. Dies erleichtert auch, die Wohnung an sich im Familienzyklus verändernde Bedürfnisse anzupassen. Und da Wohnen nicht einfach an der Wohnungstüre aufhört, soll dies ebenfalls Anlass sein, das Wohnumfeld zu überdenken. Zum Wohnbefinden gehört auch ein Quartier, in dem die Dinge des täglichen Bedarfs in Geh- oder Velodistanz erreichbar sind, in dem es Begegnungsorte und Treffpunkte gibt, das zum eigentlichen Wohn- und Lebensraum wird. Über die eigenen vier Wände hinaus.
Text Martin Tschirren
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