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Sinnlichkeit im Alter geniessen

21.01.2021
von Lars Meier

«Ältere Menschen haben gar kein Bedürfnis mehr nach Sinnlichkeit, geschweige denn Sex», lautet eine weitverbreitete Meinung. Diese ist jedoch völlig falsch. Warum es dieses Bild zu enttabuisieren gilt und wie man auch noch im fortgeschrittenen Alter ein bereicherndes Sexualleben führen kann.

Mit zunehmendem Alter verändert sich auch die Sexualität. Als Grund dafür lassen sich mehrere Punkte nennen, wie Sexologin Simone Dudle anführt: «Einflüsse auf die Sexualität im Alter sind nebst der individuellen sexuellen Biographie auch die emotionale Qualität der Beziehung sowie Umwelteinflüsse, Gesundheit und natürliche, körperliche Veränderungen von Mann und Frau.»

Der Mensch als sexuelles Wesen

Das Bild von alten Leuten, für die Sexualität gar keine Rolle mehr spielt, ist zwar weit verbreitet; die Praxis sieht hingegen anders aus. So begleitet Simone Dudle in ihrer Praxis auch Menschen im dritten Lebensabschnitt. «Sexualität ist weit mehr als Geschlechtsverkehr. Das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, Zärtlichkeit und Beziehung bleibt ein Leben lang bestehen», hält die Expertin fest. «Der Mensch ist bis zu seinem Tod ein sexuelles Wesen. Dabei hat die lebensgeschichtliche Bedeutung, die ein Mensch der Sexualität gibt, Einfluss auf sein Verhalten im Alter. Spielt Sexualität in jungen Jahren eine wichtige Rolle, ist das sexuelle Interesse auch in der zweiten Lebenshälfte grösser als bei Menschen, die ihr in jungen Jahren nur eine geringe Bedeutung zugemessen haben.»

Das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, Zärtlichkeit und Beziehung bleibt ein Leben lang bestehen. Simone Dudle

Unabhängig davon, wie alt man ist: Sexualität ist ein fortlaufender Prozess und sehr individuell. Dies betont auch Simone Dudle: «Sexualität ist kein Zustand. Als Teil der Persönlichkeit verändert sie sich im Laufe des Lebens.»

Sexualität im Alter als Tabuthema

Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar enorm gewandelt und sich auch gegenüber der Sexualität geöffnet, doch nicht in allen Bereichen gleich stark. «Sexualität im Alter wird in unserer Gesellschaft noch oft tabuisiert, nicht ernst genommen oder verniedlicht dargestellt », kritisiert die Expertin. Dieses Bild bleibt nicht ohne Folgen. Frauen und Männer, die sich im dritten Lebensabschnitt verlieben oder ihrer Sexualität weiter wieder neuen Raum geben, sehen sich gemäss Simone Dudle häufig mit Unverständnis, Unmut oder Unwille von verschiedenen Seiten her konfrontiert. Sie behalten im Zuge dessen diesen Aspekt von Lebensqualität eher für sich. Nicht selten fühlen sie sich mit ihren Fragestellungen alleine gelassen.

Keine Frage des Alters

«Wie bei jüngeren Menschen auch, bleibt das Erleben von befriedigender Sexualität ein wichtiger Aspekt des körperlichen und psychischen Wohlbefindens. Der Wunsch nach Geborgenheit, nach wertschätzender Berührung, nach Anerkennung als Mann und Frau bleibt ein Leben lang, auch wenn tendenziell die drängende sexuelle Lust der Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit weicht», ergänzt Simone Dudle. «Liebe und Sexualität ist keine Frage des Alters, wohl aber eine Frage, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Sexualität im Alter umgeht. Es braucht die Sichtweise, dass Sexualität im Alter individuell, vielfältig und ‹normal› ist sowie glücklich machen kann. Sexualität kann, muss aber nicht, eine wertvolle Ressource im Alter sein. Es ist Zeit für einen gesellschaftlichen Wandel!»

Liebe und Sexualität ist keine Frage des Alters, wohl aber eine Frage, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Sexualität im Alter umgeht.

«Sinnlichkeit und Erotik sind nicht an die Funktion gebunden»

Altern geht mit körperlichen Veränderungen einher, was auch die Sexualität beeinflusst. Sexualität einzig auf den funktionierenden Geschlechtsverkehr zu beschränken, macht Druck, gerade dann, wenn körperliche Beschwerden oder natürliche Alterungsprozesse ein Funktionieren wie in jungen Jahren erschweren», weiss Simone Dudle. Doch dies muss das sexuelle Genusserleben nicht einschränken. Die Expertin hat einen Tipp parat: «Es kann hilfreich sein, das Augenmerk auf die Wahrnehmung, die Erotisierung des ganzen Körpers zu lenken. Sinnlichkeit und Erotik sind nicht an die Funktion und oder die Genitalien gebunden.»

Andere Fähigkeiten gewinnen an Bedeutung

Eine Folge des alternden Körpers ist, dass er mehr Stimulation und mehr Zeit braucht, um Sinneseindrücke zu verarbeiten. In der Langsamkeit können Sinnesempfindungen jedoch besser wahrgenommen werden. «Die natürliche Verlangsamung im Alter kann für das sexuelle Genusserleben bewusst genutzt werden», so die Expertin. Denn durch körperliche Veränderungsprozesse im Alter, die den klassischen Geschlechtsverkehr erschweren können, gewinnen gemäss Simone Dudle angeeignete sinnliche Fähigkeiten an Bedeutung. «Durch die Wahrnehmung mit allen Sinnen, vielfältiger Berührungsqualität, Humor und erfinderische Verführungsstrategien wird Sexualität im Alter und trotz allfälligen Widrigkeiten zum genussvollen Erlebnis, ob alleine oder zu zweit.»

Die Bedeutung der Vergangenheit

Letzten Endes korreliere die Qualität von gelebter Sexualität im Alter auch mit der Qualität einer Partnerschaft und mit der Qualität des Sexuallebens in früheren Jahren. «Bereits in jungen Jahren mit dem eigenen sinnlichen Körper und seinen emotionalen und körperlichen Bedürfnissen, Sehnsüchten und Fantasien in Kontakt zu sein, ist die beste Voraussetzung für ein genussvolles Sexualleben im Alter», bekräftigt Simone Dudle. Ressourcen von anderen Lebensphasen werden so mit ins Alter genommen.

Ein lebenslanger Begleiter

In jedem Fall brauche Sexualität lebenslange Anpassungen und den Mut, sich mit Veränderungen auseinanderzusetzen. «Bedürfnisse ändern sich, das ist nicht nur in der Sexualität so», ergänzt Simone Dudle. «Wer Sexualität als Prozess versteht und sich nicht am gesellschaftlichen Bild von omnipotenter Sexualität orientiert, kann sein persönliches sexuelles Profil in jeder Lebensphase erforschen, Anpassungen machen und neugierig dazulernen. Das eröffnet Spielraum und Lebendigkeit bis ins hohe Alter. Denn Sinnlichkeit, Zuwendung, Zärtlichkeit und Sexualität begleiten uns ein Leben lang, wie Simone Dudle zum Abschluss noch einmal betont. Die folgende Aussage einer 75-jährigen frisch verliebten Frau unterstreicht dies noch einmal besonders, welche die Expertin folgendermassen zitiert: «Im Alter gibt man weder das Essen noch das Trinken, noch das Schlafen auf. Warum also sollte man den Sex aufgeben?»

Text Lars Gabriel Meier

Mehr zum Thema Sexualität gibt es hier.

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