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Diversität

Diversität & Diskriminierung: Intersektionalität statt Schubladen

Intersektionalität ist ein moderner Ansatz, um besser mit Diskriminierung umzugehen und diese zu verhindern. Ein Plädoyer gegen das Schubladendenken.

iStock/khananastasia

Frau, Mann, weiss, schwarz, arm, reich, heterosexuell, LGBTQ+. Wir drücken den Menschen gerne einen Stempel auf, was schlussendlich in Diskriminierung münden kann. Dies verkennt die Diversität der Realität. Denn wir alle haben unterschiedliche Identitäten und können auf verschiedenartige Weise Diskriminierung erfahren. Ein Plädoyer für Intersektionalität und gegen das Schubladendenken.

Zunächst ein kurzer Privilegientest. Haben Sie mindestens einen hochgebildeten Elternteil? Haben Sie einen im Wohnland geborenen Elternteil? Sind Sie ein Mann? Sind Sie heterosexuell? Sind Sie weiss? Haben Sie einen Universitätsabschluss? Haben Sie alle diese Fragen mit «Ja» beantwortet? Dann sind Sie ein aussergewöhnlich privilegierter Bürger.

Die Theorie der «sieben Häkchen» und das gleichnamige Buch wurden von dem Journalisten und Anthropologen Joris Luyendijk ersonnen. Er argumentiert, dass weisse, hochgebildete, die Landessprache sprechende heterosexuelle Männer, deren Eltern ebenfalls hochgebildet sind, dem Rest der Gesellschaft meilenweit voraus sind. Diese Theorie führte in den Niederlanden zu einem Sturm der Entrüstung. Gleichzeitig hat sie vielen Menschen die Augen über die privilegierte Stellung einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Männern geöffnet.

Aktivisten stehen auf der Strasse zusammen. Symbolbild Gleichstellung, Diskriminierung, Intersektionalität

Minderheiten kämpfen für eine Sprache ohne inhärentes Schubladendenken. Bild: iStockPhoto/Halfpoint

Ich selbst bleibe an vier Punkten hängen: mein Geschlecht, meine Hautfarbe und die Bildung meiner Eltern. Mein Bruder erfüllt sogar fünf Punkte nicht. Ausserdem haben wir beide unterschiedliche Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung gemacht. Mein Bruder berichtet, dass ihm kaum Steine in den Weg gelegt werden, während ich die rassistischen Vorfälle, die ich erlebt habe, nicht an zwei Händen abzählen kann. Könnte das etwas mit unseren Persönlichkeiten zu tun haben oder liegt es an den Häkchen?

Intersektionalität

Nur wenige wissen, dass Luyendijks Theorie auf ein komplexeres Konzept zurückgeht: die Intersektionalität, auch bekannt als intersektionales Denken. Die US-Professorin und Bürgerrechtsaktivistin Kimberlé Crenshaw ist die Begründerin dieses Konzepts. Sie argumentiert, dass sich unsere Diskriminierungsgründe gegenseitig beeinflussen und dass zum Beispiel eine schwarze Frau anders diskriminiert wird als ein schwarzer Mann. Denn bei der schwarzen Frau überkreuzen sich mehrere Minderheitsmerkmale. Ein anderes Beispiel: Weisse Frauen erleben Sexismus und schwarze Männer Rassismus, aber schwarze Frauen sind Opfer beider Formen der Unterdrückung. Diese Denkweise führt zu differenzierteren Lösungen als das Schubladendenken, wie wir es uns heute gewohnt sind.

Vielleicht entwickeln wir uns hin zu einer geschlechtsneutralen Sprache wie dem Türkischen. Hind Eljadid, Autorin und Wortkünstlerin

«Unsere Identität ist vielschichtig», sagt die Schriftstellerin und Wortkünstlerin Hind Eljadid. «Ich bin zum Beispiel eine Frau, Marokkanerin, eine junge Mutter und Teil der LGBTQ+-Community. Ich gehöre also verschiedenen Minderheitengruppen an. Das hat Auswirkungen auf die verschiedenen Formen der Diskriminierung, die ich erlebe.» Man stelle sich vor: Eljadid steht an einer Kreuzung und die Strassen, die dorthin führen, symbolisieren alle eine Form der Unterdrückung. Der Verkehr nähert sich ihr von verschiedenen Seiten: Ein Auto steht für Rassismus, ein Lastwagen für Sexismus, ein Lieferwagen für Homophobie. Alle diese Fahrzeuge stossen in der Mitte der Kreuzung zusammen, wo Eljadid immer noch steht.

«Menschen haben ein gewisses Bedürfnis nach Schubladen», sagt die Schauspielerin und Aktivistin Nyira Hens. «Ich habe es schwer damit. Die Sprache des Landes, in dem ich als schwarze lesbische Frau lebe, hat mich gelehrt, dass ich nicht hier sein sollte oder dass meine Existenz zumindest abweichend ist. Alles dreht sich um das binäre System, um den Unterschied zwischen Mann und Frau. Nach diesem Massstab bringen wir unseren Kindern bei, wie sie sich emotional ausdrücken, welche Kleidung sie tragen und mit wem sie Beziehungen eingehen sollen. Die Welt scheint simpel zu sein, aber meiner Meinung nach ist sie das nicht. Sexuelle Diversität hat es schon immer gegeben.»

«Andererseits kann man seine Identität heute (noch) nicht ohne diese Schubladen und der damit einhergehenden Diskriminierung beschreiben. Unsere Sprache ist einfach noch nicht so weit. Deshalb ist es umso wichtiger, sich bewusst zu machen, dass diese Schubladen veränderbar sind und immer wieder neue hinzugefügt werden können.»

Geschlechtsneutrale Sprache

Hens findet es gefährlich, wie die Medien Menschen kategorisieren. «Menschen werden immer nach ihrem Beruf oder ihren Verdiensten gelabelt», sagt Hens. «Ich finde das problematisch, denn diese Stempel bleiben haften. Wenn man lange genug sagt, dass ich eine Regisseurin oder eine Schauspielerin bin, bin ich das in den Augen der Leute für immer. Aber eigentlich ist das nicht meine Identität, das sind nur meine Tätigkeiten. Und morgen mache ich vielleicht schon wieder etwas Anderes. Stellen Sie mich einfach mit meinem Namen vor. Der umfasst alles, was ich bin.»

Menschen halten an einer Demonstration gegen Ungleichbehandlung Pappschilder in die Höhe.

Viele Menschen denken nicht über ihre eigenen Privilegien nach, weshalb andere mit Demonstrationen darauf aufmerksam machen wollen. Bild: iStockPhoto/FilippoBacci

«Man ist eine Person auf der Flucht, LGBTQ+, ein Mann, eine Frau… Wir sind noch nicht in einer Welt, in der wir einfach existieren dürfen», meint Eljadid. «Früher gab es eine begrenzte Anzahl von Boxen, in die alle hineingezwängt wurden. Heutzutage gibt es immer mehr neue Bezeichnungen. Wir bewegen uns auf ein breiteres Spektrum zu. Aber derzeit befinden wir uns noch in einer Zwischenphase. Wir brauchen immer noch diese Schubladen, um uns verständlich auszudrücken. Zum Glück unterliegt die Sprache einem ständigen Entwicklungsprozess. Vielleicht entwickeln wir uns hin zu einer geschlechtsneutralen Sprache wie dem Türkischen.»

Noch sind nicht alle auf den intersektionalen Zug aufgesprungen. Ein Hinweis dafür ist der vehemente Protest gegen das, was dem irreführenden Begriff «woke» untergeordnet wird.

«Nicht alle sind sich ihrer Privilegien bewusst», fährt Eljadid fort. «Wir Betroffenen bewegen uns in einer soziokulturellen Welt, in einer privilegierten Blase. Wir geben uns Zeit und Raum, um zu philosophieren und zu diskutieren. Durchschnittsbürger:innen tun das weniger oft. Indem wir aber darüber sprechen, hoffen wir, auch sie mitzuziehen.»

Text Tuly Salumu

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13.02.2024
von SMA

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