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Das New-Work-Syndrom

13.03.2023
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Geht es »nur« um flexible Arbeitszeiten oder doch um eine völlig neue Arbeitskultur? Der Begriff »New Work« soll alle Möglichkeiten eines selbstbestimmteren Arbeitens zusammenfassen. Und kann damit per se keiner abschließenden Definition unterliegen.

Einige mögen diese Zeilen gerade lesen, während sie überlegen, ob oder wann sie heute zur Arbeit gehen sollen. Und ihr Kollege schreibt ihnen in zwei Minuten wieder eine Nachricht, dass er doch spontan im Homeoffice bleibt und erst nächste Woche im Firmenbüro aufschlägt.
Willkommen in der Welt des Neuen Arbeitens. Wobei schon dieser Willkommensgruß seine Tücken hat. Denn die New-Work-Kultur, wie sie bereits Ende der 1970er-Jahre von dem Sozialphilosophen Prof. Dr. Frithjof Bergmann im Sinne des digitalen Wandels ausgerufen wurde, soll tiefer wirken. Es geht nicht nur um neue oder flexiblere Arbeitszeiten. Es geht um einen Strukturwandel, der die Mitarbeitenden als wichtigstes Potenzial eines Unternehmens begreift – und diesen somit auch mehr individuelle Mitsprache und Förderungsmöglichkeiten einräumt.

Nur »12 to 5«?

Es ist eine Binsenweisheit: Parallel zur zunehmenden Vernetzung und Automatisierung ändert sich die menschliche Arbeit. Einige Arbeiten werden von Computersystemen oder Robotern übernommen, dazu entstehen parallel neue Berufe, die es so vor Jahren noch nicht gab. Vor allem aber ändern sich auch die Mitarbeitenden, die ein völlig neues Arbeiten einfordern und die Innovationen, die ihr Privatleben bestimmen, vom Computer bis zum Smartphone, am Arbeitsplatz gespiegelt sehen wollen. Junge Menschen möchten an einem modernen Arbeitsplatz tätig sein, der die Arbeit auch ein wenig an ihre persönlichen Freizeitvorlieben heranrückt. Darüber stöhnen vor allem die Firmen oder Geschäftsmodelle, die rund um die Uhr Waren fertigen oder Dienstleistungen anbieten. Wie soll ein Schichtsystem mit der Generation Z funktionieren, wenn alle am liebsten nur von 12 bis 17 Uhr kommen wollen?

Ja, Arbeit muss glücklich machen

Genau hier beginnt die Herausforderung von New Work. Denn für jede Firma können diese sieben Buchstaben etwas anderes bedeuten. Für die Pflegeberufe, die seit Jahren oder Jahrzehnten händeringend nach mehr Anerkennung und einer besseren Vergütung streben, kann New Work auch bedeuten, den Sinn und die Schönheit mitmenschlicher Hilfestellungen zu vermitteln. Wer in der Pflege hilfsbedürftiger Menschen einen Arbeitssinn erkennt, der muss in einem zweiten Schritt eine Arbeitsumgebung und -organisation vorfinden, die die pflegt, die pflegen. New Work in der Pflege kann bedeuten: Alles tun, um ein Ausbrennen und Aufreiben des Pflegepersonals zu vermeiden. Je mehr oldschool eine Arbeit ist, beispielsweise in der Art und Weise, wie bestimmte Dinge abgearbeitet werden oder in festen Rhythmen wiederkehren, desto weiter und neuer müssen die Wege sein, um die Mitarbeitenden fortzubilden und glücklicher zu machen.

Auch müssen Unternehmen damit leben, dass sich junge Menschen immer einmal neu orientieren wollen. Der Mensch, der 40 Jahre im gleichen Unternehmen tätig ist, ist ein Auslaufmodell.

Auch müssen Unternehmen damit leben, dass sich junge Menschen immer einmal neu orientieren wollen. Der Mensch, der 40 Jahre im gleichen Unternehmen tätig ist, ist ein Auslaufmodell. Das bedeutet, dass Arbeitsprozesse über Branchen- und Firmengrenzen hinaus freier und doch vergleichbar funktionieren sollten, um Wechsel zu erleichtern. Freie Firmenkulturen müssen sich angleichen. Die Hürden, sich in die Abläufe einer neuen Firma einzufinden, müssen möglichst niedrig sein. Wenn Firmen ihre Arbeitsabläufe neu planen, sollten sie sich also fragen: Wie kann New Work nicht nur den allgemeinen Arbeitswandel abbilden, sondern auch den persönlichen?

Kooperationen binden Mitarbeitende

Kurzfristig anpassbare Arbeitszeiten und Wochenstunden sind sicherlich ein wichtiger Hebel, um Mitarbeitende wirklich jederzeit einstellen oder halten zu können. Denn abseits des New Work gibt es ein »Old Life«, also bestimmte Karriere- oder Lebensplanungen mit unverhofften Ereignissen, die Firmen sehr wohl auffangen können und vielleicht auch müssen, um die Arbeit auch als »Erleichterungszeit« oder »Ausgleichszeit« von privaten Sorgen zu konzipieren.

Die neue, alte Schlüsselfrage lautet: Was hält Mitarbeitende bei einem Unternehmen? Vielleicht ist es der Umstand, dass Kooperationen und Absprachen nicht nur in kleinen Abteilungen oder Teams, sondern bis in die Chefetage gelebt werden. Ein wichtiger Punkt der Digitalisierung, der besonders stark auch die Arbeitsmoral oder das Arbeitsglück anspricht, ist das Aufbrechen alten Konkurrenzdenkens. Wer Gemeinschaft und Arbeitsbalance nur in einigen Abteilungen oder in bestimmten Innovationsteams verankere, so sehen es etliche Beratungsfirmen, übersehe die umfassenden Möglichkeiten von New Work. Echte, übergreifende Kooperation fördert das Gemeinschaftsgefühl – und hält den New-Work-Gedanken und die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz frisch.

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