»#Me too« ist ein Begriff, der für viele Menschen auf der Welt eine grosse Bedeutung hat: Die zwei englischen Worte, angeführt von der Doppelraute, gelten als Allegorie für sexuelle Gewalt, Nötigung, Missbrauch sowie Belästigung. »Smart« sprach mit Online-Aktivistin und »me too«-Anhängerin Silvi Carlsson – und bekam hautnahe Einblicke in die rasant wachsende Welt des Online-Aktivismus.
Soziale Plattformen spielen in der heutigen Gesellschaft eine immer zentralere Rolle. Dadurch haben Menschen nun eine unmittelbare Möglichkeit, sich kollektiv zu finden, gegenseitig auszutauschen sowie zu unterstützen. Das gilt insbesondere für Frauen, die heutzutage trotz diverser kultureller Errungenschaften leider noch immer Opfer sexueller Gewalt und Ungerechtigkeit werden. Dies unterstreicht auch die kriminalistische Auswertung des Bundes aus dem Jahre 2021. Diesen Umstand möchte Silvana Carlsson, bekannt unter dem Kürzel »Silvi Carlsson«, nicht mehr hinnehmen. Sie kämpft für Frauenrechte, für die eigentlich schon längst nicht mehr gekämpft werden sollte.
Hollywood – die Geburtsstätte von »#me too«
Die Geburtsstunde des Protests sowie des Hashtags »#metoo« geschah 2017, als Hollywood-Schauspielerin Alyssa Milano bei einem Tweet auf der sozialen Plattform Twitter andere Nutzer:innen dazu aufforderte, ihre sexuellen Übergriffe mit dem Hashtag »#metoo« unter ihrem Post zu teilen. Diese Worte sollten die Gesellschaft nicht nur auf ihre persönliche Geschichte aufmerksam machen, sondern allgemein das Ausmaß sexueller Übergriffe gegenüber Frauen verdeutlichen. Im Fall von Alyssa Milano handelt es sich um wiederholten sexuellen Missbrauch durch ihren damaligen Vorgesetzten, den erfolgreichen Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. Mit ihrem Tweet wurden die Themen Macht – sowie Hierarchiemissbrauch aufgerollt und zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte. Weinstein nutzte seine Machtposition systematisch aus, um junge Schauspielerinnen zu sexuellen Aktivitäten zu zwingen, indem er ihnen mit ihrem Karriereende drohte. Die mediale Veröffentlichung des Missbrauches führte zu einer erschreckenden Erkenntnis: Sexueller Missbrauch ist noch immer Alltag in einem enormen Ausmass für viele Frauen.
Online-Aktivismus vor »#me too«
Bereits im Jahr 2013 wurde das Hashtag #aufschrei im deutschsprachigen Raum genutzt, um alltäglichen Sexismus und Gewalt zu thematisieren. Weltweit gab es weitere unzählige Hashtags, die auf dieses allgegenwärtige Problem hinweisen wollten, jedoch erhielten diese zu wenig Aufmerksamkeit, um eine öffentliche Debatte zu entfachen. Gewalt gegenüber Frauen ist schon seit jeher ein grosses Problem. Wieso aber erhielt »me too« erst die verdiente Aufmerksamkeit? Bereits Jahre vor der Debatte nutzte Tarana Burke den Slogan »Me too« auf MySpace, um afroamerikanische Frauen zu ermutigen und gegen sexuelle Gewalt anzukämpfen. Silvi Carlsson betont, dass »#metoo« durch Alissa Milano zur richtigen Zeit am richtigen Ort entfesselt wurde. Für einen Wandel müsse die Gesellschaft so weit sein, um diesen auch anzunehmen und weiterzuverarbeiten. Die sozialen Plattformen boten den Aktivist:innen das nötige Werkzeug und durch die Hollywood-Szene auch die notwendige Reichweite.
Deutschland verpennt die Debatte
Durch die soziale Bewegung »me too« erhielten Frauen eine Stimme und einen Ort, an dem sie ihre Erfahrung teilen konnten. Auf der ganzen Welt wurde die Gelegenheit ergriffen und Änderungen in diversen Bereichen vorgenommen. Laut Silvi Carlsson hat Deutschland aber die Debatte völlig verpennt. »Klar, gab es bedeutende Änderungen auch in Deutschland. Trotzdem wurde die Thematik nicht so ernst genommen, wie in anderen Ländern – wie es eigentlich hätte sein sollen.« Die Kreatorin betont, dass dieses Verhalten in unserer Gesellschaft deutlich spürbar ist. »Männer, die sexuellen Missbrauch an Frauen ausübten, werden oft noch immer geschützt und haben sogar noch die Möglichkeit, erfolgreich in der Öffentlichkeit zu stehen.«
Für einen Wandel müsse die Gesellschaft so weit sein, um diesen auch anzunehmen und weiterzuverarbeiten.
Silvi Carlsson spürt an ihrer über 88 000 Follower:innen umfassenden Community auf Instagram, dass das Sprechen und Teilen den Betroffenen unheimlich guttut. Man fühle sich verstanden und nicht allein. Der Account der 31-jährigen Kölnerin wird, wie sie es selbst nennt, als »Safe Space« genutzt, aber auch zur Aufklärung und zur Aufforderung eines strukturellen Wandels. »Aktivismus stelle ich mir wie eine Art Zahnrad vor«, erklärt Silvi Carlsson. Durch soziale Plattformen kann man Informationen einfach und schnell in die ganze Welt hinaustragen. Trotzdem solle man auf die Strasse gehen und protestieren, sofern man kann. Am besten kann ein Wandel in Gang gesetzt werden, wenn jede Art des Aktivismus beansprucht wird.
Holt die Männer mit ins Boot
Zu lange hat sich die Gesellschaft gefragt, was Frauen ändern können, damit solche Übergriffe verhindert werden. Dies ist laut Silvi Carlsson definitiv der falsche Ansatz: »Das Problem muss an der Wurzel gepackt werden«, betont die Aktivistin. Das bedeutet genauer, dass die Verantwortlichen (mehrheitlich Männer) diese Verantwortung auch tragen müssen und an ihrem Geschlechterverständnis arbeiten sowie stetig ihren Umgang reflektieren sollten. Dabei müsse nicht nur die Erziehung und der Umgang im Kindesalter berücksichtigt werden, sondern auch, dass im Falle eines sexuellen Übergriffs härtere Strafen als Konsequenz drohen. Dabei sind die Aufmerksamkeit und Aufklärung enorm wichtig, aber längst nicht alles. Die Lösung bietet das Problem: Das Fundament der patriarchalen Gesellschaft müsse grundlegend durch moderne heutige Männer eliminiert und neu aufgebaut werden.
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