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Die Frau Interview

Emma Hodcroft und Lavinia Heisenberg: Forscherinnen allein auf weiten Fluren

29.03.2025
von Katja Deutsch

Eine Karriere als Forscherin kann äusserst erfüllend sein, erfordert jedoch neben Enthusiasmus auch viel Durchhaltevermögen, Durchsetzungskraft und die Bereitschaft zu häufigen Ortswechseln. Prof. Dr. Lavinia Heisenberg, Professorin für Physik und Kosmologie und Core Member mehrerer Diversity-Equality-Inclusion (DEI) Committees und Gewinnerin des DEI Preises der ETH Zürich, beschäftigt sich mit fundamentalen Fragen des Universums und der Schwerkraft. Prof. Dr. Emma Hodcroft, Assistenzprofessorin am Swiss Tropical and Public Health Institute (Swiss TPH) in Verbindung mit der Universität Basel, forscht zu Phylogenetik, molekularer Epidemiologie und Evolution. Die beiden preisgekrönten Wissenschaftlerinnen sprechen über ihre Erfolge und die Herausforderungen, als Frauen täglich in einem rein männerbesetzten Umfeld zu arbeiten.

Prof. Dr. Emma Hodcroft,Assistenzprofessorin am Swiss TPH

Prof. Dr. Emma Hodcroft
Assistenzprofessorin am Swiss TPH

Prof. Dr. Emma Hodcroft, Sie haben Biologie studiert und sich später auf molekulare Epidemiologie spezialisiert – lange vor Covid-19. Was hat Ihr Interesse an diesem Gebiet geweckt?

Zufall spielte eine grosse Rolle! Während meines Masterstudiums in Edinburgh interessierte mich, wie genetische Veränderungen Populationen beeinflussen. Eigentlich wollte ich ökologische oder theoretische Themen erforschen, doch dann ergab sich eine Stelle in einem HIV-Projekt – und ich griff zu!

Dabei erkannte ich, dass Infektionskrankheiten eine einzigartige Möglichkeit bieten, Evolution in Echtzeit zu beobachten. Während sich eine Hirschpopulation kaum verändert, lassen sich diese Prozesse bei Viren nahezu live verfolgen. HIV zeigte mir, wie gezielt sich Evolution erforschen lässt – der Schlüsselmoment für mein Interesse an molekularer Epidemiologie.

In meiner Promotion und meinem ersten Postdoc zu HIV ermöglichten günstige Sequenzierung und steigende Rechenleistung umfassendere Virusanalysen. 2017, nach meinem zweiten Postdoc, war der ideale Zeitpunkt, diese Methoden auf weitere Viren anzuwenden – lange vor Covid-19.

Medizin studieren mittlerweile mehr Frauen als Männer. Wie sieht es mit Biologie aus?

Als ich das Vereinigte Königreich verliess, promovierten dort in Biologie etwa gleich viele Frauen wie Männer. Doch bereits zwischen dem ersten und zweiten Postdoc sowie in frühen akademischen Positionen nimmt der Frauenanteil stark ab. Frauen sind in leitenden Positionen der Forschung immer noch eine ausgesprochene Minderheit.

Was waren Ihre wichtigsten und bedeutendsten Erfolge auf Ihrem Weg zur etablierten Forscherin?

Meine bedeutendsten Erfolge lassen sich in zwei Kategorien einteilen: wissenschaftliche Errungenschaften und breitere Auswirkungen.

Wissenschaftlich bin ich besonders stolz auf die Identifizierung einer der ersten Sars-CoV-2-Varianten (EU1-Variante) im Sommer 2020, den Erhalt des SNF-Startstipendiums und die Anerkennung meiner Forschung durch Auszeichnungen in der Phylogenetik.

Darüber hinaus ist mir die Wissenschaftskommunikation ein grosses Anliegen. Während der Pandemie konnte ich komplexe Themen verständlich erklären und durch Aufklärung Menschen dabei helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Ein weiteres Highlight war die Einführung von Pathoplexus, einer Plattform zur besseren und gerechteren Datennutzung in meinem Fachgebiet.

Wie können Frauen in hochkomplexen Forschungsbereichen sichtbarer werden?

Frauen in der Wissenschaft sichtbarer zu machen, ist wichtig, um Vorbilder zu schaffen und jungen Frauen zu zeigen, dass diese Karrierewege möglich sind. Doch eine kleine Gruppe kann nicht die ganze Verantwortung für eine gerechtere Repräsentation tragen.
Sichtbarkeit sollte ohne zusätzlichen Druck gefördert werden – durch diverse Fotos, Webseiten, Konferenzpanels oder faire Medienpräsenz.

Frauen sind in leitenden Positionen der Forschung immer noch eine ausgesprochene Minderheit. – Prof. Dr. Emma Hodcroft, Assistenzprofessorin am Swiss TPH

Ein Problem ist, dass gesellschaftliche Erwartungen und ungleiche Elternzeiten besonders in entscheidenden Karrierephasen im hochkompetitiven akademischen Umfeld den Fortschritt von Frauen erschweren. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Verantwortung. Skandinavische Länder sind hier Vorreiter, sie bieten flexiblen, geteilten Elternurlaub an, oft mit einer «Use it or lose it»-Regelung, bei denen Väter ihren Anteil nehmen müssen, sonst verfällt er.

Wie könnte man Forschungserkenntnisse für die allgemeine Öffentlichkeit verständlicher machen?

Soziale Medien wie X, BlueSky und Mastodon sind wertvolle Werkzeuge, um wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich zu vermitteln. Darüber hinaus helfen formelle Kommunikationskurse Forschenden dabei, sich auf Interviews vorzubereiten und effektive Strategien zu erlernen. Durch gezielte Schulungen können Interessierte die richtigen Werkzeuge für die Wissenschaftskommunikation an die Hand bekommen.

Ihre Forschung hat hochrelevante gesellschaftliche Themen beeinflusst, insbesondere den Umgang mit Covid-19. Erwarten Sie in Zukunft weitere Pandemien?

Pandemien sind ein wiederkehrender Teil der Menschheitsgeschichte und ich gehe davon aus, dass es auch in der Zukunft weitere geben wird. Wann genau, ist jedoch schwer vorherzusagen, da viele Faktoren beeinflussen, ob sich ein Ausbruch zu einer Pandemie entwickelt. Wir müssen deshalb unsere Forschung breit aufstellen.

Welche drei Ratschläge würden Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere in der Forschung anstreben?

Erstens: Bleib entschlossen und stark. Eine Karriere in der Forschung ist herausfordernd und es wird Momente geben, in denen du zweifelst. Erinnere dich immer daran, warum du diesen Weg gewählt hast, und halte an deinen Zielen fest.

Zweitens: Wähle ein Forschungsgebiet, das dich wirklich begeistert. Wissenschaft kann frustrierend sein, und Projekte dauern oft Jahre. Wenn du nicht für dein Thema brennst, wird es schwer, langfristig motiviert zu bleiben.

Drittens: Definiere Erfolg nicht nur über eine akademische Laufbahn. Nur wenige werden Professoren mit Festanstellung. Glücklich ist, wer sagen kann: «Ich habe an spannenden Projekten mitgearbeitet, grossartige Menschen getroffen und meine Zeit genossen.»

Prof. Dr. Lavinia Heisenberg,Professorin für Physik und Kosmologie

Prof. Dr. Lavinia Heisenberg
Professorin für Physik und Kosmologie

Prof. Dr. Lavinia Heisenberg, Ihre Neugier auf das Universum und die Gravitation haben Sie zum Physikstudium bewogen. Wie viele Frauen haben mit Ihnen im Hörsaal gesessen?

Damals machten Frauen weniger als ein Prozent aus.

Hatten Sie zumindest auch mal Professorinnen?

Ich selbst nie im Studium. Später dann, egal, an welcher Universität ich als Assistant Professor, Professorin oder Gast tätig war – fast immer war ich die einzige Frau im Institut.

Wurden Sie von den Professoren im Vergleich zu den männlichen Kommilitonen anders wahrgenommen und behandelt?

Das ist eine schwierige Frage, da vieles vermutlich unbewusst abläuft. Doch wir wenigen Frauen werden definitiv anders behandelt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich alles viel besser machen musste als meine männlichen Kollegen – eine Extrameile gehen, zusätzliche Erfolge sammeln, noch einen Preis gewinnen.

Gleichzeitig wurden kleine Fehler oft unverhältnismässig aufgebauscht.

Vielleicht sind tief verwurzelte gesellschaftliche Vorurteile der Grund dafür. Frauen fühlen sich dann schnell fehl am Platz und ziehen sich eher zurück. Ich jedoch versuche, solche Dinge im Alltag auszublenden, mit Leichtigkeit zu nehmen und mich auf das zu konzentrieren, was mir jeden Tag Spass macht und Freude bereitet – insbesondere auf die Studierenden.

Was waren Ihre wichtigsten Erfolge auf dem Weg nach oben?

Zwei wissenschaftliche Arbeiten aus meiner Community erregten schnell grosse Aufmerksamkeit: Eine untersuchte modifizierte Schwerkraft unter Einbeziehung eines zusätzlichen vektoriellen Feldes, die andere – bekannt als Geometrical Trinity of Gravity – analysierte verschiedene geometrische Eigenschaften der Raumzeit zur Beschreibung der Schwerkraft. Während Einstein sie als Krümmung der Raumzeit interpretierte, schlug ich vor, sie auch durch die Nicht-Metrik-Eigenschaft der Raumzeit zu beschreiben – mit weitreichenden Konsequenzen für die Kosmologie und die Gravitationsforschung.

Ein weiterer Erfolg war, dass ich bereits als sehr junge Assistenzprofessorin als Führungspersönlichkeit anerkannt wurde und mehrere Leadership-Preise gewann.

Wie ist der Stand von Frauen in Wissenschaft und Forschung heute? Welchen Herausforderungen müssen sie sich noch immer stellen?

Frauen fühlen sich oft fehl am Platz oder glauben, ihre Erfolge seien blosser Zufall und nicht das Ergebnis harter Arbeit (Impostor-Syndrom) – und geben deshalb zu früh auf.

In meinen Vorlesungen erlebe ich immer wieder, dass selbst hervorragende Studentinnen an sich zweifeln und sich weniger zutrauen. Tief verwurzelte gesellschaftliche Strukturen vermitteln ihnen vielleicht, dass bestimmte Berufe nicht für Frauen gedacht sind.

Sichtbarkeit und weibliche Role Models sind wichtig, doch echte Gleichberechtigung erfordert mehr als Symbolpolitik. – Prof. Dr. Lavinia Heisenberg, Professorin für Physik und Kosmologie

Auch die Familienplanung macht eine akademische Laufbahn besonders herausfordernd: Befristete Postdoc-Stellen erfordern ständige Ortswechsel, oft bis ins 40. Lebensjahr – ein Alter, in dem es für viele zu spät ist, eine Familie zu gründen. Zudem ziehen die Ehefrauen meiner männlichen Kollegen mit den Kindern meist hinterher, wenn ein neues Forschungsangebot kommt. Umgekehrt habe ich in meinen Beziehungen diese Bereitschaft selten erlebt.

Wie könnten Frauen in physikalischen Forschungsbereichen sichtbarer werden?

Das Problem ist nicht die fehlende Sichtbarkeit. Oft war ich prominent auf den Webseiten der Institute und Universitäten vertreten, an denen ich tätig war – als Aushängeschild für erfolgreiche Frauenförderung. Doch hinter den Kulissen sah die Realität oft ganz anders aus.

Frauenförderung wird möglicherweise häufig aus äusserem Druck betrieben, etwa durch Drittmittelgeber, die bestimmte Quoten verlangen. Sichtbarkeit und weibliche Role Models sind wichtig, doch echte Gleichberechtigung erfordert mehr als Symbolpolitik – sie muss mit tiefgehenden strukturellen Veränderungen einhergehen.

Welche Kommunikationswege und Plattformen könnten Sie nutzen, um Ihre Forschungen und Ergebnisse allgemein verständlich zu vermitteln?

Ich habe einfach keine Zeit für Social-Media-Plattformen. Ich werde oft zu Outreach-Events eingeladen, bei denen ich gut verständliche Vorträge für die Öffentlichkeit halte. Ich engagiere mich gerne dafür und versuche, meinen Enthusiasmus weiterzugeben – speziell für Kinder, in Schulen, bei der ESA.

Inwiefern könnte Ihre Forschung aktuelle gesellschaftliche Themen beeinflussen?

Oft heisst es, die Grundlagenforschung sei unwichtig, denn sie habe ja keine direkte Anwendung für die Gesellschaft. Doch zukünftige Erkenntnisse daraus könnten in Zukunft unverzichtbar werden. Einsteins Theorie der Schwerkraftkrümmung war anfangs rein abstrakt, doch heute ist sie essenziell für die Genauigkeit unserer GPS-Systeme. Ähnlich könnte meine aktuelle Forschung irgendwann neue Energiequellen, Transportmöglichkeiten oder bahnbrechende Technologien ermöglichen.

Welche drei Tipps würden Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere in der Forschung anstreben?

Glaubt an euch und legt die Selbstzweifel ab! Ihr habt die gleichen Fähigkeiten wie Männer, vielleicht sogar bessere! Wenn ihr Träume habt, kämpft dafür und gebt nicht auf, auch wenn der Weg mit Hürden verbunden ist!

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