Interview von Kevin Meier

Roger Schawinski: «Meine Aufgabe ist, im Gleichschritt neue Türen zu öffnen»

Roger Schawinski muss man kaum vorstellen, schliesslich hat er die Schweizer Medienlandschaft als Pionier geprägt. Neben der Lancierung von Kassensturz, dem ersten privaten Radiosender Radio 24 und dem ersten Privatfernsehsender TeleZüri, machte er sich auch als Journalist und Autor einen Namen. Mit «Fokus» spricht er über Beruf, seine Generation und seinen Antrieb.

Roger Schawinski muss man kaum vorstellen, schliesslich hat er die Schweizer Medienlandschaft als Pionier geprägt. Neben der Lancierung von Kassensturz, dem ersten privaten Radiosender Radio 24 und dem ersten Privatfernsehsender TeleZüri, machte er sich auch als Journalist und Autor einen Namen. Mit «Fokus» spricht er über Beruf, seine Generation und seinen Antrieb.

Herr Roger Schawinski, wie würden Sie sich selbst als Person beschreiben?

Still crazy after all these years.

Apropos crazy; als Medienschaffender waren Sie zuweilen in Kontroversen verwickelt. Sind Sie eine provokante Persönlichkeit oder ist das Teil des Berufes?

Als Journalist komme ich nur zu einem Blick hinter die Schokoladenseite meines Gastes, wenn ich hie und da eine überraschende oder auch einmal eine provokative Frage stelle. Ich habe keine Angst, deswegen nicht Everybody’s Darling zu sein, wie es leider allzu viele Leute in meinem Beruf konsequent anstreben.

Gilt dies ebenso im Leben allgemein?

Ja, klar, weil ich eine Haltung als Journalist und als Mensch habe. Ich rede den Leuten nicht nach dem Mund, auch im Privaten nicht. Ich versuche immer, offen und ehrlich zu sein. Das stösst hie und da an. Ich mache das, weil ich am Morgen wieder in den Spiegel schauen können muss. 

Sie haben die Schweizer Medienlandschaft aktiv mitgestaltet. Woher kommt dieser Elan?

Es ist mein offener Geist, mein Enthusiasmus, der bis heute nicht erloschen ist, wenn ich auf eine neue Idee oder ein neues Projekt stosse. Und dank meiner Interviews bei Radio und Fernsehen habe ich einen Vorwand, viele spannende Menschen zu treffen. Dies ist für mich eine Form von Gehirnjogging, von dem ich in meinem Alter besonders profitiere. 

Die berühmtesten Menschen geben jedoch nicht immer die besten Interviews. Roger Schawinski

Welche Interviews sind Ihnen besonders geblieben?

Sehr viele. Ich habe Tausende Interviews geführt und einzelne hervorzuheben, fände ich schade. Immer Ende des Halbjahrs erscheint im Doppelpunkt ein Best-of. Da bin ich selbst überrascht, wie viele spannende Sendungen ich führen konnte. Als Beispiel würde ich das Folgende nennen: Kürzlich habe ich für Doppelpunkt ein Interview mit dem 93-jährigen Werner Merzbacher geführt. Er kam als jüdisches Kind in die Schweiz und sah seine Eltern nie mehr; sie wurden im KZ Majdanek vergast. Seine grossartige Kunstsammlung hat er nun dem Kunsthaus Zürich für 20 Jahre zur Verfügung gestellt. Was mich besonders beeindruckte, war, wie er sagte, dass er es schlicht toll finde, dass es ihn noch gibt. Diese Art von Resilienz und Optimismus ist bei einem 93-Jährigen mit einem solch schweren Schicksal beispielhaft.

Gibt es eine Person, die Sie noch gerne interviewen würden?

Ja, es kommen immer wieder neue Leute auf. Das ist auch abhängig von der aktuellen Situation. Die berühmtesten Menschen geben jedoch nicht immer die besten Interviews. Gute Gespräche ergeben sich mit Personen, die sich öffnen und nicht lediglich ihre Harddisk runterrattern. Interessante Lebensgeschichten findet man nicht nur bei Menschen, die im Zentrum der Öffentlichkeit stehen. Ich staune selbst darüber, dass ich immer wieder Leute mit spannenden Geschichten entdecke. Meine Neugierde ist nach wie vor vorhanden und nach einem Gespräch bin ich sehr oft absolut beglückt.

Die Medienbranche ist also immer noch Ihre Leidenschaft.

Ja, absolut. Im Gegensatz zu Menschen, die zwangspensioniert werden, habe ich ein Privileg. Ich kann selbst bestimmen, wann genug ist. Ich habe auch ein bisschen etwas dafür getan, dass ich dies erreicht habe. Solange ich keine Ausfälle bei Namen und Daten habe, mache ich wohl weiter.

 

Roger SchawiniskiWelche Themen geben Ihnen derzeit zu denken?

Als Angehöriger der glücklichsten Generation der Menschheitsgeschichte erlebe ich wegen Corona Extremsituationen wie nie zuvor. Es überrascht mich, wie wenig reflektiert mit dieser beispiellosen Krise umgegangen wird. Offenbar haben wir in der Schweiz nie gelernt, uns in einer Gefahrenlage sinnvoll und vernünftig zu verhalten, weil uns Vergleichbares bisher glücklicherweise nie widerfahren ist. 

Können Sie das ausführen?

Mit Corona erleben wir zum ersten Mal eine heftige Situation, die wir nicht richtig einschätzen können und in der wir uns nicht korrekt verhalten. Es ist schon unglaublich, mit welcher Unvernunft die Schweiz, die im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern kaum je Katastrophen erlebt hat, mit dieser Krise umgeht. Dass wir sowohl mit Impfungen als auch Boostern an letzter Stelle stehen, ist für mich ein Armutszeugnis. Die Leute scheinen nicht zu glauben, dass bei uns etwas ernst ist, und dass man deswegen konsequent handeln muss. Sie denken, dass die eigene Befindlichkeit das Wichtigste sei und blicken nicht über den Tellerrand.

Stellen Sie einen Mangel an Solidarität fest?

Das sowieso. Einige sagen, sie bestimmen alleine über ihren Körper, ohne zu realisieren, dass sie eine soziale Verantwortung tragen. Der Spruch ist mittlerweile Allgemeingut: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Das ist vielen Menschen nicht klar. 

Kommen wir auf das Thema der Ausgabe zu sprechen. Haben Sie sich je nach Lebensphase verschieden gefühlt?

Absolut. Jede Lebensphase bringt eine andere Befindlichkeit mit sich. Wenn man sich darüber klar wird, kann man auf immer neue Weise optimistisch bleiben. 

Das Bestmögliche aus jeder Lebensphase herauszuholen, erfordert auch Ernsthaftigkeit. Roger Schawinski

Sind es diese unterschiedlichen Befindlichkeiten, die zuweilen zu Reibungen zwischen den Generationen führen?

Nicht unbedingt. Ich glaube eher, dass sich etwas gewandelt hat. Meine Generation der nach dem Krieg Geborenen hat alles verändert. Unsere Altersgruppe hat die sexuelle Befreiung gebracht, den Rock ’n’ Roll, die Umweltbewegung und Weiteres. Damit unterscheiden wir uns sehr von allen Generationen vor uns. Wir werden nun auch die letzte Phase auf eine andere Weise bestreiten, als es die vorherigen Altersgruppen getan hat. Dabei könnten wir eine gewisse Vorbildfunktion einnehmen für die Jüngeren, die uns folgen werden. Wir könnten zu Role Models werden, wenn wir es richtig anpacken.

Haben Sie eine Lieblingslebensphase?

Immer die derzeitig Aktuelle. Ich möchte stets das Beste aus der jetzigen Lebensphase herausholen, sodass wenn man zurückschaut, nicht das Gefühl aufkommt, etwas Wichtiges verpasst zu haben. Fehler gehören dazu, aber prinzipiell soll man sich selbst treu bleiben und sich nicht korrumpieren lassen. Das Bestmögliche aus jeder Lebensphase herauszuholen, erfordert auch Ernsthaftigkeit, um das Wichtigste zu erkennen: die eigene körperliche und geistige Gesundheit, Fitness und die Familie. Ausserdem muss man Verantwortung für sich und die Menschen im Umfeld und in der Gesellschaft übernehmen, also im Privaten wie auch im Beruflichen.

Was bedeutet Alter für Sie?

Es schliessen sich laufend weitere Türen. Meine Aufgabe ist es, im Gleichschritt neue zu öffnen. Zum Beispiel Golf statt Marathon, den ich früher so sehr liebte. 

Gehen Sie mit Rückschlägen heute anders um als in einem jüngeren Alter?

Ich muss heute nicht mehr alles auf eine Karte setzen, wie ich es früher getan habe. Ich erfreue mich nun mehr an den Erfolgen meiner drei Kinder als an meinen eigenen. Was ich jetzt noch mache, ist bestenfalls eine Zugabe, die ich allerdings genauso professionell abliefern möchte wie früher. 

Haben sich weitere Türen geschlossen?

Gewisse Leistungswerte gehen zurück. Es kann sich auf die Art äussern, dass man mehr Ruhepausen benötigt. Zudem gibt es auch Leute im Umfeld, die nicht mehr da sind. Zum Teil muss man wieder neue Freundschaften suchen, damit der Kreis nicht immer enger wird. 

In welchen Situationen fühlen Sie sich alt?

Wenn ich beim Tennis einen Stoppball holen soll und erlebe, dass meine Reaktionszeit massiv schlechter geworden ist. Mein Gehirn und meine Knie teilen mir gnadenlos mit, wo die Grenzen heute sind. 

Denken Sie, es gibt ein Alter, ab welchem sich etwas grundlegend ändert, wie beispielsweise die oft zitierte 50?

Viele haben das Gefühl, dass das Beste bereits hinter ihnen liegt, dass es von nun an nur noch abwärts geht. Gegen diese Haltung muss man aktiv und gezielt angehen. 

Sind diese Altersgrenzen vor allem eine Wahrnehmungssache in den Köpfen der Menschen?

50 Plus ist eher tief angesetzt, ich bin jetzt 75 Plus. Ich sehe lieber in die Zukunft und möchte möglichst vieles weiterhin tun, was ich bis anhin gemacht habe. Ich möchte nicht unbedingt darauf achten, was nicht mehr möglich ist, sondern darauf, was machbar ist und dieses noch intensiver geniessen. Ein vielleicht etwas banales Beispiel ist die Natur. Diese geniesse ich heute um einiges deutlicher als früher. Ein wunderbarer Sonnenuntergang berührt mich heute mehr als in jungen Jahren. 

Wie kann man gegen diese innere Haltung vorgehen?

Man muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, sich in jeder Beziehung laufend informieren und die richtigen Entscheidungen fällen. Beispielsweise esse ich seit 30 Jahren nur ganz wenig Fleisch. Nun zeigt sich, dass rotes Fleisch der Gesundheit nicht zuträglich ist. Das war also keine schlechte Entscheidung. Ausserdem trinke ich wenig Alkohol, rauche nicht und halte mein Gewicht seit 30 Jahren, auch durch Fitness. Da scheine ich einige Dinge richtig gemacht zu haben. 

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13.01.2022
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