Interview von Kevin Meier

Tina Wüstemann: «Diversität ist für mich eine stete Quelle der Inspiration und Kreativität»

Die erfolgreiche Anwältin Tina Wüstemann ist regelmässig auf nationalen und internationalen Listen der besten Juristinnen und Juristen zu finden. Wie sie es auf die vorderen Plätze schaffte, weshalb ihre Arbeit sie immer noch fasziniert und was Diversität für sie bedeutet, erklärt die Partnerin und Leiterin des Private Clients-Teams bei Bär & Karrer im Interview mit «Fokus».

Die erfolgreiche Anwältin Tina Wüstemann ist regelmässig auf nationalen und internationalen Listen der besten Juristinnen und Juristen zu finden. Wie sie es auf die vorderen Plätze schaffte, weshalb ihre Arbeit sie immer noch fasziniert und was Diversität für sie bedeutet, erklärt die Partnerin und Leiterin des Private Clients-Teams bei Bär & Karrer im Interview mit «Fokus».

Frau Tina Wüstemann, wie haben Sie ihren Karriereweg bisher erlebt?

Meine Karriere habe ich nicht geplant. Ich folgte meinem Bauchgefühl, versuchte stets, mein Bestes zu geben und ergriff Gelegenheiten, die sich mir boten. Erst jetzt, wenn ich zurückblicke, ist eine Route mit Etappen erkennbar, die sich ineinanderfügen.

Schon im Studium hatte ich eine Vorliebe für internationales Recht und grenzüberschreitende Problemstellungen. Noch bevor ich das Schweizer Anwaltspatent erwarb, machte ich bei einer grossen Wirtschaftskanzlei in Sydney ein einjähriges Praktikum. Ich wollte nicht nur mein Englisch verbessern, sondern gleichzeitig das «Common Law», das angelsächsische Rechtssystem, kennenlernen und internationale Erfahrung sammeln. Als frischgebackene Schweizer Anwältin zog es mich dann ein paar Jahre später wieder in die Ferne: Ich absolvierte an der New York University mein LL.M.-Studium und erwarb anschliessend das Anwaltspatent von New York. Mein Englisch und meine Auslandserfahrungen im angelsächsischen Raum waren wohl entscheidend dafür, dass mich Bär & Karrer vor fast 23 Jahren anstellte. Internationale Klienten und grenzüberschreitende Problemstellungen blieben der rote Faden meiner Laufbahn, ebenso der Bezug zum Common Law.

Was braucht es, um eine erfolgreiche Anwältin zu werden?

Für mich stehen drei Elemente im Vordergrund: erstens die Leidenschaft für die Tätigkeit als Anwältin. Aus der Begeisterung für meinen Beruf schöpfe ich Energie, um stets wieder neue Herausforderungen anzugehen und in schwierigen Momenten durchzuhalten, ohne den Blick aufs Positive zu verlieren.

Zweitens die Unterstützung durch andere. Ohne die Klienten, die mir vertrauen, das Wohlwollen meiner Kolleginnen und Kollegen und den täglichen Einsatz meines Teams wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Halt und Unterstützung braucht es auch im privaten Umfeld. Ohne den Beistand meiner Mutter und meines Mannes hätte ich es kaum geschafft, meine Karriere mit unserer Familie – wir haben zwei Kinder – zu vereinbaren.

Drittens braucht es auch etwas Mut, sich auf Neues einzulassen und Möglichkeiten, die sich ergeben, zu ergreifen.

Sie sind Leiterin des Private-Clients-Teams; was fasziniert Sie an diesem Bereich?

Alles! Der Bereich «Private Clients» ist unglaublich vielseitig in jeder Beziehung: Unter unseren Klienten sind globale Unternehmerfamilien und wohltätige Stiftungen, bekannte Sportler und Musiker, Start-up-Gründer, Kunstmäzene – aber auch unauffälligere Menschen jeden Alters, jedes Hintergrunds, jeder Couleur. Alle haben ihre besonderen Geschichten, Vorstellungen und Probleme.

Ebenso vielseitig sind die Fälle, die wir bearbeiten: internationale Nachfolgeplanungen und Vermögensstrukturierungen, familienrechtliche Fragestellungen, grenzüberschreitende Erbstreitigkeiten, Erwerb von Immobilien, Unternehmen, Luxusgüter und Kunstwerken, Umsiedlungen mit allen damit verbundenen praktischen Problemen, von der steuerlichen Strukturierung und der Neugestaltung von Vorsorgelösungen bis zum Abschluss eines Ehe- und Erbvertrages. Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten, auf unterschiedliche Probleme einzugehen und individuelle Lösungen zu erarbeiten.

Insbesondere vertreten Sie auch Privatkunden bei Erb- und Truststreitigkeiten. Wie navigieren Sie in diesem Bereich Recht und Emotionen erfolgreich?

Wichtige Faktoren sind sicherlich Empathie und emotionale Intelligenz. Ausserdem ist dies ein Bereich, in dem man mit dem Alter besser wird: Meine langjährige Erfahrung, nicht nur im Bereich der sich stellenden Rechtsprobleme, sondern vor allem auch im Umgang mit Klienten in emotionalen Extremsituationen und meine eigene Lebenserfahrung helfen mir dabei, für meine Klienten einen gangbaren Weg zu finden und sie bestmöglich zu unterstützen.

Wirtschaftskanzleien gelten als «Männerdomäne». Hat sich das auch in Ihrem Werdegang bemerkbar gemacht? 

Absolut. Als ich 1998 als Anwältin bei Bär & Karrer anfing, waren Schweizer Wirtschaftskanzleien auf Stufe Partner meist reine Männerklubs. Der Weg zur Partnerschaft war nicht einfach. Ich arbeitete sehr viel, mit zwei Kleinkindern zu Hause, ohne Garantie, dass mein Aufwand zur Partnerschaft führen würde.

Eine besondere Herausforderung war es zudem, daneben auch noch meinen eigenen Klientenstamm aufzubauen. Ich stand nun plötzlich vor einem leeren Schreibtisch und merkte, dass ich selbst für Mandate sorgen musste. Ich krempelte also die Ärmel hoch und packte die Herausforderung an: Ich publizierte viel, sprach an in- und ausländischen Konferenzen und Seminaren, besuchte Korrespondenzanwältinnen und -anwälte auf der ganzen Welt und baute mir so mein eigenes Profil und Beziehungsnetz auf. Dass ich eher extrovertiert bin, den Umgang mit Menschen geniesse und gerne Beziehungen pflege, kam mir dabei zugute.

Heute sind Frauen in der Partnerschaft von Wirtschaftskanzleien keine Exotinnen mehr. Bei uns sind 10 der 48 Partner Frauen, eine Quote von immerhin rund 21 Prozent. Dass wir damit in der Schweiz unter den Wirtschaftskanzleien zu den Spitzenreitern in Sachen Frauenquote zählen, zeigt, dass die Entwicklung zu mehr «Gender Equality» auf der Führungsstufe der hiesigen Kanzleien noch bei Weitem nicht abgeschlossen ist.

Wie würden Sie den Istzustand der Diversität heute beschreiben?

Der Istzustand ist für mich persönlich eine ermutigende Momentaufnahme auf dem Weg zu mehr Diversität, die weit mehr als das Frauenthema umfasst. Entscheidend ist, dass nun auch die wichtigsten Einflussnehmer auf Anwaltskanzleien, die Klienten und die internationalen Rankings Diversität in den Fokus gerückt haben.

Letztere wie Chambers & Partners oder Legal500 stellen den zu klassierenden Kanzleien mittlerweile detaillierte Fragen zum Thema «Diversity & Inclusion». Dieser Druck wird die Entwicklung hin zu mehr Diversität unterstützen und beschleunigen.

Aber auch Klienten haben einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung von D&I in der Rechtsbranche. Eine wachsende Anzahl von internen Rechtsabteilungen internationaler Unternehmen wird heute von Frauen geführt. Bei einigen Firmen ist D&I bereits ein Bestandteil bei der Evaluation externer Dienstleister.

Auch der Blick auf den Istzustand der Diversität bei Bär & Karrer stimmt mich sehr zuversichtlich: Wir haben konkrete Massnahmen getroffen, die es Frauen leichter machen, Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren. So haben wir zum Beispiel ein Coaching Programm für Anwältinnen und regelmässige «Women Lawyer Lunches», welche dem Austausch und der Vernetzung von jungen Juristinnen dienen. Wir begrüssen kognitive Diversität auf jeder Stufe, nicht zuletzt in der Partnerschaft, worauf ich stolz bin.

Last but not least: Bei der Unterstützung unserer Klienten bei internationalen Projekten und grenzüberschreitenden Problemstellungen setzen wir auf die interdisziplinäre Kollaboration und das kollektive Know-how von Fachpersonen unterschiedlichster Prägung inner- und ausserhalb von Bär & Karrer. Ohne Zusammenarbeit kann Diversität ihre kreative und innovative Wirkung kaum entfalten.

Was bedeutet Diversität für Sie persönlich und wie sehen Sie deren Zukunft?

Für mich ist Diversität eine stete Quelle der Inspiration und Kreativität. Mein Umfeld war schon immer davon geprägt. Meine verschiedenen Aushilfsjobs während des Studiums wie auch meine Auslandsaufenthalte in Australien und den USA sowie meine Arbeit mit internationalen Klienten brachten mich mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Unser Freundeskreis ist multikulturell und umfasst die verschiedensten Persönlichkeiten.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Diversität zur Selbstverständlichkeit wird, sodass das Thema auf natürliche Weise an Bedeutung verliert.

Welche konkreten Schritte würden Sie gerne bei diesem Thema noch sehen?

Ich finde es wichtig, dass Diversität nicht erzwungen, sondern durch konkrete praktische Massnahmen unterstützt und erleichtert wird. Bei Bär & Karrer haben Umfragen wiederholt gezeigt, dass Frauen auf dem Weg zur Partnerschaft gegenüber ihren männlichen Kollegen keineswegs bevorzugt werden wollen. Vielmehr möchten sie es aus eigener Kraft schaffen, Partnerin zu werden, ganz ohne geschlechterspezifisches Vitamin B.

Wie fördern Sie als Teamleiterin die Diversität?

Ich versuche ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle im Team wohlfühlen und motiviert sind, ihre Meinung und ihre Ideen einzubringen, völlig unabhängig von ihrer Funktion und ihrer Seniorität. Bei der Einstellung neuer Mitarbeitenden achte ich zusammen mit Daniel Leu, Partner im Private-Clients-Team, darauf, dass wir unterschiedliche Persönlichkeiten beschäftigen, die sich nicht scheuen, ihre Perspektive zu äussern.

Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die auch im juristischen Bereich arbeiten möchten?

Glaubt an euch, die Zeit ist günstig für eine Karriere als Juristin. Vertraut darauf, dass ihr einen Weg finden werdet, euren Beruf mit der Gründung einer Familie zu vereinbaren. Seid geduldig, lasst euch Zeit, konzentriert euch auf den Moment und zerbrecht euch nicht den Kopf darüber, wo ihr in fünf oder zehn Jahren stehen werdet.

Interview Kevin Meier   Bild zVg

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27.05.2021
von Kevin Meier
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