Mit dem Begriff «Stadt» verbinden viele Leute Aspekte wie Verkehr, Menschenmassen und Schnelllebigkeit. Doch wie sich zeigt, könnte sich die urbane Zukunft der Mobilität gerade dadurch auszeichnen, dass sie Entschleunigung fördert und ein Leben in «kleineren Einheiten» ermöglicht. «Fokus» skizziert ein Bild der Stadt von morgen.
Das Jahr 2023 wird für die Schweiz das Erreichen eines neuen Meilensteins mit sich bringen: In diesem Jahr werden wir aller Voraussicht nach die Marke von neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern knacken. Der Begriff «Neun-Millionen-Schweiz» ist derzeit medial äusserst stark präsent – und löst bei vielen Leuten auch Sorgen aus. Die Wohnungsnot in den Städten, das Ansteigen der Mietpreise sowie die Zunahme des Verkehrs gelten als negative Folgen des Bevölkerungswachstums.
Es ist darum der geeignete Zeitpunkt gekommen, um sich zu fragen, wie eigentlich die Schweizer Städte der Zukunft aussehen könnten. Um dieser Frage nachzugehen, ergibt es Sinn, die grösste Stadt des Landes als Ausgangspunkt für die Überlegungen heranzuziehen. Und bevor man mögliche Szenarien für die Zukunft skizziert, ist ein kurzer Blick zurück auf die urbane Geschichte Zürichs sinnvoll. Denn wie die Vergangenheit zeigt, erlebte die Limmatstadt in ihrer Geschichte einige Schwankungen: Ein Meilenstein stellt sicherlich die Eingemeindung der Stadt mit ihren umliegenden Gemeinden im Jahr 1893 dar. Dadurch wurde Zürich auf einen Schlag zur Grossstadt mit rund 120 000 Einwohnerinnen und Einwohnern. In den darauffolgenden Dekaden setzte sich die Zuwanderung in die Stadt fort und so erreichte die Bevölkerung Zürichs im Jahr 1962 mit 440 180 Menschen einen Höchststand. Gemäss Zürcher Stadtverwaltung liess danach aber die erhöhte Mobilität die Agglomeration auf Kosten der Kernstadt wachsen und die Bevölkerungszahlen in der Stadt wieder sinken. 1997 wurde mit einer Einwohnendenzahl von weniger als 360 000 Personen die Talsohle erreicht. Seither geht es wieder bergauf: 2022 konnte mit 443 037 Einwohnerinnen und Einwohner erstmals die Rekordmarke von 1962 überboten werden.
Die Stadt der Zukunft werde mit grosser Sicherheit menschenzentrierter sein.
Diese kleine historische Abhandlung zeigt: Städte sind Veränderungen unterworfen. Interessant ist die Tatsache, dass insbesondere die zunehmende individuelle Mobilität in den 1960er-Jahren zur Folge hatte, dass Menschen die «Flucht» aus der Innenstadt antraten. Heute wiederum führt unter anderem ein verändertes Mobilitätsverständnis dafür, dass urbane Räume wieder als attraktiv gelten: Anstatt zu pendeln und aufs Auto zurückgreifen zu müssen, werden kurze Wege und nachhaltige Fortbewegungsmittel präferiert. Wird sich dieser Trend nun in den kommenden Jahrzehnten noch zusätzlich akzentuieren?
Urbane Zukunft: Die Zehn-Minuten-Stadt
Fachleute gehen davon aus, dass dies zutreffen wird. Die Stadt der Zukunft werde mit grosser Sicherheit menschenzentrierter sein, sprich, den Ansprüchen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner stärker Rechnung tragen. Statt also wie in der Vergangenheit viel öffentlichen Grund für Strassen und Parkplätze zu verwenden, wird das Thema «Nachhaltigkeit» bei der Stadtplanung an Gewicht gewinnen. Konkret dürfte sich das in zusätzlichen Grünflächen niederschlagen sowie einem grüneren öffentlichen Verkehr. Ebenfalls sei davon auszugehen, dass der Quartiergedanke wieder vermehrt in den Fokus rückt. Die Stadt der Zukunft wird laut Meinung von Expertinnen und Experten eine sein, die hochwertigen sowie sicheren Lebensraum bietet und in der die Menschen innerhalb von zehn Minuten alle ihre Bedürfnisse abdecken können. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Zehn-Minuten-Stadt. Egal also, ob man einkaufen möchte, den Park besuchen oder ein Café ansteuern will – alle diese Annehmlichkeiten liegen maximal zehn Minuten entfernt.
Ein weiterer Aspekt der quartiergeprägten Stadt ist die Mischnutzung von Immobilien. Die Stadtplanung der Vergangenheit sah eine klare Trennung von Wohnraum, Arbeitsflächen und Gewerbebauten vor. Dieser Ansatz löste einen hohen Mobilitätsbedarf aus und ist nicht mit dem Prinzip der Zehn-Minuten-Stadt vereinbar. Dementsprechend dürfte diese strikte Trennung der Objektnutzung künftig aufgebrochen werden. Fluide Nutzungskonzepte sowie die Verschmelzung von Wohn-, Arbeits- und Gewerberäumen sorgen für ein «konzentrierteres» Leben innerhalb der Stadt der Zukunft. Und das Beste: Dank neuer Technologien wird der urbane Raum trotz dieser Verdichtung nicht weniger wohnlich. Waren Städte früher tendenziell eher laut, schmutzig und vom Verkehr verstopft, sorgt die neue und saubere Mobilität dafür, dass städtische Zentren lebenswert werden und bleiben.
Die Menschen müssen bei der Zukunft der Mobilität mitreden
Diese Einschätzungen zeigen, dass sich für die Schweizer Städte eine durchaus positive Zukunft abzeichnet. Doch damit eine Stadt auch wirklich menschenzentriert sein kann, müssen die Verantwortlichen die Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner ermitteln und adressieren. Dies wiederum setzt voraus, dass ein stetiger Dialog mit der Bevölkerung gepflegt wird. Denn Lebensqualität entsteht nur dann, wenn man auf die Aspekte eingeht, die den Menschen wichtig sind, welche die Stadt mit Leben füllen.
Text Marcel Winter, Leiter Infrastruktur Schweiz,Country Manager Schweiz bei AFRY
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