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Kultur Schweiz

Traditionell und dennoch Modern – der Spagat der Schweizer Kultur

01.07.2023
von Cedric Keiser

2019 wurde Christian Stucki unweit vom Zuger Stadtzentrum entfernt im Sägemehl zum Schwingerkönig gekürt. Es ist eine interessante Ortschaft für das nationale Fest einer solchen Traditionssportart. Nicht nur in Zug, sondern in der gesamten Schweiz werden die Bürger:innen tagtäglich mit dem Spagat der Schweizer Kultur zwischen Tradition und Moderne konfrontiert.

Die Schweiz pflegt viele Traditionen und Bräuche. Sie tragen zum Identitätsbild der Schweizer:innen bei. Doch diese geraten zum Teil durch den technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt in Gefahr, wie es häufig bei der Landwirtschaft der Fall ist. Auch die Migration bedingt einen Spagat zwischen Moderne und einer Balance alter sowie neuer Traditionen. Jedoch zeigt das Beispiel Schwingsport, dass die Modernisierung einen Trend für das Traditionelle auslösen kann.

Ländliche Tradition im Trend

Schwingen ist Tradition in der Schweiz. 2022 fand das letzte Eidgenössische Schwinger- und Älplerfest (kurz ESAF) in Pratteln, Basel-Landschaft, statt. Fahnenschwingen in der Arena und Steinstossen mit dem 83,5 kg schweren Unspunnenstein gab es zu bestaunen. Grundsätzlich sind dies ländliche Aktivitäten. Jedoch werden Feste wie das ESAF immer beliebter und sind im Trend. Von den 50 900 verfügbaren Plätzen im Jahr 2022 waren der Öffentlichkeit lediglich 4500 Tickets zugänglich. Der Rest ging an die Schwingerverbände, Sponsoren und Gabenspender. Insgesamt besuchten rund 400 000 Fans das Festgelände. Beim Schlusskampf waren es durchschnittlich 824 000 Zuschauende aus der Deutschschweiz, welche das Finale virtuell verfolgten. Den Spitzenschwingern kommt an solchen Wochenenden ein Superstarstatus bei, begleitet durch moderne Fernsehtechnologie, die Bilder wie bei internationalen Sportanlässen liefern.

Blockchain inmitten der Alpen

Die Schweiz ist ebenso bekannt für ihre vielen Banken, die sowohl ausländisches als auch nationales Vermögen verwalten. Zu diesen Wirtschaftsriesen gesellen sich seit kurzer Zeit Kryptowährungs- und Blockchainunternehmen in Zug und Lugano dazu. Die beiden Städte haben sich für diese neue Technologie geöffnet und fördern sie aktiv. Zug ist mittlerweile als Crypto Valley, in Anlehnung an das Silicon Valley in Kalifornien bekannt. Zudem nahm das Schweizer Volk kürzlich die Vorlage der OECD-Mindeststeuer an der Urne an. Zug beabsichtigt, mit den Mehreinnahmen ein neues Blockchain-Institut zu finanzieren. Lugano versucht sich dagegen als Bitcoin-Metropole Europas zu etablieren. Bereits in über 150 Geschäften wie zum Beispiel McDonalds oder Guess ist es möglich, mit Kryptowährungen zu bezahlen. Dies ist eine äusserst interessante Entwicklung und könnte der Schweiz, sofern diese Technologie weiterhin floriert, wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Und all das geschieht inmitten der Alpen, wo Volksmusik und Jodeln tief verwurzelt sind.

Der Klimaschutz spaltet die Schweiz

Die Schweiz tut sich schwer mit dem Umweltschutz. Dies aber nicht, weil sie sich prinzipiell dagegen wehrt. Sondern die Frage nach dem «wie» spaltet das Land. Die Schweiz besitzt das Kapital für den Bau von Photovoltaikanlagen und Windrädern. Im Gegensatz zu den Wasserkraftwerken, die kaum noch Ausbaupotenzial haben, gäbe es genügend Flächen für erneuerbare Energien. Doch dort steht sich die Schweizer Kultur mit ihrem sonst international bewunderten Demokratiesystem selbst im Weg. In einem Fall gibt es Bedenken für den Vogelschutz, in einem anderen besteht die Angst um das Verbauen eines schönen Panoramas eines Bergorts durch eine grössere Solaranlage. Hinzu kommt das empfindliche Thema der Bauern und Bäuerinnen. Die landwirtschaftliche Kultur ist stark verankert. Zum einen durch Lebensmittel wie Fleisch und Käse, aber auch durch das Jodeln, Alphorn spielen und Alpabzüge im Herbst – das Bild, welches weltweit mit der Schweiz assoziiert wird. Aufgrund der Klimadebatte destabilisiert sich diese Identität. Die Landwirtschaft ist für viele Emissionen verantwortlich und befindet sich deshalb vermehrt in der Kritik. Eine verstärkte Forderung nach der Reduktion dieser Tradition könnte aber ebenso zu viel Aufruhr führen.

Die Schweiz, ein multikulturelles Land

Die Schweiz ist multikulturell. Diese Vielfalt ist aber nur so lange akzeptiert, wie auch die «Schweizer Tugenden» eingehalten werden. Von Neuzugezogenen wird Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Arbeitswille erfordert. Zudem erwartet man besonders in der Deutschschweiz eine sprachliche Anpassung. Das Schweizerdeutsch ist stark verankert und wird gerne gesprochen und gehört. Es zeigt sich aber, dass kulturelle Vielfalt die Innovation befeuern kann. Dies verdeutlicht eine Auswertung bestehender Forschungsarbeit, die durch die Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Kulturelle Vielfalt wirkt sich demnach stärker auf Innovationen aus als andere Merkmale wie Geschlecht und Alter. Das Entscheidende ist dabei die Heterogenität. Je heterogener die Arbeitsgruppen hinsichtlich der Herkunftsländer sind, desto stärker wirkt sich dies positiv auf die Innovationsfähigkeit aus. Die kulturelle Vielfalt ist also eine grosse Chance für die Schweiz. Aber auch da muss die Schweiz wieder einen schwierigen Spagat zwischen ihrer eigenen und fremden Kulturen begehen.

Schwierigkeiten und Chancen

Die Schweiz ist ein vielseitiges Land. Sie hält viele Traditionen und Bräuche aufrecht und misst diesen viel Wert bei. Neuerdings werden diese wie beim Schwingen modernisiert. Gleichzeitig arbeitet das Land an der Förderung fortschrittlicher Innovationen wie Blockchain und Kryptowährungen. Jedoch gestaltet es sich schwierig, der Bevölkerung erneuerbare Energien schmackhaft zu machen, auch wenn sie grundsätzlich gewillt wäre, den Klimaschutz voranzutreiben. Einen weiteren grossen Spagat zwischen Tradition und Moderne begeht die Nation bei der Migration und Sprache. Einerseits gilt die Erwartung der Anpassung an die Schweizer Kultur, andererseits bietet kulturelle Vielfalt eine grosse Chance für das Land. Die Globalisierung wird die Schweizer Kultur noch vor viele Herausforderungen und interne Konflikte stellen. Es zeigt sich aber auch, dass sich Tradition und Moderne in einigen Fällen sogar sehr gut verbinden lassen.

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