Da ist dieses Bild aus der ukrainischen Stadt Charkiw, mit 1,5 Mio. Einwohnern die zweitgrösste des Landes. Es zeigt den Sitz des Stadtrats in Trümmern: zerfetzte Arkaden, leere Fensterhöhlen, einen von Steinbrocken, Holzplanken, Metallstücken übersäten Innenhof hinter einem halbrunden Torbogen. Übrig bleiben von der Architektur des Sozialistischen Klassizismus im Stadtzentrum von Charkiw ein Haufen Zement und Mörtel – ein ähnliches Schicksal droht den sechs Theatern und ebenso vielen Museen der Kulturhochburg, den dreizehn Hochschulbauten oder der Kathedrale des Maria-Schutz-Klosters aus dem 17. Jahrhundert.
Anna Schindler,
Direktorin Stadtentwicklung Zürich
In Trümmern liegt nicht nur feingliedrige Architektur, zunichte gemacht sind damit auch jahrzehntealte Stadtentwicklungskonzepte, das durchdachte Werk von Planerinnen, Ingenieuren, Soziologinnen, Geografen. «Resilienz» heisst eines der neuen Paradigmen der Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert: Städte widerstandfähiger machen gegenüber Extremereignissen, wetterbedingten Katastrophen und anderen Gefahren. Rezepte zu entwickeln, wie das Wachstum der Städte weltweit möglichst nachhaltig umgesetzt werden kann – nicht nur in Bezug auf zuverlässige Infrastrukturen, sondern auch um den Menschen aller Bevölkerungsschichten sichere Lebenswelten zu bieten, Arbeitsstätten, Wohnraum, Mobilität und Versorgung zu garantieren.
Das «resiliente System Stadt» soll akute Schocks oder chronischen Stress bewältigen können und sich anzupassen lernen, um sich rascher zu erholen und langfristige Entwicklungsperspektiven nicht zu gefährden – denn bis 2050 werden 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. In der Schweiz sind es anteilsmässig bereits heute so viele, und Schweizer Städte befassen sich intensiv mit der urbanen Sicherheit in verschiedenen Zusammenhängen. So plant Zürich das seit der Jahrtausendwende anhaltende Bevölkerungswachstum vorausschauend – nicht nur städtebaulich, sondern als räumlich-gesellschaftliches System, das auf allen Ebenen mit seiner näheren und weiteren Umwelt verflochten ist.
Zürich plant das seit der Jahrtausendwende anhaltende Bevölkerungswachstum vorausschauend.
Eine Wohnpolitik, die mit einem bewährten System des gemeinnützigen Wohnungsbaus einen substanziellen Teil des Wohnungsbestands für einkommensschwächere Bevölkerungsschichten bewahrt, eine sozial nachhaltige Innenverdichtung, Anstrengungen zur Diversifizierung der Wirtschaft und der Reduktion der Abhängigkeit von einem dominierenden Finanzsektor. Bemühungen zur Hitzeminderung in der Innenstadt, zu mehr Grünräumen und einer klimaverträglichen Stadterneuerung, zu nachhaltigeren Energiesystemen und sicheren Verkehrsinfrastrukturen fliessen in die räumlichen Entwicklungskonzepte ein und werden planerisch verbunden – so konfliktiv sie in ihren Zielen im konkreten Raum auch sein mögen.
Aber auch die Einbindung der Stadt über die Grenzen hinaus, in nationale und internationale Städtenetzwerke, ist ein Beitrag zur Steigerung ihrer Resilienz. Solche Netze bieten Plattformen zur systematischen Zusammenarbeit im Bereich der Katastrophenvorsorge und der Stärkung der gesellschaftlichen Widerstandskraft.
Krieg allerdings taucht in diesen Szenarien im europäischen Kontext nicht auf. Massnahmen zur Anpassung der Städte an den Klimawandel oder zur Abfederung von Extremwettereignissen wie Hitze und Regen lassen sich definieren, begreifen, angehen – und die Pandemie hat uns in den letzten beiden Jahren gezeigt, wie Städte auf Katastrophen im Gesundheitsbereich reagieren. Auf einmal aber steht nicht die blaue, die grüne oder die graue Stadt im Fokus, sondern die zerstörte Stadt. Auch darauf müssen wir jetzt Antworten finden.
Text Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich
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