afghanistan, kabul: menschen; männer beim abwägen von waren vor einem unterstand
Annemarie Schwarzenbach, Public domain, via Wikimedia Commons
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Annemarie Schwarzenbach: Eine junge Schweizer Kultfigur mit einem Ford auf dem Weg nach Afghanistan

06.10.2022
von Marina S. Haq

Auch 80 Jahre nach ihrem Tod wird die Geschichte Annemarie Schwarzenbachs weitererzählt. Die Kultfigur hat in der Schweiz einen besonderen Stellenwert. Was heute fast unvorstellbar scheint, hat eine junge Schweizerin in den 1930er-Jahren geschafft. Annemarie Schwarzenbach, eine gebürtige Zürcherin, fuhr mit ihrem Ford von der Schweiz nach Afghanistan.

Annemarie Schwarzenbach wurde am 23. Mai 1908 als Tochter einer wohlhabenden Industriellenfamilie in Zürich geboren. Sie war das dritte von fünf Kindern des Unternehmers Alfred Emil Schwarzenbach und seiner Frau, der Amateurfotografin Renée Schwarzenbach-Wille. Annemarie Schwarzenbach wuchs auf dem Gut Brocken bei Horgen am Zürichsee auf. Vom 8. bis zum 15. Lebensjahr erhielt sie Privatunterricht und besuchte danach eine Privatschule von 1923 bis 1924 in Zürich. Ein Jahr später wechselte sie jedoch in das Hochalpine Töchterinternat in Fetan. Nach der Matura begann die damals 19-Jährige Schwarzenbach ihr Studium in Geschichte und Literatur an der Universität Zürich – das sie zeitweise auch an die Sorbonne führte – wo sie 1931 promovierte.

Porträt von Annemarie Schwarzenbach mit ihrer Rolleiflex Standard 621, 1938. Foto: Anita Forrer, Schweizerische Nationalbibliothek NB, CC BY-SA 3.0, Dateigrösse angepasst.

Porträt von Annemarie Schwarzenbach mit ihrer Rolleiflex Standard 621, 1938. Foto: Anita Forrer, Schweizerische Nationalbibliothek NB, CC BY-SA 3.0, Dateigrösse angepasst.

Eine Pionierin der Reisereportage

Ihre weitere Laufbahn bestand im Reisejournalismus. Sie war Schriftstellerin, Fotografin, Journalistin, Dichterin und Briefschreiberin. Im Laufe ihres Lebens berichtete Schwarzenbach nicht nur in Schweizer Zeitungen über viele ihrer Reisen, sondern veröffentlichte ihre Berichte auch in Form von Büchern. Insgesamt verfasste sie drei literarische Werke und 300 journalistische Texte. Sie besitzt auch ein Bildarchiv mit Tausenden von Reportagefotografien.

Von der Schweiz nach Afghanistan

Während heute Menschen aus Asien und dem Nahen Osten in den Westen fliehen, war es zu Schwarzenbachs Zeiten genau umgekehrt. Mit der Genfer Reiseschriftstellerin Ella Maillart brach Schwarzenbach am Vorabend des Zweiten Weltkriegs im Juni 1939 von der Schweiz aus auf, um sich in den friedlichen Orient zurückzuziehen. In einem Ford Roadster reisten die beiden Schriftstellerinnen über Istanbul, Trabzon und Teheran nach Kabul in Afghanistan, wo sie unter anderem ethnologische Arbeiten durchführten. Mithilfe von Maillart wollte sich Schwarzenbach von ihrer Drogensucht befreien, leider ohne Erfolg. Dies führte zu Spannungen zwischen Schwarzenbach und Maillart, weshalb Letztere schliesslich allein nach Indien weiterreiste. Während Ella Maillart die Reise in ihrem 1947 erschienenen Buch «Der bittere Weg: Mit Annemarie Schwarzenbach unterwegs nach Afghanistan» aufzeichnete, kam Schwarzenbachs geplantes Buch nie zustande. Sie dokumentierte ihre Reise unter anderem in Form von Feuilletons, Reportagen und Fotografien. Erst im Jahr 2000 hat der Basler Lenos Verlag ihre erhaltenen Materialien chronologisch geordnet. Im vergangenen Jahr erschien die Neuauflage mit zusätzlichen Texten, Briefen, Dokumenten und Fotos. «Dieser Band», so der Lenos Verlag, «unterstreicht Annemarie Schwarzenbachs Stellung als eine der bedeutendsten Reiseschriftstellerinnen und Fotografinnen des 20. Jahrhunderts».

Eine aussergewöhnliche Frau ihrer Zeit

Annemarie Schwarzenbach distanzierte sich schon früh von ihrer Familie. In den 1930er-Jahren geriet sie aus mehreren Gründen in Konflikt mit ihren Eltern. Während ihre Eltern konservativ waren und mit dem Nazitum sympathisierten, stand die antifaschistische Schwarzenbach zusammen mit ihren Freunden Klaus und Erika Mann in Opposition. Darüber hinaus hatte Annemarie eine nonkonformistische Einstellung, die nicht in ihre Zeit passte. Die junge Frau, die aufgrund ihres Aussehens oft als männlich galt, lebte ihre Homosexualität frei aus und hatte ständig wechselnde Beziehungen mit Frauen. Zudem litt Annemarie an Depressionen und wurde wegen ihrer Selbstmordversuche mehrfach in Entzugskliniken eingewiesen. Sie konsumierte Morphium, von dessen Sucht sie bis an ihr Lebensende nicht mehr loskam. Sie heiratete den ebenfalls homosexuellen Botschaftssekretär Claude A. Carac 1935 in Teheran, dessen französischer Diplomatenpass sie auf ihren Reisen benutzte.

Afghanistan Hindukusch vor Doab, Annemarie Schwarzenbach, 1939-1940.

Afghanistan Hindukusch vor Doab, Annemarie Schwarzenbach, 1939-1940.

Die letzten Lebensjahre und ihr Vermächtnis

Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte Schwarzenbach zwischen den Vereinigten Staaten, Portugal, Marokko und der Schweiz. Am 7. September 1942 hatte sie einen Unfall mit ihrem Fahrrad, bei dem sie eine Kopfverletzung erlitt. Die zu jenem Zeitpunkt 34-Jährige starb am 15. November an dessen Folgen in Sils desselben Jahres. Seit ihrem Tod gab es verschiedene Ausstellungen mit ihren Fotografien und Texten, so zum Beispiel 2008 im Zürcher Strauhof zum 100. Geburtstag Schwarzenbachs und 2020 im Zentrum Paul Klee. Darüber hinaus sind ihre Fotografien anlässlich ihres 75. Todestages seit 2017 auf der Online-Plattform des Schweizerischen Literaturarchivs frei zugänglich. Zudem wurde ihre Reise nach Afghanistan im Jahr 2001 unter dem Titel «Die Reise nach Kafiristan» verfilmt und ein Dokumentarfilm von Arte «The Lost Ones: Annemarie Schwarzenbach» berichtet über ihr Leben. Trotz ihres Todes vor acht Jahrzehnten gilt sie bis heute als Schweizer Kultfigur und als eine der aussergewöhnlichsten Frauen ihrer Zeit.

Text Marina S. Haq

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