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Diversität Gesellschaft Kultur

Inklusive Kommunikation: Ein kleines ABC

30.01.2024
von SMA

Die Gesellschaft wird im Eiltempo diverser und das hat einen Einfluss auf unsere Sprache. Für eine inklusive Kommunikation werden Begriffe, die früher unschuldig klangen, nun verbannt. Darf man denn gar nichts mehr sagen? «Im Gegenteil», lautet die Expertenmeinung, «Menschen dürfen Fehler machen, aber sie müssen sich trauen, verletzlich zu sein.»

Aus «Ausländerin» wird «Frau mit Migrationshintergrund», aus «Behinderter» wird «Mensch mit einer Behinderung» und das N-Wort ist in keiner Situation angebracht. In den letzten Jahren ist die deutsche Sprache auf den Prüfstand gestellt worden. Viele Wörter sind in Ungnade gefallen, während neue Begriffe und Regeln hinzukamen. Diese sollen dafür sorgen, dass sich alle wohlfühlen, unabhängig der körperlichen oder geistigen Verfassung und des religiösen oder ethnischen Hintergrunds.

Vielfältige Gruppe junger Menschen, die sich in der College-Bibliothek unterhalten, einschließlich Studentinnen mit Behinderung

Bild: iStockPhoto/SeventyFour

Doch das stösst auf Widerstand. Aussagen wie «Man darf ja nichts mehr sagen» und «Es geht langsam zu weit» gehören zum Alltag. Die Menschen haben Angst vor Veränderungen und haben das Gefühl, dass ihnen etwas weggenommen wird. Diese Angst sei unbegründet, meint die Strategin für integrative Kommunikation Jihad Van Puymbroeck.

«Inklusive Kommunikation ist nicht mühsam», macht sie geltend. «Der wichtigste Tipp ist sogar sehr anspruchslos.» Wenn man sich unsicher fühlt, kann man das Gegenüber fragen, ob eine Aussage angemessen ist. Das kann sich durchaus etwas unangenehm anfühlen, aber aller Anfang ist bekanntlich schwer. Diese Schwelle muss man auch nur einmal überwinden, während das Gegenüber sich vielleicht täglich mit derartigen Fragen konfrontiert sieht. Deshalb ist es auch so wichtig, sich selbst über die Situation zu informieren, egal ob online oder in Büchern. «Aufgrund von Überforderung kann es sein, dass manche auf diese Fragen irritiert reagieren», erklärt Van Puymbroeck. «Für solche Reaktionen muss man Verständnis zeigen und versuchen, selbst weiter zu recherchieren. Aus diesem Grund ist auch der Hashtag #EducateYourself entstanden.»

Sie weist darauf hin, dass sich Sprache stets in einem Prozess der Weiterentwicklung befindet. Das macht es manchmal schwierig, Schritt zu halten. Fehler sind unvermeidlich und kein Grund zur Panik. «Unsere Gesellschaft verändert sich und damit auch unsere Sprache. Aber das ist eine individuelle Geschichte», sagt Van Puymbroeck. «Jeder Mensch gibt den Wörtern eine andere Bedeutung. Ich habe mich zum Beispiel kürzlich mit einem Jungen im Rollstuhl unterhalten. Es ging darum, wie ich Menschen mit Behinderungen nannte. Während er lieber Menschen mit Einschränkung hört. Ich habe mich entschuldigt und meine Wortwahl sofort angepasst.»

Aber um Fehler zuzugeben, muss man sich trauen, verletzlich zu sein. Und genau da drückt oft noch der Schuh, meint Hanan Challouki, Expertin für inklusive Kommunikation. «Menschen reagieren oft defensiv, obwohl es besser wäre, offen zu bleiben und daraus zu lernen. Man darf es ruhig wagen, Fragen zu stellen. Was hat diese Person verletzt? Wie ist es dazu gekommen? Wie können wir das in Zukunft vermeiden? Es wird noch zu darauf gehört, was die Menschen fühlen und erleben.

Es wird noch zu darauf gehört, was die Menschen fühlen und erleben. Hanan Challouki, Expertin für inklusive Kommunikation

Mehr als ein paar Worte

Bei der ständigen Aufregung um bestimmte Namensänderungen würden wir vergessen, dass integrative Kommunikation mehr als das Ersetzen einiger Wörter ist. Es geht um viel mehr, wie zum Beispiel auch um Audiodeskriptoren im Fernsehen oder sprachliche Entwicklungen in der Welt der LGTBQ+-Community. «Es gibt eine Menge unnötige Verwirrung um they/them oder den Verzicht auf Pronomen», findet Van Puymbroeck. «Manche meinen, das sei grammatikalisch nicht korrekt oder unschön. Aber die Sprache entwickelt sich weiter. Ich verstehe, dass es manchmal schwer ist, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Aber wer sind wir, diese Pronomen für ungültig zu erklären, wenn nicht-binäre Menschen sich so identifizieren.»

Inklusive Kommunikation im Unternehmen

In der Geschäftswelt geht es zunehmend um einfache und mehrsprachige Kommunikation. Ein Ratschlag ist zum Beispiel, Metaphern, Bilder und Abkürzungen zu vermeiden. «Manchmal kann es auch sinnvoll sein, Texte zu übersetzen», empfiehlt Van Puymbroeck, «oder nicht nur Text zu verwenden. Ich nenne ein Beispiel aus den Niederlanden: Während der Coronapandemie erhielten Menschen, die kein Niederländisch sprechen, über WhatsApp Sprachnotizen in ihrer eigenen Sprache mit einer verständlichen Erklärung der Regeln.» Aber auch im eigenen Leben geht es um mehr als den Verzicht auf ein paar Wörter: «Auf persönlicher Ebene ist es besonders wichtig, sich bestimmter Annahmen bewusst zu sein», führt Challouki aus: «Es gibt immer noch eine Menge unbewusster und bewusster Vorurteile. Diese führen dazu, dass schon bei der ersten Begegnung ein Bild von einer Person entsteht. Wenn wir diese Vorurteile ablegen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, unangemessene Dinge zu sagen.»

Erste Hilfe bei Fehlern

Ein falsches Wort kann ein freundliches Gespräch schnell belasten und sogar zu Streit führen. Wie reagiert man am besten, wenn man merkt, dass man das Gegenüber verletzt hat? «Entschuldigen Sie sich und führen Sie einen Dialog darüber, was falsch gelaufen ist», rät Van Puymbroeck. «Akzeptieren Sie das Feedback, das Sie erhalten und lassen Sie sich nicht auf einen Streit ein. Die Gruppe, der das Wort gehört, bestimmt, wie es sich weiterentwickelt. Zum Beispiel spricht jetzt Tumult vzw, eine Organisation für junge Flüchtlinge, von jungen Menschen mit einer Flüchtlingsgeschichte. Die jungen Leute haben mitbestimmt, wie sie beschrieben werden wollen. Das gefällt mir, und jetzt sage ich es auch so.»

Zu sagen, dass es gut gemeint war, ist ein No-Go. «Das hört man sehr oft», sagt Van Puymbroeck. «Und ich kann verstehen, dass die Leute keine schlechten Absichten haben, wenn sie ein falsches Wort benutzen. Aber das macht es nicht weniger unschuldig oder schädlich. Aussagen wie ‹Ach, du sprichst aber gutes Deutsch› erscheinen harmlos. Aber wenn man sie jeden Tag hören muss, werden diese Mikro-Aggressionen sehr schmerzhaft. Man kann es mit einem Mückenstich vergleichen: Ein Stich ist nicht so schlimm. Ist aber der ganze Körper davon übersät, wird man verrückt.»

Deshalb ist es auch wichtig, einzugreifen, wenn jemand anderes einen Fehler macht – auch wenn es der Lieblingskollege ist, der an der Kaffeemaschine das N-Wort benutzt. «Trauen Sie sich, zu reagieren und Ihre Kolleg:innen zu korrigieren», ermutigt Van Puymbroeck. «Selbst wenn keine Person of Color die Aussage mitbekommen hat. Durch Ihr Einschreiten werden in Zukunft vielleicht weniger Menschen verletzt.»

Text Tuly Salumu

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