ans stokholm familie rennt dem sonnenuntergang entgegen
Editorial Kinder

Kinder sind unsere Gegenwart

12.05.2022
von SMA

«Mein Kind, meine Tochter, mein Sohn» – wenn wir das als Mutter oder Vater sagen, dann schwingt Freude und Stolz in der Stimme mit. Denn mit der Geburt des eigenen Kindes geht oft ein Traum in Erfüllung. Und unser Leben als Eltern bekommt einen tieferen Sinn: Leben und Zukunft.

Anders Stockholm Portrait

Anders Stokholm,
Präsident Verband Kind Jugend Familie

«Mein Kind» hat aber auch eine Schattenseite. Es tönt nach Besitz, als ob unsere Kinder uns gehören würden. Sie gehören vielleicht zu uns, aber wir besitzen sie nicht. Ein erstes Mal bekommen wir dies zu spüren, wenn sie ins «Trötzli-Alter» kommen. Und dann erst recht in der Pubertät.

Kinder sind ein Geschenk. Und sie sind eine Aufgabe. Sie stellen unser Leben bereits am Tag ihrer Geburt auf den Kopf – oder besser: wieder auf die Füsse. Sie zeigen uns, worauf alles Leben fusst: Essen, Trinken, Schlafen, vor allem aber auf Liebe und Zuneigung. Weil sie in den ersten Jahren ihres Lebens vollständig auf uns angewiesen sind, tragen wir grosse Verantwortung. Und diese wird mit den Jahren nicht etwa kleiner, sondern grösser und anspruchsvoller.

Ich weiss noch, wie ich mich über jeden Laut und jede Bewegung unserer Kinder gefreut habe, weil ich daran erkennen konnte, wie sie sich entwickelten. Dann aber wurde es anspruchsvoll. Und ich kam an meine Grenzen, wenn sie laut waren, ich aber Ruhe wollte, oder wenn sie spielen wollten, ich aber müde war. Erziehung wurde beinahe zum Seilziehen. 

Die Rechte der Kinder fordern uns zwar heraus, aber sie sind im wahrsten Sinne des Wortes notwendig.

Dieses Seilziehen erlebe ich in Gesprächen, wenn es um die Kinderrechte geht. Viele Eltern bekunden schnell Mühe, wenn davon die Rede ist, dass Kinder Rechte haben: auf Bildung, auf freie Meinungsäusserung, auf Schutz vor Gewalt, auf freien Zugang zu Medien etc. Viele Eltern wollen lieber von den Pflichten reden: Zimmerstunde einhalten, im Haushalt helfen, Hausaufgaben machen…

Wenn wir aber von unseren Kindern nur noch Frieden und Höflichkeit verlangen, wird das Leben friedhöflich. Die Rechte der Kinder fordern uns zwar heraus, sind für uns als Eltern, Grosseltern und Erwachsene wohl die grösste Aufgabe, aber sie sind im wahrsten Sinne des Wortes notwendig.

Ich ärgere mich immer, wenn von unseren Kindern als unserer Zukunft gesprochen wird. Das sind sie auch, aber sie sind vor allem unsere Gegenwart. Wenn wir nicht jetzt für sie und ihre Rechte einstehen, wird die Zukunft eine andere sein, als uns lieb ist. Wenn sie nicht hier und heute an der Art und Weise, wie wir als Erwachsene leben, ableiten können, dass es auch Pflichten gibt, dann werden sie dies in Zukunft nur mit grosser Anstrengung lernen.

Mehr Raum, mehr Möglichkeiten, mehr Spielraum, mehr Lärm, mehr Dreck und ganz wichtig: mehr Zeit – das brauchen unsere Kinder, um gesund heranwachsen zu können. Schwierig in einer Zeit, wo der Platz knapper wird, die Ansprüche an Ruhe grösser, die Vorstellungen vom wahren Leben omnipräsenter. Aus «Mein Kind» sollte darum ein Anspruch werden, unser Handeln kinder- und enkeltauglich auszurichten.

Eine besondere Herausforderung dabei ist für uns die digitale Welt – denn gerade in dieser finden viele Kinder einen Raum, den sie von uns abschirmen können. Und gerade darum lauern darin besondere Gefahren. Wieder gilt: Davon abhalten können geht nicht, damit umgehen lernen zählt.

«Mein Kind» ist mit Liebe gesprochen die beste Grundlage der Erziehung. «Mein Kind» darf nicht Besitz ergreifend missverstanden werden. «Mein Kind» soll Aufforderung sein, sich hier und heute dafür einzusetzen, dass Kinder eine Zukunft haben. 

Text Anders Stokholm, Präsident Schweizer Verband Kind Jugend Familie, Präsident Pro Junior Schaffhausen-Thurgau 

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