Mit Christian Stucki hat eines der wortwörtlichen Schwergewichte des Schwingsports seine Karriere dieses Jahr beendet. Im Interview spricht der Schwingerkönig von 2019 über das vermeintlich grosse Loch nach der Sportlerlaufbahn, den grossen Abschied – und was ihn als Hausmann am meisten ins Schwitzen bringt.
Christian Stucki, jetzt ist es amtlich: Ihre Karriere im Sägemehl ist definitiv vorbei. Man hört ja immer vom grossen Loch, in das Spitzensportlerinnen und -sportler danach hineinzufallen drohen. Wie schützen Sie sich davor?
Indem ich mich schon vorher sehr auf diese Zeit, die jetzt kommt, gefreut habe! Bei mir ist das kein Loch, im Gegenteil. Endlich habe ich wieder mehr Zeit für Freunde und Familie. Die haben mir in meiner langen Karriere oft gefehlt und es gibt einiges nachzuholen. Ausserdem ist es auch mal schön, am Wochenende länger liegen zu bleiben und nicht um fünf Uhr morgens aufzustehen, um zu einem Schwingfest zu fahren. Aufstehen ist übrigens ein gutes Stichwort. Seit ich nicht mehr so hart trainiere, geht das plötzlich auch schmerzfrei (lacht).
Für die Familie bleibt nun mehr Zeit, von der Schwingsport-Familie mussten Sie allerdings Abschied nehmen. Wie schwer fiel Ihnen das?
Das stimmt, ich habe sehr viele tolle Menschen kennengelernt über all die Jahre. Für mich ist das aber kein Abschied auf Dauer. Meine engsten Freunde und Bekannte aus dem Schwingsport werde ich weiter sehen, dafür bleibt ganz sicher Zeit. Jetzt kann ich im Gegensatz zu meiner Aktivzeit einfach selbst aussuchen, wann, wie und wo ich auf einem Schwingplatz anzutreffen bin.
Abschiede können schwerfallen, gerade nach einer derart langen Zeit, wie das bei Ihnen der Fall ist. Als bekannter Sportler ist die Zeit vor dem eigentlichen Rücktritt aber noch spezieller, wird man doch ständig darauf angesprochen. Nervt das zeitweise auch?
Nein, genervt hat es mich eigentlich nie. Aber natürlich ist es speziell, wenn man ständig mit seinem eigenen Abschied konfrontiert wird. Schliesslich hat man ja auch noch sportliche Ziele und möchte sich auch auf diese konzentrieren. Andererseits ist es aber irgendwie auch gut, regelmässig darüber Auskunft zu geben. So beschäftigt man sich auch tatsächlich damit und ist wohl auch besser vorbereitet, wenn der Tag X dann wirklich kommt.
Ihre Karriere liest sich wie eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Höhepunkt 2019, wo Sie zum Schwingerkönig wurden. Vorher waren Sie eine Art ungekrönter König, Ihre Popularität bereits immens. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Klar hatte ich diesen noch fehlenden Titel im Kopf. Ich hielt mir aber immer vor Augen, dass meine Karriere auch ohne diesen ganz grossen Titel ein Erfolg ist. Sonst macht man sich verrückt. Ich wollte den Wert meiner Sportlerlaufbahn nicht nur von diesem einen Titel abhängig machen. Aber klar, es bedeutet mir enorm viel, ihn nun doch gewonnen zu haben.
Der Titel hat Ihnen zu noch mehr Popularität verholfen, als Sie ohnehin schon hatten. Sie wurden im selben Jahr auch zum Schweizer des Jahres gewählt. Davon hat nicht zuletzt der ganze Schwingsport profitiert, der mit Ihnen als Aushängeschild immer bekannter wurde. Ist Ihnen im Nachhinein bewusst, welch grossen Impact Sie auf den Schwingsport hatten und immer noch haben?
Klar habe ich meinen Teil dazu beigetragen, dass dieser wunderbare Sport auch das Publikum bekommt, das er verdient. Zu sehr will ich mir aber nicht auf die Schultern klopfen. Denn um dem Schwingsport zu einer solchen Popularität zu verhelfen, reicht ein einziger Sportler nicht. Es braucht alle, vom Punktrichter über die Helferinnen und Helfer an den Schwingfesten bis hin zu den anderen Schwingern. Das ist lange nicht nur mir auf die Fahne zu schreiben.
Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Schwingfeste erinnern, an die sich nur ein paar wenige Zuschauerinnen und Zuschauer verirrt hatten. Und jetzt schwingen wir teilweise vor mehreren Zehntausend Menschen. Christian Stucki
Wie haben Sie den Aufschwung des Schwingsports persönlich erlebt?
Es ist schon eindrücklich, wie viel professioneller der Sport und das ganze Drumherum während meiner Aktivzeit geworden sind. Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Schwingfeste erinnern, an die sich nur ein paar wenige Zuschauerinnen und Zuschauer verirrt hatten. Und jetzt schwingen wir teilweise vor mehreren Zehntausend Menschen. Ich glaube, einen grossen Anteil daran hatten auch die TV-Übertragungen. Seit regelmässig Schwingfeste im Fernsehen zu sehen sind, merken die Leute auch, was hier für eine tolle Stimmung herrscht und wollen das selbst auch mal erleben.
Stichwort Medien: Sind Sie eigentlich froh, dass der Medienrummel um Ihre Person jetzt weniger wird?
Derart riesig war er auch während meiner Aktivkarriere nicht. Ich habe mich auch nie versteckt, das geht ja nur schon aufgrund meiner Postur nicht wirklich gut (lacht). Es war mir wichtig, auch mit zunehmendem Erfolg immer ein normales Leben zu führen. Ausserdem ist das Medieninteresse auch ein Segen, es hat ja schliesslich einen grossen Teil zu meiner Popularität beigetragen. Ich blicke da deshalb mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück.
Apropos zurückblicken: Über Ihren grössten Titel haben wir bereits gesprochen. Welche sportlichen Höhepunkte bleiben Ihnen sonst in Erinnerung?
Da sind einige zusammengekommen. Diese jetzt einzeln aufzuzählen, würde definitiv den Rahmen sprengen. Ich hatte vor meinem Titel zum Schwingerkönig schon einige sportliche Highlights zu bejubeln. Die hätten mir damals auch gereicht, ich wusste schliesslich ja noch nicht, dass es sogar noch höher gehen würde. Müsste ich mich aber auf einen Moment festlegen, dann auf meinen ersten Kranzgewinn. Das ist für jeden Schwinger ein Erlebnis, das er nie vergessen wird.
Sie haben eingangs die Familienzeit angesprochen, auf die Sie viel Wert legen. Das war schon zu Aktivzeiten so: Ihren «normalen» Job neben dem Schwingen haben Sie irgendwann an den Nagel gehängt.
Ja, das war ein grosser Schritt für mich. So konnte ich mich ausschliesslich aufs Schwingen und die Familie konzentrieren. Vorher war das eine enorme Doppelbelastung, als ich noch als Lastwagenfahrer unterwegs war. Ich konnte mich also schon ein wenig daran gewöhnen, wie es nach der Karriere werden könnte. Und jetzt, wo ich auch keinen Spitzensport mehr mache, ist noch einmal sehr viel weggefallen. Jetzt kann ich auch einfach mal in den Tag hineinleben, es ist nicht mehr alles derart durchgetaktet.
Hausmann und Schwinger waren Sie vor Ihrem Rücktritt. Eine Kombination, die nicht bei allen Berufskollegen gut ankam.
Ich war wohl der erste Schwinger in der Schweiz, der sich daneben als Hausmann betätigt hat. Es gibt noch immer dieses Klischee, dass ein richtiger Schwinger auch noch einem normalen Beruf nachgehen muss. Irgendwann ging das aber einfach nicht mehr. Ich musste meinen Chef ständig um Freitage bitten, weil irgendwelche Termine und Verpflichtungen anstanden. Mit zunehmender Popularität war es kaum mehr möglich, alles unter einen Hut zu bringen.
Wie haben eigentlich die Leute reagiert, wenn sie den Schwingerkönig plötzlich als Lastwagenfahrer angetroffen haben?
Ich hatte Glück, dass ich immer dieselbe Route gefahren bin. Da kannten mich die Leute bereits und waren dementsprechend auch nicht mehr wirklich überrascht. Aber klar, hier und da musste ich auch mal während der Arbeit für Fotos hinhalten. Aber das habe ich immer gerne gemacht. Es ist schliesslich auch etwas Schönes, wenn sich die Leute freuen, mich auf der Strasse zu treffen.
Wie machen Sie sich eigentlich als Hausmann?
Es war mir immer wichtig zu betonen, dass Frauen, die diesen Job machen, viel zu wenig Wertschätzung bekommen. Spätestens als ich mich selbst darin versuchte, habe ich gemerkt, wie viel dahintersteckt. Was Frauen tagtäglich leisten, kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Gerade an Waschtagen, an denen gleichzeitig auch noch andere Termine anstehen, komme ich als Hausmann doch ziemlich ins Schwitzen (lacht).
Die nicht ganz überraschende, trotzdem aber für viele interessante Schlussfrage: Wie gehts mit Christian Stucki weiter? Was ist geplant?
Das ist ja das Schöne an dieser Zeit aktuell. Nichts ist geplant! Ich kann endlich einfach mal die Zeit geniessen, ohne alles durchplanen zu müssen. Irgendwann werde ich dann schon wieder eine neue Aufgabe finden.
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