Interview von Rüdiger Schmidt-Sodingen

»Transaktionen und Corporate-Governance-Themen werden komplexer«

Die beiden Co-Managing-Partner der Sozietät Gleiss Lutz sprechen im Interview über die drängendsten Fragen in Corporate Governance, Compliance und Konzernrecht.

In der Krise gilt: Geschäftsmodelle sollten nicht übereilt aufgegeben, Geschäftsstrukturen jedoch angepasst werden. Letzteres braucht Bewegung und rechtliche Absicherung. Wie können sich Unternehmen auf Zusammenschlüsse und Transaktionen besser vorbereiten? Wohin steuert das Gesellschaftsrecht? Wofür müssen Vorstände zukünftig haften? Und wie können Kanzleien ihren Mandant:innen in schwierigen Zeiten am besten zur Seite stehen? Fragen an Prof. Dr. Michael Arnold und Dr. Alexander Schwarz, Rechtsanwälte und Co-Managing-Partner der Sozietät Gleiss Lutz.

Herr Prof. Dr. Arnold, Sie beraten Unternehmen bei Corporate Governance und Compliance-Themen, Aktien- und Konzernrecht. Was bewegt die Unternehmen und deren Vorstände derzeit besonders?

Arnold: In den Jahren 2020 und 2021 waren es vor allem Themen rund um Corona, beispielsweise zum Arbeitsumfeld von Mitarbeitenden oder zu den Möglichkeiten, gesetzlich vorgesehene Veranstaltungen wie Hauptversammlungen virtuell abzuhalten. Im Frühjahr 2022 brachte der Ukraine-Krieg neue Fragen mit sich, etwa zum Rückzug der Unternehmen aus Russland und den staatlichen Sanktionen. Auch die Themen Rohstoffknappheit, gestiegene Energiekosten und die Inflation beschäftigen die Unternehmen sehr. Im Übrigen bewegt die Unternehmen und deren Vorstände derzeit besonders das Thema ESG. Insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeit setzen sich Unternehmen immer höhere Ziele. Auch die rechtlichen Anforderungen sind in diesem Bereich deutlich gestiegen. 

Haben Vorstände zunehmend Angst, für Fehler unmittelbar belangt zu werden – so, wie das oftmals öffentlich gefordert wird?

Arnold: Der Bundesgerichtshof hat seine ARAG-Garmenbeck-Entscheidung aus 1997, nach der der Aufsichtsrat Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder zu prüfen und nach Feststellung grundsätzlich zu verfolgen hat, in den Jahren 2014 und 2018 bestätigt. Diese Aufgabe nehmen Aufsichtsrät:innen sehr ernst, führt sie doch – wie der Bundesgerichtshof ebenfalls entschieden hat – im Fall eines Unterlassens dazu, dass sich die Aufsichtsratsmitglieder unter Umständen selbst pflichtwidrig verhalten. Gleichwohl haben Vorstände bei unternehmerischen Entscheidungen weite Ermessensspielräume. Nicht alles, was sich später möglicherweise als Fehler herausstellt, führt also zu einer persönlichen Haftung.

Sie begleiten Aufsichtsrät:innen auch beim Börsengang. Was ist dort zu beachten?

Arnold: Ein Börsengang erfordert eine umfassende Vorbereitung, sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus rechtlicher Sicht. Die Börsenzulassung und die Börsennotierung sind mit hohen Anforderungen verbunden, zudem müssen sich die Unternehmen für die Zeit nach dem Börsengang auf weitere, nur für börsennotierte Unternehmen geltende Pflichten einstellen. 

Inwieweit haben die derzeitigen Krisensituationen Einfluss auf rechtliche Fragen? 

Arnold: Ukraine-Krieg, Rohstoffknappheit, Energiekosten, Corona etc. sind alles Themen, die uns in unserer täglichen Arbeit begegnen. Insofern haben diese Themen großen Einfluss auf die rechtlichen Fragen, mit denen Unternehmen konfrontiert sind und bei denen wir sie begleiten dürfen. Diese Aspekte fließen auch in die unternehmerischen Ermessensentscheidungen ein, die die Unternehmen treffen.

Herr Dr. Schwarz, trotz oder wegen der Krise planen viele Unternehmen Übernahmen oder Zusammenschlüsse. Wo liegen bei solchen Käufen oder Zusammenschlüssen derzeit die größten Herausforderungen?

Schwarz: Generell ist das regulatorische Umfeld komplexer geworden. Viele europäische Länder haben zum Beispiel die Kontrollen für ausländische Direktinvestitionen deutlich verschärft. Kürzlich wurde die EU-Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen förmlich beschlossen. Die USA planen den »National Critical Capability Defence Act«, eine Art Investitionskontrollverfahren für bestimmte Outbound-Investitionen, um nur einige Beispiele zu nennen. Das hat Auswirkungen auf den Zeitrahmen zur Umsetzung einer Transaktion und in einigen Fällen auch auf die Transaktionssicherheit. Zudem wird die Due Diligence immer komplexer. Bei jedem Zielunternehmen sind neben den bislang gängigen Aspekten nun auch die Themen Energiesicherheit, Stabilität von Lieferketten und ESG sorgfältig zu prüfen.

Wenn sich ein Großkonzern von einer bestimmten Unternehmenssparte trennt, muss das juristisch aufwendig begleitet werden. Was sind die größten Stolperfallen?

Schwarz: Die Ausgliederung einer Unternehmenssparte aus einem Konzern sowie deren Überführung in eine verkaufsfähige, rechtlich und operativ selbstständige Einheit (Carve-out) ist eine komplexe M&A-Transaktion und gleicht einer »Operation am offenen Herzen«. Häufig ist eine Vielzahl von Produktionsanlagen, Grundstücken und Gebäuden betroffen, die es herauszulösen oder gar aufzuteilen gilt. Verflechtungen mit anderen Unternehmenssparten sind oftmals über viele Jahre gewachsen, sodass gegenseitige Abhängigkeiten entsprechend groß sind. Die Komplexität steigt noch mit dem Grad der internationalen Geschäftsaktivität. Nach dem Herauslösen der Unternehmenssparte sind zumindest für eine Übergangszeit operative Schnittmengen und fortbestehende Rechtsbeziehungen durch sogenannte Transitional Service Agreements zu regeln. Verschiedene Stakeholder-Gruppen müssen in den Transaktionsprozess eingebunden werden. Gleichzeitig müssen auch die Interessen des potenziellen Käufers berücksichtigt werden und der notwendige Zeitraum für die erforderlichen Freigaben von behördlichen Genehmigungen ist einzuplanen. Schließlich ist für eine saubere Ausgliederung unabdingbar, dass potenzielle Haftungsrisiken frühzeitig erkannt und durch eine optimale Carve-out-Struktur eingedämmt werden. Carve-out-Transaktionen erfordern also eine sehr sorgfältige Vorausplanung.

Übernahmeverträge sind komplex, denn sie finden unter »Transaktionsbedingungen« statt. Was bedeutet das?

Schwarz: Bei Transaktionen ist zwischen der Vertragsunterzeichnung, dem »Signing«, und dem Vollzug des Vertrags, »Closing«, zu unterscheiden. Zum Vollzug kommt es nur, wenn die sogenannten Transaktionsbedingungen eingetreten sind. Diese Transaktionsbedingungen werden oftmals erst nach der Due Diligence und nach sorgfältiger Prüfung des regulatorischen Rahmens vereinbart und verhandelt. Derzeit wird in Unternehmenskaufverträgen auch ein größeres Augenmerk auf den Zeitraum zwischen Vertragsunterzeichnung und Vollzug gelegt. In diesem Zusammenhang werden zunehmend Verpflichtungen und Beschränkungen des Verkäufers für diesen Zeitraum sowie Kündigungsrechte und Material Adverse Change (MAC)-Klauseln zum Schutz des Käufers diskutiert. Der Ausgang dieser Diskussionen wird dann durch die »Kräfteverhältnisse« am Verhandlungstisch bestimmt.

Wo sehen Sie bei Konzernen und großen Unternehmen Chancen, die zu wenig genutzt werden – sei es aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen oder auch aus Unwissenheit?

Schwarz: Wie eingangs erwähnt, beschäftigt die Umstellung auf nachhaltige Geschäftsmodelle aktuell viele Unternehmen. Für die Transformation ihres Geschäfts zu mehr Nachhaltigkeit benötigen die Unternehmen jedoch viel Kapital. Nachhaltige Finanzierungen sind eine Möglichkeit, wie ein Unternehmen seine Antwort auf die globalen ESG-Themen finanzieren kann. In der Beratung sehen wir jedoch immer wieder, dass zum einen sogenannte »Green Finance«-Lösungen vielen Unternehmen noch nicht hinreichend bekannt sind, zum anderen mittlerweile ernsthafte Konsequenzen drohen, wenn Unternehmen mehr versprechen, als sie halten können.

Seit 2016 leiten Sie gemeinsam als Co-Managing-Partner eine der führenden Wirtschaftskanzleien in Deutschland. Aus Ihrer Erfahrung: Wie können Kanzleien Unternehmen in gesellschaftlichen Krisensituationen am besten zur Seite stehen? 

Arnold: Mit einem umfassenden Beratungsansatz, der es ermöglicht, innerhalb kürzester Zeit Know-how aus verschiedenen Rechtsbereichen zusammenzubringen. Außerdem mit Erfahrung und der in solchen Situationen – gerade, wenn es kritisch wird oder schnell gehen muss – nötigen Ruhe.

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21.03.2023
von Rüdiger Schmidt-Sodingen
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