Interview von Kevin Meier

Ares: «Nach meinem Outing war das Mobbing wie verflogen»

Die 18-jährige Dragqueen Ares erzählt im Interview, wie sie aufwuchs, was sie in der Community nicht gerne sieht und welchen Rat sie Gleichaltrigen geben würde.

Seit einem Jahr mischt die 18-jährige Dragqueen Ares die Schweizer Drag-Szene auf. Der selbst ernannte «Gen Z Tornado» begeistert das Publikum vor allem mit ihren Tanzfähigkeiten und Spagaten. Im Interview erzählt sie, wie sie aufwuchs, was sie in der Community nicht gerne sieht und welchen Rat sie Gleichaltrigen geben würde.

Die Dragqueen Ares in pink

Bild: Desirée Kaufmann, digitelle.ch

Ares, wann und wie bist du zu Drag gekommen?

Das erste Mal in Drag war ich 2021 für einen Musikvideoshoot mit vielen anderen Dragqueens zusammen. So richtig gesehen habe ich es 2020 in einer Puls-Reportage, bei der auch Kelly Heelton dabei war, die nun auch in der ersten Staffel von Drag Race Germany dabei ist. Durch RuPaul’s Drag Race bin ich dann tiefer in diese Szene eingetaucht.

Ich würde mich noch als Babyqueen bezeichnen. Auf Instagram bin ich zwar schon länger aktiv, aber meine erste Show hatte ich letzten November. Ich performe also erst seit einem Jahr.

Dieses Jahr habe ich nun meine Lehre abgeschlossen und kann mittlerweile zwei bis viermal pro Monat auftreten. Das finde ich recht krass (lacht). Das kann schon einmal stressig sein, aber es macht sehr Spass und ich lerne viele Leute kennen. Ich bin überglücklich und dankbar, dass ich Drag auf diese Weise machen kann.

Machst du einen Unterschied zwischen dir als Privatperson und Ares? Ist sie ein Teil von dir oder lediglich eine Kunstfigur?

Ares ist beides: eine Kunstfigur und ein Teil von mir. Ich war schon immer sehr feminin, auch ohne Drag. Ares ist wie ein Extrem dieser Femininität. Für mich ist sie wie mein kleines inneres Mädchen in Prinzessinnenkleidern.

Im Privatleben und im Freundeskreis sind ich und Ares deutlich getrennt, obwohl ich die beiden Seiten nicht aktiv trenne. Denn viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind nicht Teil der LGBTQ+-Community oder in dieser Szene unterwegs.

Was ist Drag für dich und was bedeutet es dir?

Die Dragqueen Ray Belle bezeichnet es gerne als «Queer Liberation». Das passt perfekt. Es ist eben mein inneres Mädchen, das rauskommt durch die schönen Kleider, Haare und Make-up. Ares ist das «Popular Girl at School», das ich früher nicht war. Sie ist nun meine Art, es auszuleben.

Auch wenn ich noch nicht lange Drag mache, bedeutet es für mich alles. Ich könnte mir auch vorstellen, es hauptberuflich zu machen, wenn es möglich wäre. Schauen wir mal, wie es kommt (lacht).

Was inspiriert Ares?

Vor allem andere Dragqueens inspirieren mich, insbesondere jene mit dem «Popular Girl»-Image. Einerseits begeistert mich zum Beispiel Plastique Tiara von RuPaul’s Drag Race, weil sie auch sehr feminin ist. Oder die Musik-Künstler:in Pabllo Vittar. Andererseits inspirieren mich auch Queens aus der Schweiz wie Amélie Putain oder Odette Hella’Grand, die auch meine Drag-Grossmutter ist.

Du bist vor allem bekannt für deine Spagate. Woher kommt das Talent? Wie stellst du sicher, dass du dich nicht verletzt?

Ich wusste selbst auch nicht, dass ich das kann, bis ich es ausprobiert habe (lacht). Ich war schon als Kind beweglich. Schon damals wollte ich den Spagat können. Später habe ich für sieben Jahre voltigiert, also Akrobatik auf dem Pferd.

Die Dragqueen Ares als Cheerleader der Monster High

Bild: Desirée Kaufmann, digitelle.ch

Vor den Shows achte ich darauf, dass ich mich gut aufwärme und dehne, ähnlich wie früher vor dem Voltige-Training. Ich springe nicht kalt von irgendeinem Stuhl herunter, dann könnte man sich schon etwas reissen oder brechen. Heikel ist bei Spagaten das Knie. Das leidet am nächsten Tag wegen der blauen Flecken (lacht). Tanzen ist schlussendlich Sport und man muss sich auch so darauf vorbereiten. Zum Glück habe ich mir noch nie etwas gebrochen.

Wie erlebst du die Schweizer LGBTQ+-Community?

Es gibt zwei Seiten. Die Drag-Community inklusive Veranstaltern, Dragqueens und Helfer:innen ist sehr herzlich. Man achtet aufeinander und hilft sich Backstage gegenseitig aus. Das Untereinander ist schön, sonst würden die ganzen Shows auch nicht funktionieren. Man darf auch nicht vergessen, dass Dragqueens als Arbeitnehmende an Veranstaltungen auftreten. Man will die Zusammenarbeit mit Veranstaltern dementsprechend so einfach wie möglich gestalten.

Viele werden von Femininität abgeschreckt

Neben der Drag-Community gibt es aber auch einen Teil der Community, der vor allem beim Dating sehr toxisch sein kann. Drags sind offener und akzeptierender. Es gibt kein Shaming von Körpern, Ethnien, Gender oder was auch immer. In der Community als Ganzes kann Fatshaming schon heftig sein. Über 28 wird man als alt abgeschrieben und ohne maskulinen Filmkörper wird es schwierig, jemanden zu finden. Viele werden von Femininität auch abgeschreckt. Wenn zum Beispiel bei mir versteht, dass ich Drag mache, steigt dann doch das Interesse. Es kann eben ein Fetisch sein, ähnlich wie bei trans Personen. Diese Sexualisierung von trans Menschen, für deren Bedienung auch Dragqueens hinhalten müssen, gefällt mir nicht. Das vertrete ich nicht und das will ich auch nicht. Obwohl man meinen könnte, die Community sei sehr offen, sind auch wir in Sachen Akzeptanz ausbaufähig.

Hast du jemals aufgrund deiner Sexualität oder Identität Hass erfahren? Wie gehst du damit um?

Definitiv. In der Schule bin ich von der ersten bis kurz vor der neunten Klasse durchgehend gemobbt worden. In meinem Fall waren es vor allem die Jungs, die mich runtermachten und mir Kommentare wie «scheiss Schwuchtel» an den Kopf warfen. In der Neunten hatte ich mein Outing und das Mobbing war wie verflogen. Mein Coming-out hat ihnen ihre einzige Beleidigung genommen. So konnte ich mehr Selbstvertrauen aufbauen und das Ganze überwinden. Zudem hatte ich viele sehr gute Kolleginnen, bei denen ich mich auch einmal ausheulen konnte und die mich vor anderen verteidigten. Auch meine Familie gehört zu meinen grössten Stützen. Mit meinem Umfeld hatte ich wirklich Glück. Dafür bin ich sehr dankbar und ich schätze es extrem.

Mittlerweile werde ich nicht mehr gemobbt. Wenn doch einmal dumme Kommentare kommen, mache ich das nicht mehr zu meinem Problem. Sie wissen es einfach nicht besser. Im Alltag auf der Strasse schauen die Menschen schon wegen meiner bunten Kleidung und der Tasche, aber sie sagen nichts. Meine grösste Furcht ist, dass abends etwas passiert. Deshalb habe ich einen kleinen Alarm dabei, der extrem laut pfeift. Oftmals machen mir Gruppen von jungen Männern Angst. Diese ignoriere ich, reagiere nicht auf Kommentare, wechsle vielleicht die Strassenseite oder nehme einen anderen Weg, um Gefahrensituationen zu vermeiden.

Deshalb gehe ich auch nicht in Drag aus. Ich mache mich bei Auftritten, wenn möglich, vor Ort bereit. Nach der Show schminke ich mich wieder komplett ab, sodass ich wieder «normal» aussehe.

Dieses Jahr kam die erste Staffel von Drag Race Germany raus. Was ist deine Meinung zum Franchise?

Viele Drags würden niemals mitmachen oder sind dagegen. Aber ich persönlich bin ein grosser Fan. Drag Race hat einen grossen Teil meines Drags inspiriert und beeinflusst. Ich liebe es und alles, was damit zu tun hat. Wenn ich dann bald mit der Schule fertig bin, heisst es: Season three, here I come! (lacht)

Ich wäre gerne bei einer Staffel dabei, doch im Moment ist es noch zu früh. Ich muss mich noch etwas entwickeln. Ich will in meiner Bestform mitmachen. Aber es ist natürlich ein Thema, ob es sich überhaupt lohnt. Gerade die Frage der Verträge ist wichtig. Jene von Drag Race Germany dauern zwar nur ein Jahr, trotzdem stellen sie gewisse Einschränkungen dar.

Du bezeichnest dich als «Gen Z Tornado». Bemerkst du Unterschiede zu Drags anderer Generationen?

Es gibt definitiv Unterschiede. Der grösste ist, dass es mir noch an Erfahrung fehlt. Ich konnte in diesem Jahr Kenntnisse sammeln, aber das kann man nicht mit anderen wie Odette Hella’Grand vergleichen. Sie hat schon alles gemacht, was man sich vorstellen kann von Shows über Podcasts und Radio zu Werbung.

Die Dragqueen Ares in einer Lightbox

Bild: Desirée Kaufmann, digitelle.ch

Ausserdem fällt mir auf, dass ich sehr darauf fokussiert bin, so perfekt wie möglich zu sein. Da mache ich mir noch ein wenig Druck. Weil ich neu in der Community und jung bin, muss ich zusehen, dass man mich wertschätzt. Wenn eine Person einer anderen Generation anfängt, ist es meist weniger auffällig als bei Jungen. Viele wollen nicht unbedingt junge, unerfahrene Queens buchen. Deshalb bin ich unglaublich dankbar für die Möglichkeiten, die ich bis jetzt erhalten habe und dass die Menschen etwas in mir sehen.

Du musst deinen Platz noch etwas abstecken.

Genau. Ich konnte schon mit meinen Performances inklusive Spagat meinen Stempel hinterlassen. Das kann man aber kaum mit anderen vergleichen. Sie kennen sich besser aus und haben bessere Kontakte. Ich kenne auch viele der Leute, die Shows organisieren. Von den Menschen «Behind the Scenes» kenne ich bisher nur wenige.

In den letzten Monaten kam Drag vermehrt unter Druck aus gewissen Kreisen. Was denkst du darüber?

Es wird gesagt, Drag sei schlecht für Kinder. Das finde ich schade. Grundsätzlich ist es eine Kunstform. Natürlich ist es ein Teil der Queer-Community, aber sie ist nicht darauf aus, nur von und für diese Community zu sein. Es gibt auch immer wieder Heterosexuelle, die Drag machen. Und es gibt so viele unterschiedliche Dragqueens, Künstler:innen, Richtungen und Stile. Ich finde es krass, wie alles verallgemeinert wird und sagt, alles davon sei schlecht.

Selbstverständlich ist nicht jede Veranstaltung gut für Kinder oder für sie gemacht. Drag ist nicht per se für Kinder gedacht, auch wenn es kinderfreundliche Shows gibt. Davon ausgehend zu sagen, es sei schlecht oder mache Kinder schwul und queer, ergibt keinen Sinn. Einige gehen noch weiter und sagen, wir vergewaltigen Kinder. Das finde ich ekelhaft. Ich bin selbst noch fast ein Kind und wir denken nicht an Kinder bei unseren Auftritten.

Es sind dumme Argumente, womit die Leute ihre Homophobie auslassen können. Oftmals geht es auch nicht um Dragqueens, sondern sie hassen trans Menschen und übertragen den Hass auf uns. Zum Beispiel wurden in den USA Gesetze gegen Dragqueens erlassen, die aber darauf abzielen, die Rechte von trans Menschen wegzunehmen.

Mit welcher Einstellung gehst du durchs Leben?

Dadurch, dass ich viel Negativität erlebt habe, versuche ich das Leben positiv zu sehen. Wenn ich jemanden kennenlerne, versuche ich der Person neutral entgegenzukommen und keine Vorurteile zu haben. So entsteht Diskriminierung. Das finde ich schlimm. Umgekehrt achte ich auch nicht speziell darauf, was die Leute Schlechtes zu sagen haben. Wenn du etwas ausprobieren willst, tu es. Lass dich nicht einschränken. Schliesslich lebt man nur einmal.

Liebt euch, wie ihr seid!

Studien zeigen, dass die mentale Gesundheit der Schweizer Jugend leidet. Wie erlebst du das?

Glücklicherweise hatte ich nie mit psychischen Problemen zu kämpfen. In meinem Umfeld sehe ich aber, dass es einigen Kolleginnen und Kollegen manchmal nicht gut geht oder sie mental instabil werden. Deshalb ist es wichtig, sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun und einen nicht weiter in das Loch treiben. Man darf immer eine Pause einlegen und Zeit für sich nehmen.

Welche Botschaft möchtest du insbesondere an queere Jugendliche richten?

Meine Botschaft ist vor allem eine: Liebt euch, wie ihr seid! Habt keine negative Meinung über euch selbst, nur weil andere schlecht reden. Und wenn es euch schwerfällt, euch selbst zu lieben: Holt euch Menschen, die euch dieses Gefühl vermitteln. Menschen, die euch positiv zusprechen, euch Halt geben und unterstützen. Und wie gesagt, wenn ihr etwas ausprobieren möchtet, tut es jetzt in einem sicheren Rahmen.

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fact

Ares online

Instagram: aresismyname

TikTok: @aresismyname

Website: aresqueen.com


Weitere Draginterviews gibts hier: Milky Diamond und Amélie Putain

2 Antworten zu “Ares: «Nach meinem Outing war das Mobbing wie verflogen»”

  1. Sara sagt:

    Ich durfte Ares bereits live miterleben und bin begeistert von ihrem Talent! Mit ihren jungen Jahren ist sie bereits eine Inspiration für viele.

  2. Anja sagt:

    Loooove Ares! Danke Ares & Kevin für das tolle Interview <3

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21.11.2023
von Kevin Meier
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