Seit dreissig Jahren steht Kate Winslet vor der Kamera: Sie überlebte den Untergang der «Titanic», bekam Fischhäute in «Avatar» und gab zuletzt als Diktatorin mit Schimmelphobie in der absurden Miniserie «The Regime» den Ton an. Nun treten ihre älteren beiden Kinder in ihre Fussstapfen: Unlängst spielten die drei in einem britischen TV-Film eine Familie in der Krise.
Kate Winslet hat ein Geheimnis. Besser gesagt: Sie wird von einem Missverständnis verfolgt. Die viel gelobte Schauspielerin, die in ihrer drei Dekaden umspannenden Karriere einen Oscar, diverse Golden Globes, Emmys und Baftas sowie den Titel «Commander of the Order of the British Empire» angesammelt hat, hat eigentlich gar keine klassische Schauspielausbildung. «Aber viele denken das und haben dann Angst vor mir, weil ich ihnen angeblich etwas voraushabe», erzählt sie 2018 im Interview zum Film «Wonder Wheel». «Dabei habe ich nur eine Rosette und ein Zertifikat, dass ich qualifiziert bin, diesen Beruf auszuüben. Von den über Jahre auch im Theater trainierten britischen Kollegen und Kolleginnen bin ich jedoch weit entfernt.» Sie achtet am Anfang eines Drehs deshalb auf einen lockeren Umgang. Sie sei selber auf dem Set nicht selten verunsichert, versuche es aber zum allgemeinen Wohl zu verbergen: «Ich halte es wie die Flugbegleiter: Wenn die keine Panik zeigen, schätzt man als Passagier die Turbulenzen auch als weniger schlimm ein.»
Turbulent geht es auch in Winslets neuestem schauspielerischen Opus zu und her: In der absurden Miniserie «The Regime» spielt sie Elena Vernham, die autokratische Kanzlerin eines fiktiven zentraleuropäischen Landes, die eine Schimmelphobie hat und sich für Photo-Ops das Kind ihres Dienstmädchens ausleiht. Unter dem Einfluss ihres Korporals/Bodyguards/Lovers Herbert Zubak (Matthias Schoenaerts) macht sie mit ihren manischen Ideen Volk und Verbündete gleichsam verrückt. «Es war ein wirklich komplizierter Prozess, Elena zusammenzubauen», erinnert sich die 48-Jährige während einer virtuellen Pressekonferenz. «Ich hatte grosse Angst, dass ich das nicht hinkriege, aber darüber sprachen wir nicht. Höchstens flüsternd in einer Ecke. Ich musste meine Zweifel überwinden und einfach daran glauben, dass meine Interpretation okay ist.» Klar war ihr indes, dass sie nicht ihren eigenen britischen Akzent verwenden konnte, denn sie wollte sichergehen, dass das Publikum die absurde Geschichte nicht versehentlich mit dem Buckingham Palace in Verbindung bringen würde.
Wie es sich für eine arrivierte Schauspielerin wie Kate Winslet gehört, hat sie die durchgeknallte Diktatorin Elena mithilfe seriöser Recherche geerdet: «Ich habe mit Fachkräften auf dem Gebiet der Neurowissenschaft und der Psychologie zusammengearbeitet, um zu lernen, welche Auswirkungen gewisse Traumata in der frühen Kindheit später auf sie haben könnten. Ihre Beziehung mit ihrem verstorbenen Vater, den sie einbalsamiert aufbewahrt und mit dem sie konversiert, ist ja sehr fragwürdig. Ich wollte herausfinden, in welchem Zusammenhang ihre Reaktionen in der Gegenwart mit dem standen, was sie allenfalls als Kind erlebt hatte.» Ihre Interpretation von Elena, die mit ihren goldenen Zopffrisuren zumindest äusserlich an die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko erinnert, fasziniert entsprechend erwartungsgemäss.
«Bin ich wirklich für mich eingestanden?»
Dreissig Jahre ist es nun her, dass der neuseeländische Filmemacher Peter Jackson die Schauspielerin aus der Londoner Vordstadt Reading für das Psycho-Drama «Heavenly Creatures» entdeckt hat. Vier Jahre später wurde sie dank «Titanic» zum internationalen Superstar. Obwohl früh ganz oben angekommen, ist sie sich bewusst, dass man immer Neues lernen und Altbekanntes neu überdenken kann und auch muss. Während sie ihre Zusammenarbeit mit Woody Allen («Wonder Wheel») und Roman Polanski («Carnage») anfänglich verteidigte, liess sie sich schliesslich eines Besseren belehren. In einem «Variety»-Video-Interview am Filmfestival von Toronto drückte sie ihr Bedauern aus, mit den beiden Filmemachern, denen Kindesmissbrauch vorgeworfen wird, gearbeitet zu haben: «Wir lernen dazu, wir verändern uns und wir sollten alle sagen dürfen: Das hätte ich nicht machen sollen. Es ist eine seismische Zeit für uns alle, in der wir einiges hinterfragen… Aber was man auch nicht vergessen darf: Diese Individuen waren in der Filmindustrie jahrzehntelang erprobt und gelobt und uns Schauspielern wurden sie als okay für eine Zusammenarbeit präsentiert. Aber ja, ich hätte es nicht tun sollen.»
Während unseres Interviews zum Kostümdrama «Ammonite», einer im 19. Jahrhundert angesiedelten lesbischen Lovestory, blickt sie zudem kritisch auf die Liebesszenen, die sie über die Jahre gedreht hat, zurück: «Ich habe realisiert, dass ich in früheren Filmen objektifiziert wurde. Nur merkte ich das damals gar nicht», ordnet sie ein. «Ich bin deswegen nicht wütend. Aber ich frage mich jetzt, ob ich mit all den Liebesszenen, die ich gespielt habe, wirklich so einverstanden war. Bin ich wirklich für mich eingestanden und habe ich die Szenen so mitchoreografiert, dass es aus der Sicht der Frau stimmte?»
Ich hatte grosse Angst, dass ich das nicht hinkriege, aber darüber sprachen wir nicht. Höchstens flüsternd in einer Ecke. Ich musste meine Zweifel überwinden und einfach daran glauben, dass meine Interpretation okay ist.
Die Kinder treten in ihre Fussstapfen
Den Beruf selbst hat Kate Winslet jedoch nie hinterfragt. Ein Leben ohne die Schauspielerei wäre für sie auch schwer vorstellbar gewesen. Ihre Grosseltern waren bereits Schauspieler und führten in Reading ein Theater. Ihr Vater war Schauspieler und ihre beiden Schwestern sind es ebenso. Kate besuchte eine Theaterschule, landete aber nie die Hauptrollen, weil sie übergewichtig war. Mit sechzehn verliess sie die Schule, um Geld zu verdienen. Sie erhielt kleine TV-Rollen und jobbte in einem Delikatessladen. Inzwischen offenbar schlank genug, erfolgte der Durchbruch 1994 mit «Heavenly Creatures». Der Film basiert auf wahren Begebenheiten und handelt von den zwei unzertrennlichen Freundinnen Juliet (Kate Winslet) und Pauline (Melanie Lynskey), die sich eine eigene Welt zusammenfantasieren und die den Mord an der Mutter von Pauline orchestrieren. Darauf klopften Star-Regisseure wie Ang Lee («Sense and Sensibility», 1995), Kenneth Branagh («Hamlet», 1996) und James Cameron («Titanic», 1997) bei ihr an. Kate Winslet war bereits mit 22 Jahren unwiderruflich in Hollywood etabliert.
Inzwischen steht bereits die nächste Generation vor der Kamera: Kate Winslets 23-jährige Tochter Mia Honey Threapleton trat 2021 im Rahmen der britischen Anthologie-Serie «I Am» an der Seite ihrer Mutter in «I Am Ruth» auf. Winslet spielt Ruth, die nicht zu ihrer rebellierenden und Social-Media-süchtigen Tochter Freya (Mia) durchdringen kann. Die vaterlose Film-Familie wird durch Winslets Sohn und Mias Halbbruder, der 20-jährige Joe Alfie Mendes, ergänzt. «Zum Glück sind sie gut und mit ihnen zu drehen schien ganz normal», erklärt Kate Winslet gegenüber der Fashion-Webseite «Porter». «Diese Kinder haben mit mir meine Dialoge geübt, seit sie lesen können.» Dass Mia nicht den berühmten Nachnamen ihrer Mutter trage, sei zudem ein Vorteil: «So wissen die meisten nicht, dass sie meine Tochter ist. Das ist gut für ihr Selbstvertrauen.» Für Joe dürfte das schwieriger sein, denn sein Vater ist Kate Winslets zweiter Ehemann, Regisseur und Oscar-Preisträger Sam Mendes («Skyfall», «1917»).
Sie selber hat den Nachnamen ihrer Ehemänner nie angenommen – auch nicht, als sie sich nach ihrer dritten Hochzeit hätte Mrs. Rocknroll nennen können: Seit 2012 ist sie nämlich mit Edward Abel Smith – auch bekannt als Ned Rocknroll – verheiratet. Sie sind die Eltern des zehnjährigen Sohnes Bear Blaze Winslet. Die Schauspielerin lernte den Neffen von Milliardär Richard Branson kennen, als beide auf Bransons Privatinsel in der Karibik Urlaub machten. Als ein Feuer ausbrach, half Winslet, Bransons 90-jährige Mutter aus der Villa zu retten. Offenbar schweisste das feurige Erlebnis zusammen: Ein Jahr später waren Kate Winslet und Ned Rocknroll verlobt und im Dezember 2012 verheiratet. Winslets «Titanic»-Co-Star Leonardo DiCaprio führte sie angeblich zum Altar. Wie sie in der Talkshow von Stephen Colbert erklärte, war es ihr irgendwann zu viel, in Interviews und auf Formularen den amtlich auf Ned Rocknroll geänderten Namen ihres Mannes zu erklären. Und so änderte er den Namen schliesslich zurück auf Edward Abel Smith. Der ehemalige Marketing-Beauftragte soll allgemein gut darin sein, Wünsche zu erfüllen und übernimmt die häuslichen Pflichten, wenn seine Frau arbeitet: «Mein kreatives Leben war in den letzten Jahren sehr bunt», so die Schauspielerin gegenüber «People». «Ich habe einen wundervollen Mann in meinem Leben, der eine grosse Stütze ist und mir diese Erfahrungen erst ermöglicht. Es ist eine gute Zeit für mich, und ich habe echt viel Spass!»
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