Interview von Elma Pusparajah

«Wir können die Klimaziele erfolgreich erreichen»

Er doziert an der ETH, berät die Regierung und diskutiert im Fernsehen über die Klimakrise. Der ETH-Professor und Klimapolitikexperte Anthony Patt hat den weiten Weg von den USA in die Schweiz zurückgelegt, um hier Umweltpolitik zu betreiben. Im Interview mit «Fokus» beurteilt er die Energiestrategie hierzulande und erklärt mögliche Lösungsansätze.

Prof. Dr. Anthony Patt, Sie haben an bedeutenden Universitäten wie Yale, Duke und Harvard studiert. Wie haben Sie sich damals für Ihre Studienrichtung entschieden?

Meine Wahl wurde von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Der ausgezeichnete Ruf sowie die Lage von Yale überzeugten mich, dort meinen Bachelor zu absolvieren. Die Distanz ermöglichte mir zudem, Unabhängigkeit zu erlangen. Für mein Jurastudium wählte ich Duke, da mir hierfür ein Stipendium offeriert wurde. Und für Harvard habe ich mich später entschieden, da dort die weltweit aufregendste Forschung in meinem Fachgebiet existierte.

Gab es weitere Fachrichtungen, die Sie beinahe eingeschlagen hätten?

Ich musste verschiedene Fachrichtungen wie Ingenieurwesen, Architektur, Mathematik und Jura ausprobieren, bis ich letztendlich den richtigen Beruf fand. Als ich angefangen hatte, als Anwalt zu arbeiten, entwickelte ich ein Interesse für Umweltgesetze. Dies hatte dann dazu geführt, dass ich später in Umweltpolicy promovierte.

Haben Sie sich schon früh für die Umwelt interessiert?

Ja, denn ich bin auf einer Farm in der Nähe von Boston aufgewachsen. Ich liebte Tätigkeiten in der Natur wie das Skifahren, den Langlauf und das Hockeyspielen auf unserem gefrorenen Teich. Doch ich musste als Kind zusehen, wie kontinuierlich mehr Ackerland in Einkaufszentren transformiert wurde. 

Weshalb haben Sie sich dazu entschieden, in die Schweiz zu kommen und sich in diesem Land für die Umwelt einzusetzen?

Während meines Studiums habe ich als Praktikant auf einem Bauernhof auf der Rigi gearbeitet und war begeistert von diesem Land. Später war ich als Gastwissenschaftler in Deutschland tätig und verliebte mich in eine Frau.

Es ist wichtig, dass auch wir ein normales Leben führen, ansonsten verlieren wir den Kontakt zur Gesellschaft.

Wir beschlossen, in Europa zu bleiben. So lebten wir sieben Jahre in Österreich, bis ich eine Jobanfrage der ETH erhielt. Diese einmalige Chance hat mich schlussendlich in die Schweiz geführt. 

Nebst Ihrer Tätigkeit an der ETH sind Sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Gletscher-Initiative und haben zudem als Berater für Umweltministerin Simonetta Sommaruga fungiert. Weshalb verfolgen Sie so zahlreiche Interessen nebst Ihrem Beruf?

Ich betrachte meine Rolle als Klimapolitikexperte, der die Regierung sowie andere Organisationen hierzulande berät, als Teil meiner Aufgabe als Professor. Es ist wichtig, dass auch wir ein normales Leben führen, ansonsten verlieren wir den Kontakt zur Gesellschaft. Deshalb bin ich in meiner Freizeit gerne sozial und körperlich aktiv. 

Kommen wir zum Thema der aktuellen «Fokus»-Ausgabe: Energiestandort Schweiz 2022. Wie beurteilen Sie die Energie- und Umweltpolitik der Schweiz?

Ich beurteile die Schweiz als ein Land, welches sich sowohl für den Schutz der Umwelt einsetzt, aber auch keine Vorschriften gegenüber der Privatwirtschaft aufstellt. Letzteres bedeutet jedoch, dass sie im Vergleich zu den Nachbarländern in den letzten Jahren weniger gegen die Klimakrise unternommen hat. 

Was halten Sie von der Energiestrategie 2050, welche die Schweiz verfolgen möchte?

Grundsätzlich gefällt mir die Strategie, jedoch ist sie mittlerweile veraltet. Als vor fünf Jahren über die Energiestrategie 2050 abgestimmt wurde, war es noch unvorstellbar, komplett auf Elektroautos umzusteigen. Heute sieht es anders aus; bis 2030 könnten tatsächlich alle neuen Autos mit elektrischem Motor produziert werden.

Dies bedeutet, dass der Ausbau der Solarenergie beschleunigt werden müsste. Diese Entwicklung wäre somit gut und würde die Umwelt schützen. Jedoch deutet dies zudem an, dass die Ziele für erneuerbare Energien in der Energiestrategie 2050 bereits unzureichend sind.

Wie kann die Energieeffizienz in der Schweiz verbessert werden?

Wichtig für die Verbesserung der Energieeffizienz sowie den Übergang auf erneuerbare Energien ist die Umstellung auf Elektroautos und Wärmepumpen. Der Energieverbrauch könnte in beiden Bereichen je um den Faktor drei reduziert werden. Ausserdem könnten die Infrastrukturen der Städte ausgebaut werden, damit die Bewohnenden weniger auf ihre Autos angewiesen wären.

Die Schweiz besitzt zahlreiche weitere potenzielle Bereiche, aber was hierzulande geschieht, wird oftmals durch Entscheidungen bestimmt, die anderswo getroffen werden. Zum Beispiel verbrauchen die Kühlschränke hier viel Energie, denn diese wurden eher für den europäischen Markt als für den schweizerischen konzipiert.

Inwieweit muss sich das Konsumverhalten des einzelnen Menschen verändern, um den Energieverbrauch zu senken?

Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass sich viel ändern muss. Grundsätzlich gibt es mehr als genügend Sonnenlicht und Wind in Europa, um erneuerbare Energien für unseren derzeitigen Lebensstil bereitzustellen. Die Energiepreise würden dabei etwa gleichbleiben wie die der fossilen Energie.

Ohne diese Politik der Investition und Zusammenarbeit müssen wir unseren Lebensstil enorm ändern, um uns zu dekarbonisieren.

Gewisse Aspekte der jetzigen Lebensweise müssen sicherlich angepasst werden, diese sind jedoch minimal. Bei der Benutzung des Elektroautos müssen wir vor einer langen Reise daran denken, das Auto über Nacht aufzuladen. Zudem existieren gute Gründe, mehr Fahrrad zu fahren, dies stufe ich zudem als eine Verbesserung unserer Gesundheit ein. 

Wozu brauchen wir denn Klimapolitik? 

Hierfür sollte eine Politik geschaffen werden, die Investitionen in die Infrastruktur für erneuerbare Energien fördert und das Sonnenlicht sowie den Wind schnell genug in Strom umwandelt. Um dies erfolgreich zu ermöglichen, muss die Schweiz den Energiehandel mit ihren europäischen Nachbarn aufrechterhalten, damit sie sich gegenseitig unterstützen und allen den Strom zur Verfügung stellen können.

Dies bedeutet, wenn es in der Schweiz mal bewölkt ist, kann ein Nachbarland uns helfen oder umgekehrt. Ohne diese Politik der Investition und Zusammenarbeit müssen wir unseren Lebensstil enorm ändern, um uns zu dekarbonisieren.

Wie würde ein idealer Übergang zu erneuerbarer Energie aussehen?

Wir müssen die Heizungs-, Mobilitäts- und Industriesysteme, die auf fossile Brennstoffe angewiesen sind, auf solche umstellen, die ausschliesslich erneuerbare Energien nutzen. Langfristig wird erneuerbare Energie nicht mehr kosten als fossile Energie heute.

Bei einem idealen Übergang werden auch die kurzfristigen Kosten nicht auffallend höher sein. Fördermassnahmen und Vorschriften können dies bewirken. Hohe Energiesteuern sind nicht notwendig.

Sie sagten, dass die Problematik oder das Hindernis zum Umstieg auf Elektroautos an der fehlenden Infrastruktur der Ladestationen liegt. Wie kann diese Problematik Ihrer Meinung nach gelöst werden, ohne grossen Mehraufwand oder -kosten für die Bevölkerung?

Die Kosten sind nicht das Problem. Denn die Gesamtkosten für den Besitz eines Elektroautos einschliesslich der Installation einer Ladestation sind niedriger als für einen neuen Benziner. Die Bequemlichkeit eines Elektroautos hängt jedoch davon ab, ob es über Nacht aufgeladen werden kann. Somit braucht jeder Übernachtungsparkplatz ein Ladegerät.

Dies ist für Einfamilienhausbesitzende mit eigener Garage simpel, denn sie können eine Ladestation installieren lassen. Dies kostet mit rund 1000 Franken etwa so viel wie ein neuer Winterreifensatz und hält mindestens 20 Jahre. Die Komplikation tritt hingegen bei Tiefgaragen und Strassenparkplätzen auf, da hier kein Rechtsanspruch auf Ladestationen existiert. In diesem Zusammenhang muss ein Gesetz erstellt werden, welches dies regeln würde.

Worin liegt das Kernproblem des Klimawandels?

Die Problematik liegt in der Erderwärmung. Wenn der CO₂-Ausstoss im derzeitigen Tempo fortbesteht, wird die durchschnittliche globale Temperatur um 4 °C ansteigen, was wiederum eine Erwärmung in der Arktis und Antarktis um mehr als 10 °C betragen würde.

Das Ziel der Energiestrategie ist es, die CO₂-Emissionen auf null zu reduzieren.

Dies resultiert in der Schmelzung der Eiskappen sowie einem Anstieg des Meeresspiegels um mehr als 20 Meter und somit in der Überschwemmung aller Küstenstädte der Welt. Wohin werden die Bewohnenden dann flüchten? Das Wettermuster wird sich überall atypisch verändern. Es ist schwierig vorherzusagen, wie die Natur überleben wird und in welchen Gebieten genügend Regen fallen wird, um notwendige Nahrungsmittel für den Menschen anzubauen. Dies sind Probleme, die vermieden werden können und sollten.

Weshalb kann der Klimawandel als Technologieproblem verstanden werden?

Das Ziel der Energiestrategie ist es, die CO₂-Emissionen auf null zu reduzieren. Dies können wir jedoch nicht erreichen, solange fossile Energie genutzt wird. Selbst wenn dieser Kraftstoff durch Sparmassnahmen gering verbraucht wird, ist die Emission immer noch mehr als null.

Es spielt daher keine grosse Rolle, die Menge der verbrauchten Energie zu reduzieren, sondern die Art der Energie völlig zu ändern. Dafür brauchen wir neue Energietechnologien. Erstens, erneuerbare Energieversorgung aus Sonne und Wind. Zweitens: Technologien, die erneuerbare Energie nutzen können, wie Elektroautos, -lastwagen, -traktoren und Wärmepumpen.

Simonetta Sommaruga möchte die Klimaziele mit Anreizen statt Verboten erreichen. Warum könnten Verbote nicht funktionieren?

Grundsätzlich können Verbote wohl sehr gut funktionieren, wenn diese gezielt eingesetzt werden. Jedoch können diese auch politisch schwer durchsetzbar sein, wenn die Mehrheit der Menschen das Verbotene bevorzugen. Wenn nun beispielsweise genügend Leute Elektroautos fahren und andere den Bezug solcher Autos planen, können wir anfangen, über ein Verbot von Benzinautos zu diskutieren. Dies ist alles eine Frage des Timings.

Bis 2030 sollte die Schweiz die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 50 Prozent senken. Erreichen wir das Ziel rechtzeitig oder muss sich noch einiges ändern?

Wir können die Klimaziele erfolgreich erreichen, wenn der Umstieg auf Elektroautos und die Umstellung der Heizungssysteme schnell vorangetrieben wird. Dies erfordert jedoch auch politische Unterstützung.

Interview Elma Pusparajah Bild zVg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

30.04.2022
von Elma Pusparajah
Vorheriger Artikel E-Auto-Batterien: Second Life vs. Recycling
Nächster Artikel Was geschieht mit den Wasserstoffautos?