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Keine Gleichberechtigung für das männliche Opfer

25.01.2019
von Saina Riess

Viele Männer, die einen sexuellen Übergriff erleben mussten, schweigen aus Scham. Dieses Tabuthema besteht leider noch immer. Die Angst, über das Passierte zu sprechen ist bei vielen Opfern allgegenwärtig und verhindert die Heilung.

Die Gesellschaft wurde während der letzten Jahre immer stärker auf die weiblichen Opfer sexueller Gewalt aufmerksam. Viele Einrichtungen wie Frauenhäuser wurden für die Leidtragenden von Gewalt oder Vergewaltigung errichtet. Mit der #metoo-Bewegung im Jahre 2017 sind die Hilferufe der Frauen endlich erhört worden. 619 Vergewaltigungen sind laut einer Statistik von Statista in der Schweiz im selben Jahr (ausschliesslich die erzwungene vaginale Penetration) gemeldet worden. Das sind 31 mehr als im Jahr davor. Doch was ist mit den männlichen Opfern?

Dunkelzahlen der männlichen Opfer

Es existieren keine genauen Zahlen der männlichen Opfer von Sexualdelikten. Dies liegt allerdings nicht daran, dass Männer von sexuellen Übergriffen verschont bleiben. Die Dunkelziffer liegt hoch. Der Grund dafür ist das Schamgefühl der Opfer. Als Mann ist es besonders schwierig, sich nach einem sexuellen Übergriff, ob von einer Frau oder einem Mann, an jemanden zu wenden. Neben möglichen psychischen Schmerzen nach einer ungewollten Intimität, kommt die Angst hinzu, an Männlichkeit verloren zu haben. Verspottung, Gelächter und Zweifel an der Männlichkeit sind die Reaktionen, welche befürchtet werden. «Gewalt im häuslichen Bereich, also in Partnerschaften, ist inzwischen ein wenig enttabuisiert. Bei sexuellen Übergriffen ist es nach wie vor schwierig für Männer darüber zu sprechen», bestätigt Herr Mike Mottl, Geschäftsführer und Männerberater des mannebüro züri. «In unserer Vorstellung ist der Mann immer dazu bereit, Sex zu haben. Wenn er nicht bereit ist, wird er als «Pussy» beleidigt.»

Leider ist dieses Thema noch immer ein grosses Tabu. Wichtig jedoch ist, über das verletzende Ereignis zu sprechen. Falls keine Ansprechpartner wie Familie oder Freunde zur Verfügung stehen, ist das Sorgentelefon unter der Nummer 143 erreichbar.

Konflikt zwischen Körper & Geist

Es herrscht Verwirrung. Wie ist es möglich, eine Erektion zu kriegen, obwohl das Opfer eine Abwehrhaltung einnimmt und nicht will? Der Geist spielt dem Körper einen Streich. Durch den Stress, den Ekel und die Anspannung, entsteht eine Angstreaktion. Diese führt zu einem Reflex des Körpers, wodurch eine Erektion entstehen kann. Die Reaktion kann bis zu einem Samenerguss führen. Das fehlende Wissen über diese Mechanismen des männlichen Körpers, macht es für Aussenstehende teils schwierig, das Opfer ernst zu nehmen.

Wie ist es möglich, eine Erektion zu kriegen, obwohl das Opfer eine Abwehrhaltung einnimmt und nicht will?

Eine Vergewaltigung an einem Mann gilt bloss als sexuelle Nötigung

Das Schweizer Strafrecht definiert eine Vergewaltigung gemäss Artikel 190 wie folgt: «Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.»

«Eine Person weiblichen Geschlechts» ist das Stichwort. Für Personen des anderen Geschlechts gilt derselbe Tatumstand gemäss Artikel 190 lediglich als sexuelle Nötigung. Männer können demnach rechtlich gesehen kein Opfer einer Vergewaltigung (gemäss Artikel 190) werden. Die Mindeststrafe bei sexueller Nötigung liegt bei einer Geldstrafe und ist somit tiefer als bei einer Vergewaltigung.

Männer und Ihre Gefühle

Die psychischen Verletzungen nach einer Vergewaltigung mitzuteilen, ist unvorstellbar schwierig. Doch auch in anderen Bereichen tun sich Männer schwer. Allgemein gilt bei ihnen die eigene Gefühlswelt als Tabu. Mit dem Kumpel in einem Café zu sitzen und über Liebeskummer zu sprechen, ist eher ungewöhnlich. Zur Diskussion stehen meist andere Themen wie Technik, Sport, und Beruf. Mike Mottl klärt auf: «Der Hauptgrund, wieso Männer weniger über Gefühle sprechen, ist wohl ihre Sozialisation. Wir Jungs werden meist schon sehr früh darauf erzogen und getrimmt, als Mann cool, stark und unabhängig zu sein. Und sollte man doch Probleme haben, wird bestimmt nicht darüber gesprochen. Diese Werte sind bei Männern recht tief verankert und werden subtil vermitteln. Gefühle zu zeigen würde auch heissen, Schwäche zu zeigen. Dass man auch eine sensible Seite hat, dass man Schwächen offenbaren kann, dass man auch mal weinen darf, dies müssen Männer oft neu lernen.»

Männer können rechtlich gesehen kein Opfer einer Vergewaltigung (gemäss Artikel 190) werden.

Die Rollenbilder von Frau und Mann nähern sich aneinander an. Die Frauen werden härter, die Männer sanfter. Die Veränderung kann man bei den verschiedenen Generationen sehen. Die Grossväter haben selten die eigenen Gefühle mit Nahestehenden geteilt. Gewisse Väter können dies schon viel besser und die heutigen jungen Männer können sich mit den Gefühlen langsam anfreunden. Jedoch neigen in Liebesbeziehungen viele Frauen dazu, Ihren Partner mit Fragen zu drängen. Worüber denkst du gerade nach? Was fühlst du? Obwohl der Mann heute viel eher dazu bereit ist, über seine Gefühlswelt zu sprechen, fühlen sich viele mit diesen Fragen in die Enge gedrängt und ziehen sich zurück. Einen gewissen Freiraum braucht jeder.

Text: Saina Riess

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