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Bildung

Verschwörungstheorien und was sie mit uns machen

27.05.2020
von Lars Meier

Die Mondlandung, die Anschläge vom 11. September 2001 und die Coronapandemie. Drei Ereignisse, die sich über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren erstrecken und auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben. Bis auf eines: Sie bieten fruchtbaren Boden für etliche Verschwörungstheorien. Wie entsteht eine Verschwörungstheorie und was macht sie so gefährlich? Ein Einblick.

Das Coronavirus sei eine Biowaffe und stamme aus einem Labor, 5G verbreite das Virus oder Bill Gates wolle die Menschheit mit Zwangsimpfungen kontrollieren – nur drei der zurzeit kursierenden Verschwörungstheorien in Zeiten der Coronapandemie. Doch wieso finden sie so viel Gehör? «Natürlich gibt es echte Verschwörungen», bestätigt Dieter Sträuli, Psychologe und Präsident der Fachstelle für Sektenfragen infoSekta. «Verschwörungstheorien unterscheiden sich davon durch ihre inhaltliche Struktur und durch das Verhalten jener, die an sie glauben.»

Dieter Sträuli

Dieter Sträuli

Verschwörung versus Verschwörungstheorie

Es ist wichtig, zwischen Verschwörungen und Verschwörungstheorien zu differenzieren. Denn auch ihre unterschiedliche Wirkung ist frappant. Das bestätigt auch Dieter Sträuli: «Aufgedeckte Verschwörungen sind vielleicht überraschend, aber sie bleiben letztlich im Rahmen des organisierten Verbrechens, wie wir es bereits kennen. Verschwörungstheorien dagegen gehen aufs Ganze; sie beschreiben weltumspannende Organisationen, die völlig im Verborgenen agieren oder mächtige Geheimdienste.»

Warum Verschwörungstheorien nicht verstummen

Der Grund, dass Verschwörungstheorien enorme Aufmerksamkeit geniessen, ist relativ simpel: Es gibt keine Beweise, dass die Theorie vielleicht nicht doch stimmt. «Da wir, um ein Beispiel zu nennen, nicht beweisen könnten, dass Bill Gates nicht hinter der Coronapandemie steckt, ist es für uns schwierig, Verschwörungstheoretiker, die das glauben, vom Gegenteil zu überzeugen», verdeutlicht Dieter Sträuli. A propos: Wo verläuft die Grenze zwischen Faszination und Glauben? «Ich denke, wir sind alle bereit, Verschwörungstheorien zu glauben», so der Experte. Der Unterschied zu echten Verschwörungstheoretikern liege darin, dass wir uns bald einmal eingestehen, dass hier etwas allzu fantastisch klinge.

Ich denke, wir sind alle bereit, Verschwörungstheorien zu glauben. Dieter Sträuli

Wie eine Verschwörungstheorie funktioniert

Obwohl sich Verschwörungstheorien hinsichtlich Akteure, Zeit und Ort stark unterscheiden, weisen sie dennoch identische Gesichtspunkte auf. «Verschwörungstheorien sind relativ einfach gestrickt», sagt der Experte. «Sie nennen für das, was jeweils in der Welt gerade nicht gut läuft, Schuldige. Das sind immer Personen und Organisationen, nie abstrakte Ursachen oder Faktoren. Diese Schuldigen handeln im Geheimen und auf Grund von Plänen. Alles, was sie tun, ist Absicht.»

Täter, Opfer und Ziele

Weiter nennen Verschwörungstheorien laut Dieter Sträuli Täter, Opfer und Ziele. Sie weisen auf mächtige Einzelpersonen oder auf Organisationen als die Schuldigen hin. «Die Opfer sind wir. Die Verschwörer zielen auf unsere Gesundheit, unsere Freiheit, auf unser klares Bewusstsein», erklärt der Experte diesen Gedankengang. «Sie nebeln uns ein, vergiften und manipulieren uns, belügen uns. Für das, was wir an Widrigkeiten unseres Lebens erfahren, sind möglicherweise sie verantwortlich.»

Ein Phänomen, das nicht der Zeit unterworfen ist

Die Gesellschaft befindet sich in stetigem Wandel und dennoch kommen Verschwörungstheorien immer wieder aufs Neue auf – ein Widerspruch? «Einerseits greifen Verschwörungstheorien aktuelle Themen auf, wie jetzt die Coronapandemie», so der Experte. «Verschwörungstheoretiker greifen aber zurück bis in die Antike oder in mythische Epochen, um Schuldige zu suchen: Die Tempelritter werden erwähnt oder die Assassinen, ein angeblicher Orden von Auftragsmördern.» Das, was eine Verschwörungstheorie ausmacht, ist nämlich zeitunabhängig. «Wichtig ist, dass alte wie neue Verschwörungstheorien uns dasselbe Gruseln vermitteln», schliesst Dieter Sträuli.

Was Verschwörungstheorien in uns auslösen

Die psychologische Komponente des Glaubens einer Verschwörungstheorie ist komplexer, als man denkt – und somit umso gefährlicher. Was löst das Glauben einer Verschwörungstheorie in einem Menschen aus? «Er hat das Gefühl, die Ursache für seine und unsere Probleme geortet zu haben», antwortet Dieter Sträuli. «Deshalb kann er nicht verstehen, dass andere seine Entdeckung anzweifeln. Die jeweilige Verschwörungstheorie deckt sich mit Vorstellungen in seinem Unbewussten über die Ursachen seiner Probleme, die er Anderen in die Schuhe schiebt. Diese Deckung lässt ihn geradezu spüren, dass er recht hat.»

Das Gefühl des Triumphes

Zudem erlaube der Glaube an Verschwörungstheorien laut dem Experten einen bestimmten Genuss. Verschwörungstheoretiker wirken deswegen selten voller Angst, sondern beinah triumphierend, wenn sie von ihrem Thema sprechen. «Eine mögliche Erklärung: Für sie ist es wichtiger, dass solche übersteigerten Machtpositionen, wie die Verschwörer sie einnehmen, überhaupt existieren», so der Experte. «Denn insgeheim denken sie: Auch ich könnte in dieser Position sein – zumindest theoretisch.»

Verschwörungstheorien und Fake News

Wenn von Verschwörungstheorien die Rede ist, folgt oft im selben Atemzug der Begriff der Fake News. Inwiefern sind die beiden Phänomene miteinander verbunden? «Die Begriffe decken sich nicht, aber sie überschneiden sich», so Dieter Sträuli. «Verschwörungstheorien sind ein Sonderfall der Fake News. Der Begriff Fake News wird in zwei Richtungen gebraucht, einerseits als Vorwurf an die anderen, etwa an die Medien, die angeblich Fake News verbreiten.» Andererseits würden Fake News bewusst eingesetzt als Mittel der politischen Propaganda oder der Werbung, dann handle es sich um gezielt eingesetzte Lügen. «Fake News kommen also vor als Thema von Verschwörungstheorien oder als übergeordnete Kategorie, in die auch die Verschwörungstheorien fallen», fasst der Experte zusammen.

Verschwörungstheorien sind relativ einfach gestrickt. Sie nennen für das, was jeweils in der Welt gerade nicht gut läuft, Schuldige. Dieter Sträuli

Warum der Bildungsgrad keine Rolle spielt

Gut ausgebildete Leute neigen weniger dazu, einer Verschwörungstheorie Glauben zu schenken – könnte man meinen. Dennoch ist häufig das Gegenteil zu beobachten. Wie kommt das? «Unser Intellekt ist ein komplexes Gebilde. Wir alle besitzen unbewusste Phantasmen, die jenseits aller Vernunft den Traum von der grossen Liebe, der ganzen Wahrheit, der absoluten Freiheit und dem vollkommenen Geniessen beschreiben», meint der Experte dazu. «Stossen wir in unserer Umgebung auf Menschen, Ereignisse oder Texte, die mit unseren verborgenen Phantasmen übereinzustimmen scheinen, können wir uns nur schlecht wehren – ein Sirenengesang, der verstärkt wird, wenn andere unsere Schwäche ausnutzen und einen vereinnahmenden Diskurs einsetzen.» Unsere Immunität sei stärker, wenn wir unsere eigenen Phantasmen kennen und wissen, auf welcher Seite wir anfällig sind.

Verschwörungstheorien vorbeugen 

Wie bereits erwähnt, sind Verschwörungstheorien und ihre Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Deswegen ist Prävention gefragt. Wer dabei einige Punkte beachtet, leistet bereits einen erheblichen Beitrag. Dieter Sträuli rät: «Es ist nützlich, wenn man Verschwörungstheorien studiert, im Einzelnen – an Beispielen – und im Allgemeinen, in ihrer Theorie. Dann sollte man sie mit wissenschaftlichen und journalistischen Mitteln widerlegen, auch wenn man damit nicht viel Echo erzielt.» Denn Verschwörungstheorien können gefährlich sein, was der Experte am Beispiel des Antisemitismus verdeutlicht. Gerade in der Politik müssten wir sie bekämpfen, sobald sie auftauchen.

Text Lars Gabriel Meier

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