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Weihnachten

«Der Christbaum ist immer ein Spiegel seiner Zeit»

16.12.2022
von Jessica Petz

Seit Jahrzehnten spiegeln sich politische Richtungen und Wohlstände der Gesellschaft in der Weihnachtsdekoration wider. Alfred Dünnenberger, leidenschaftlicher Sammler von historischem Christbaumschmuck, alten Adventskalendern und antiquarischen Krippen erzählt «Fokus», warum Pickelhauben und Panzer während des Festes der Liebe als Dekoration am Baum hingen.

Alfred Dünnenberger sammelt seit über vierzig Jahren alten Christbaumschmuck, Adventskalender und Krippen aus den Jahren 1850 bis 1950. So stellte sich über die Jahre eine beachtliche Sammlung an Geschichten zusammen, die sich immer weiter in sich ergänzen und den Weihnachtszauber durch die Jahrhunderte weitergeben. 

Alfred Dünnenberger

Alfred Dünnenberger

Alfred Dünnenberger, die Adventszeit ist die Vorbereitung auf Weihnachten. Wie hat man sich früher auf diese besinnliche Zeit vorbereitet? 

Im Advent bereitete sich die Christenheit früher auf das Fest der Menschwerdung Gottes wie auch auf die Ankunft Christi am Ende aller Tage vor. So verwob sich die Freude über Christi Geburt mit der Angst vor dem Weltende. Neben Vorfreude gehörte immer auch tiefer Ernst in den Advent, der auch gerne pädagogisch genutzt wurde. An die Kinder weitergegeben wurden dabei Werte wie Häuslichkeit, Familiensinn, Anstand und Gehorsam.

Das Basteln von eigenen Weihnachtsschmuck aus in jedem Haushalt verfügbarem Material gehört selbstverständlich zum Advent. 

Ob Wollreste, Garn, Federn, Eier oder alte Krawatten – der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sogar Christbaumschmuck aus Scheiben von alten Gasmasken hergestellt, die man nicht mehr brauchte. Zwischen zwei Scheiben wurde ein Scherenschnitt gelegt und die Dekoration fand seinen Platz auf dem Weihnachtsbaum. 

Ein heute kaum mehr bekanntes, äusserst nachhaltiges und ökologisch sinnvolles Material sind Gänsefedern. Man hat sie schon vor über 100 Jahren grün gefärbt, dem Kiel entlang aufgeschnitten und mit etwas Leim um einen Draht gedreht. Dadurch bekam diese das Aussehen von einem Tannenzweig.

Welche Rolle spielen Adam und Eva zur Weihnachtszeit? 

Diese sind ganz wichtig für die Weihnachtszeit. Die katholische Kirche hat den Namenstag von beiden auf den 24. Dezember gelegt. Man nennt Jesus, der in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember geboren wurde, auch den «anderen Adam». Jesus nimmt mit seiner Geburt die Sünden weg, die Adam und Eva den Menschen aufgebürdet haben. Schon im Mittelalter hat man Mysterienspiele mit ihrer Geschichte aufgeführt. 

Vor der Kirche stand dazu ein Tannenbaum, geschmückt mit Äpfeln und ungeweihten Hostien. Das ist die christliche Wurzel des Christbaums. 

Christbaum in der Weihnachtsausstellung im Historischen Museum Bischofszell. Bild: zVg

Christbaum in der Weihnachtsausstellung im Historischen Museum Bischofszell. Bild: zVg

In der Kirche wurde daran anschliessend die Geschichte der Geburt Jesu erzählt. Gerne stellte man zu Hause den Weihnachtsbaum in ein umzäuntes Gärtchen. Auf Moos arrangierte man darin neben Adam & Eva wilde wie zahme Tiere. Dieses Paradiesgärtchen war so ein Symbol für den Frieden auf Erden. Heute wissen das viele nicht mehr.

Wie schmückte man früher den Christbaum? 

Papierblumen, Äpfel, Oblaten, Zischgold und Zucker sind als Schmuck der frühen Christbäume im Elsass schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts belegt. Auch Gebäck und vergoldete Nüsse haben eine wohl annähernd so lange Tradition als Baumzier.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Siegeszug des gläsernen Christbaumschmuckes. 

Kurz zuvor entstand der erste dauerhafte Christbaumschmuck aus Tragant. Dabei handelt es sich um eine Masse aus Zucker und Pflanzensaft. Diese wurde gemodelt. Sobald die Masse trocknete, wurde sie steinhart und man konnte sie sehr hübsch bemalen. Dies kannten schon die Zuckerbäcker aus dem Mittelalter an Fürstenhöfen. Auf den Christbaum kam es dann aber erst zur Biedermeierzeit, als der Zucker durch die Produktion von Rübenzucker erschwinglicher wurde.

Papierblumen, Äpfel, Oblaten, Zischgold und Zucker sind als Schmuck der frühen Christbäume im Elsass schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts belegt. Alfred Dünnenberger

Der Krieg ist in Europa wieder sehr aktuell. Wie haben sich die Weihnachtstraditionen zu Kriegszeiten verändert?  

Der Christbaum ist immer ein Spiegel seiner Zeit. Noch lange im 19. Jahrhundert zierte der geschmückte und mit Lichtern besteckte Christbaum nur die Räume von Adel, Grossbürgertum und Zünften. Für die übrige Bevölkerung fand das Weihnachtsfest in der Kirche statt. 

Im Deutsch-Französischen Krieg feierte die deutsche Heerführung Weihnachten 1870 in Versailles, der französischen Königsstadt. Die Soldaten aus meist einfachen Verhältnissen freuten sich an den ebenfalls in allen Truppenunterkünften und Lazaretten errichteten «Siegesbäumen» und wollten diese Tradition zu Hause weiterführen: eine Initial-Zündung für die Verbreitung des beleuchteten Christbaums.

Der Deutsch-Französische Krieg brachte die ersten Flugobjekte auf den Christbaum: die Luftballone. Paris war eingekesselt und konnte nur mit Heissluftballonen erreicht oder verlassen werden. Die Deutschen hatten nämlich keine Möglichkeit, mit ihren Waffen die Ballone runterzuholen.

Während der NS-Zeit gab es eine eigene Art von Christbaumschmuck in Deutschland: Runde, abgeflachte und mit altgermanischen Runen verzierte Julkugeln.

Die NSDAP produzierte zwischen 1941 und 1944 auch eigene Adventskalender mit klarem Kriegsbezug. So sollten Kinder explodierende Tanks oder Schneebunker zeichnen und ausmalen.  

Die Hitlerjugend verkaufte ab den 1935er-Jahren zu Gunsten des Winterhilfswerks (WHW) hübsche Kleinigkeiten für den Tannenbaum. Hatte man etwas gekauft, wurde auf die Haustür eine Kaufquittung geklebt. Es war damit für jeden ersichtlich, dass die Person etwas bei der Hitlerjugend gekauft hat. Das war absolut notwendig, besonders wenn man Probleme mit der NSDAP hatte.

Wie schon während dem 1. Weltkrieg war auch während dem 2. Weltkrieg in der Schweiz der Handel mit Christbaumschmuck aus Deutschland nicht möglich. So entstand eine kleine inländische Produktion. Beglimmerter Kartonschmuck einer Firma Egli in Zürich wurde ab 1947 auch im Franz-Carl-Weber-Katalog angeboten. 

Gibt es «überholte» Traditionen, die früher den Christbaum prägten?

Hübsche Objekte auf jedem Christbaum mit historischem Schmuck sind Ballspenden und Cotillon-Orden. Sie hängen mit den strengen Ball-Regeln zusammen, die in Europa während der Belle-Epoque befolgt wurden. Junge, unverheiratete Personen besuchten diese Veranstaltungen in Begleitung von Verwandten, die über die Einhaltung der guten Sitte wachten. Den Damen wurde beim Eintreffen ein kleines Geschenk überreicht. Diese «Ballspende» wurde vom Ballkomitee für den jeweiligen Anlass mit grosser Sorgfalt ausgewählt und vorbereitet. Zentrale Bestandteile waren ein kleiner Bleistift und die Tanzordnung, die man auch als «Carnet de Bal» bezeichnete. Diese im Voraus festgelegte Abfolge der Tänze des Anlasses wurde so auf Papier gedruckt, dass neben jedem vorgesehenen Tanz etwas Platz offen war. Die anwesenden Herren warben bei den Damen um diese Tänze und reservierten sie per Unterschrift. Die Ballspenden waren so nicht nur hübsch. Sie waren oft auch voller schöner Erinnerungen und wurden sehr gerne an den Weihnachtsbaum gehängt. Auch die Herren trugen vom Ball etwas nach Hause, das sie oft noch vom Christbaum herab an den Anlass erinnerte: den Cotillon-Orden. 

Dieser wurde ihnen von ihrer Partnerin beim Cotillon-Tanz an die Brust geheftet. Auch er nahm in der Regel Bezug auf den Anlass. Manchmal aber trug er auch die Inschrift: «Zur Erinnerung» oder «Für flottes Tanzen».

Welcher ist der teuerste Christbaumschmuck? 

Bei den heute teuersten Christbaumobjekten handelt es sich in der Regel wohl um sogenannten «Dresden-Schmuck». Diese wunderschönen Dinge aus Karton (Lokomotiven, Autos, Flugzeuge, Tiere etc.) sind in der Regel detailgenaue Nachbildungen der Wirklichkeit, deren Einzelteile in der Luxuspapier-Industrie mit über mannshohen Pressen aus feuchtem Karton ausgestanzt wurden. Meist in Heimarbeit zusammengeleimt, wurden sie teilweise auch bemalt. Für extrem seltene Stücke zahlen Sammler heute auch mal vierstellige Preise.

Wie sieht Ihr Weihnachtsbaum dieses Jahr aus? 

Fast unsere gesamte weihnachtliche Sammlung ist in diesem Jahr ausgeliehen. 

So wird es bei uns zu Hause neben der alten Familienkrippe nur einen einzigen Weihnachtsbaum geben, der mit neuzeitlichen Kugeln und Strohsternen geschmückt ist. Meine Frau und ich freuen uns aber jetzt schon sehr darauf, zusammen mit unseren Kindern und Grosskindern in seinem Lichte zu feiern.

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Weihnachtsausstellung

Die Weihnachtsausstellung von Alfred Dünnenberger im Historischen Museum Bischofszell ist vom 25. November 2022 bis zum 29. Januar 2023 geöffnet. Mehr Infos und Öffnungszeiten unter www.weihnachten-bischofszell.ch

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