«Under Cover» bedeutet für den Ex-007-Darsteller Daniel Craig jetzt buchstäblich unter den Bettlaken: Der Brite hat mit seinem neuesten Film «Queer» seine Tage als Super-Spion im Dienste seiner Majestät definitiv hinter sich gelassen und fordert sich als Schauspieler auf ganz neue Weise heraus.
Die Jahre als James Bond haben Daniel Craig geprägt. Und nicht nur ihn, sondern auch das Publikum und wie es den 56-jährigen Schauspieler wahrnimmt. Denkt man an seine Paraderolle, denkt man an einen Guten gegen die Bösen, an harte Fäuste, schnelle Autos, schöne Frauen und vielleicht sogar an die angeschlagene Psyche eines Mannes, um den herum viel gestorben wird. Nach fünf Filmen als 007 ist der Brite jedoch bereit, sich von einer neuen Seite zu zeigen.
Im Sommer überraschte er beispielsweise mit einem unerwarteten Look für eine Mode-Kampagne inklusive langer Haare, gelber Brille und einer bunten Auswahl von wuchtigen Strick-Pullovern. Daniel Craig ruft in Erinnerung: Er kann auch anders und man hat längst noch nicht alles von ihm gesehen. Seit seinem 50. Geburtstag zeigt er, dass er sich und die Welt doch nicht so todernst nimmt, wie es zuvor oft den Anschein machte. Mit seiner jüngsten Film-Serie «Knives Out», in der Craig einen quirligen Südstaaten-Detektiv spielt, biegt er locker ins Komödien-Fach ab. Lose und frei scheint die Devise. Und da er nichts mehr beweisen muss, kann er heute Rollen wählen, die ihn auf neue Weisen herausfordern – wie beispielsweise «Queer» unter der Regie von Luca Guadagnino. Das Drama basiert auf einem semi-autobiografischen Roman von William S. Burroughs: Daniel Craig spielt einen amerikanischen Autor namens Lee, der sich in Mexiko der Vierzigerjahre Alkohol, Drogen und einem jungen Ex-Soldaten hingibt. Burroughs («Naked Lunch») war einer der bekanntesten Vertreter der Beat-Generation und Craig stürzte sich begeistert ins Thema: «Ich habe viele Interviews mit ihm geschaut», erzählte er an der Pressekonferenz anlässlich der Weltpremiere von «Queer» am Filmfestival von Venedig. «Er hatte diese Persona, tiefgründig und bedächtig. Ich dachte, das kann nur ein Teil von ihm sein, eine Art Schutzmechanismus.» Als Craig das dünne, emotionale Buch «Queer» las, war ihm klar, dass er den anderen Teil dieser Persönlichkeit ergründen wollte, obwohl darüber nicht viel bekannt ist. «‹Queer› handelt von Verlust, Einsamkeit und Verlangen. Wenn ich mir eine Rolle schreiben müsste und alles abhaken wollte, was für mich in einen Film gehört: Das ist in diesem drin.»
Und drin sind auch einige ziemlich explizite Sexszenen. Am Festival von Venedig wurde die Rückkehr des Erotik-Genres verkündet, da auch Nicole Kidman («Babygirl») und Cate Blanchett («Disclaimer») mit sexzentrischen Projekten in die Lagunenstadt kamen. Für Craig kein Grund zur Aufregung: «Es ist ja bekannt, dass das Filmen von Sexszenen überhaupt nicht intim ist, da stehen viele Leute drum herum und schauen zu.» Mit seinem Filmpartner Drew Starkey, bekannt aus der Serie «Outer Banks», arbeitete er Monate zuvor an der Choreografie der Liebesszenen. «Mit Tanzen kann man gut Hemmungen abbauen. Wir haben versucht, alles so berührend, natürlich und echt wie möglich darzustellen», so Craig, der auch viel Lob für seinen Co-Star hat. «Drew war ein wunderbarer Schauspieler und Partner in dieser Hinsicht. Wir lachten viel, es sollte ja auch Spass machen.»
Etwas, das Daniel Craig bedeutend weniger Spass macht, ist Interviews zu geben. Über sich selbst oder seine Liebsten etwas zu erzählen oder einfach ein spannender Gast bei einer Talkshow zu sein, geht ihm gegen die Natur. «Ich bin nicht der Typ, der einfach den Schalter an- und ausschalten kann», erklärte er in einem Interview mit Men’s Journal. «Das ist einfach nicht in meiner Werkzeugkiste. Vielleicht strenge ich mich auch zu wenig an, aber wieso sollte ich etwas versuchen zu sein, das ich nicht bin? Das ist einfach nicht mein Ding.»
So viel hat er irgendwann trotzdem preisgegeben: Geboren wurde Daniel Craig am 2. März 1968 in der für die Überreste aus der Römerzeit bekannt Stadt Chester und aufgewachsen sind er und seine ältere Schwester Lea in einem künstlerischen Umfeld in Liverpool: Seine Mutter war Kunstlehrerin, sein Stiefvater ein Kunstmaler. Sein leiblicher Vater war in der Merchant Navy und besass später zwei Pubs. Schon mit sechzehn Jahren zog Daniel nach London, um sich im National Youth Theater ausbilden zu lassen. Bald landete er verschiedenste Rollen, die seine Bandbreite als Schauspieler hervorhoben: Unter anderem als Soldat («The Power of One»), Obdachloser («Our Friends in the North») oder Geliebter von König Arthurs Tochter («A Kid in King Arthur’s Court») lernte er sein Handwerk in den Neunzigerjahren in England. Hollywood-Filme folgten bald – an der Seite von Angelina Jolie in «Lara Croft: Tomb Raider», mit Tom Hanks und Paul Newman in «Road to Perdition» sowie in Steven Spielbergs «Munich» über das Attentat auf die israelischen Athleten an den Olympischen Sommerspielen 1972.
Als er 2005 als neuer James Bond in «Casino Royale» angekündigt wurde (seine Mutter plauderte das Geheimnis ihrem Lokalblatt aus), stand die Welt Kopf: Ein blonder James Bond? Viele konnten sich Daniel Craig besser als Hafenarbeiter vorstellen als im Smoking mit einem geschüttelten, nicht gerührten Martini. Kein einfacher Beginn. Den Aufruhr konnte er nicht kontrollieren, dafür aber seinen Entschluss, bei der neu angedachten 007-Serie sein Bestes zu geben: In der Ära Craig entwickelt Bond echte Gefühle für eine Frau (Vesper und später Madeleine). Die «Bond-Girls» wurden zu komplexen Action-Figuren und der Begriff begraben. Im Grossen und Ganzen verstummte die anfängliche Kritik, obwohl es zwischendurch Kontroversen gab. Aus Schweizer Sicht war die Enttäuschung gross, als er für «Quantum of Solace» die Premiere im luzernischen Emmenbrücke krankheitshalber kurzfristig absagte. Dabei freute er sich im Vorfeld, mit dem Schweizer Regisseur Marc Forster den roten Teppich zu beschreiten: «Die Schweiz ist ja Marcs Heimat. Die Premiere wird nur schon deshalb sicher ganz speziell», sagte er damals. Während der Pressetour für «Spectre » trat er dann so richtig ins Fettnäpfchen, als er sagte, er würde sich lieber die Pulsadern aufschneiden, als nochmals Bond zu spielen. Er entschuldigte sich für die undankbar klingende Bemerkung. Wie man weiss, kehrte er mit «No Time to Die» freilich 2021 zurück und gab nochmals alles, bevor er endgültig den Schlussstrich unter 007 zog.
Dem intensiven Training, das ihm die Bond-Filme abverlangte, trauert er nicht nach. «Ich ging morgens vor den Dreharbeiten noch eine Stunde ins Gym – was wirklich nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung ist – und danach noch etwa 40 Minuten Kampftraining», erzählte er im Interview zu «Quantum of Solace», das er mit dem Arm in der Schlinge bestritt, weil er sich beim Dreh die Schulter verletzt hatte und operieren musste. Da hat er es als Detektiv Benoit Blanc in «Knives Out» gemütlicher: «Als Hugh Jackman und ich vor ein paar Jahren am Broadway zwei Chicago Cops spielten, habe ich als Recherche ein bisschen Zeit mit der Polizei in Chicago verbracht, aber Benoit Blanc ist ja eine Erfindung von Rian Johnson und ein bisschen angelehnt an Agatha Christies Gentleman-Detektiv Hercule Poirot. Ich habe in jungen Jahren viele Agatha-Christie-Bücher gelesen, ich weiss also, was Sache ist», erklärte Craig, als er 2019 erstmals als Detektiv Blanc einen Mord aufklärte. Gereizt hatte ihn nicht nur das grosse Ensemble, sondern auch endlich die Zusammenarbeit mit dem Schreiber und Regisseur Rian Johnson: «Ich kenne ihn schon lange. Wir diskutierten schon seit zwanzig Jahren Projekte. Meine Frau hat mit ihm gearbeitet und ist ebenfalls ein Fan.»
Mit «meine Frau» ist natürlich die Schauspielerin Rachael Weisz gemeint und mit dem Film, den sie mit Johnson drehte «The Brothers Bloom». Weisz und Craig haben sich 1994 bei einem Theaterstück kennengelernt, als er mit der Schauspielerin Fiona Loudon verheiratet war. Erst als sie 2010 im Film «Dream House» ein Paar spielten, funkte es. Sie heirateten bereits im darauffolgenden Jahr. Er brachte die Tochter Ella mit in die Ehe, sie den Sohn Henry. Die gemeinsame Tochter kam 2018 zur Welt. Wie sie heisst, hat das Paar nie öffentlich bekannt gegeben, aber in The Late Show mit Stephen Colbert verriet Weisz, dass das Mädchen ganz nach dem Papa geraten ist: «Sie ähnelt ihm sehr. Wirklich: Sie hat wie er stahlblaue Augen und breite Schultern.»
Genau so wenig wie über seine Familie ist über Craigs dritten «Knives Out»-Film, der vor Kurzem in England abgedreht wurde, zu erfahren. Nur so viel: Unter dem Titel «Wake Up Dead Man» wird wieder ein Mörder oder eine Mörderin gesucht. Mit von der Partie im Ensemble der vermeintlichen Täter:innen und Opfer sind dieses Mal unter anderem Glenn Close, Mila Kunis, Jeremy Renner, Kerry Washington, Andrew Scott, Josh O’Connor und Josh Brolin. Man darf also einmal mehr gespannt sein.
Headerbild © Biennale
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