Schweizer Spitzenkoch Andreas Caminada ist mit 19 GaultMillau-Punkten und drei Michelin-Sternen einer der besten Köche der Welt. Im Interview verrät er, warum die Schweizer Küche vieles mehr zu bieten hat als nur Käse und Kartoffeln und welche kulinarischen Werte er seinen Kindern mit auf den Weg geben möchte.
Wo liegt denn für Sie die Essenz der Schweizer Küche?
Grundsätzlich gibt es ja keine Essenz der Schweizer Küche, denn die regionalen Einflüsse sind sehr unterschiedlich. Dadurch hat jedes Gebiet eine eigene Küche, die mit ihrer Tradition, der Sprachkultur und der Höhe zusammenhängt. Das Bündner Oberland kocht einfach anders als die Grossstadt; das war auch schon früher so. Und deswegen ist die Essenz, denke ich, jeweils der Region zuzuschreiben. In meiner Heimat, dem Graubünden, sind es sicher die Kartoffeln und herzhaften Mehlspeisen, die sehr nahrhaft sind und viel Kraft spenden.
Viele meinen abschätzig, die Schweizer Küche bestünde nur
aus Käse und Kartoffeln. Was entgegnen Sie dem?
Es wird oft unterschätzt, welche Vielfalt die Schweizer Küche zu bieten hat. Denn das Tessin mit seinen italienischen Einflüssen isst ganz anders, als die Regionen am Bodensee oder in Genf. Das ist wahnsinnig spannend, auch heutzutage mit der neuzeitlichen Kulinarik.
Wir versuchen in unserer Küche immer, gut bekannte Zutaten unserer Region so zu inszenieren, dass ein hochstehendes, überraschendes Gericht daraus entsteht. Dadurch entwickelt sich auch aus vermeintlich einfachen Produkten wie Käse und Kartoffeln wieder eine neue Art von Kulinarik.
Wir versuchen in unserer Küche immer, gut bekannte Zutaten unserer Region so zu inszenieren, dass ein hochstehendes, überraschendes Gericht daraus entsteht. Andreas Caminada
Zudem haben wir Schweizer eine grosse Präzision in unserem Schaffen und wir haben eine grandiose Gastgeberkultur, auch weil wir von ihr abhängig sind, vor allem im Bündnerland.
Warum ist Ihnen denn Regionalität so wichtig?
Ich betreibe das Schloss Schauenstein nun schon seit 17 Jahren. Über die letzten 5 Jahren haben wir bewusst mehr und mehr regionale Produkte integriert. Vor 15 Jahren aber hat man in der Spitzengastronomie vor allem die Luxusprodukte involvieren wollen. Aber die Gesellschaft hat sich verändert; man bekommt überall alles, in jedem Moment, und schlussendlich ist dann alles das gleiche.
Und dann hat man begriffen, dass Regionalität auch Authentizität mitbringt, die persönliche Note. Dieser Gegentrend zur Globalisierung ist bei den Menschen stark zu spüren. Gäste wollen wieder die eigenen Produkte geniessen, die Regionalität spüren und haben auch wieder Freude, wenn man mal wieder ein Gericht von hier essen kann und auch die hiesigen Produkte wiederentdeckt. Es macht schlichtweg keinen Sinn, neuseeländische Äpfel einzukaufen, wenn wir in der Region Top-Äpfel haben. Das hat mit dem Bewusstsein und Wertschätzung zu tun —Sich zurückzubesinnen auf die Dinge, die man vor Ort hat, und diese auch zu schätzen. Das zeigt sich jetzt auch in der Coronazeit. Man schätzt und entdeckt das Lokale wieder von neuem.
Gibt es einen Foodtrend, der Ihnen auf die Nerven geht?
Grundsätzlich nicht, nein. Es gibt so viele Foodtrends, und die sind alle irgendwann wieder vorbei.
Es gibt so viele Foodtrends, und die sind alle irgendwann wieder vorbei. Andreas Caminada
Ich will als Koch kein Trendsetter sein. Ich möchte schon mit der Zeit gehen und die Bedürfnisse der Gäste wahr- und aufnehmen, aber trotz allem nie die Wurzeln verlieren. Trends kann man beobachten und ab und an etwas Spannendes für sich daraus lernen. Aber schlussendlich folgt man seinem eigenen Weg und der eigenen Identität.
Gibt es denn nichts, was ich Ihnen auftischen könnte, und Sie würden erstmal die Augen verdrehen?
Ja, doch, da gibt es sicher einiges. Ich bin in den Bündner Bergen aufgewachsen und ich mag Sachen, von denen man auch weiss, was es ist. Einfache Sachen und einfache Produkte. Sehr abgefahrene Gerichte oder ethisch problematische Produkte: Damit habe ich Mühe.
Mit welchem Gericht kann man Ihnen den Tag retten?
Das kommt auf den Tag an. Ich bin happy, wenn es frisch ist und gut schmeckt. Das kann auch einfach ein Salat, eine gute Pasta oder ein paar einfache Capuns sein. Da bin ich offen.
Das spannende ist ja, dass man nicht immer das gleiche essen will, sondern dass man diese Vielfalt, auch von den ganzen Einflüssen, die um uns sind, aufnimmt. Es gibt so viele tolle Gerichte. Aber es muss einfach Charakter haben und nach dem schmecken, was es ist.
Sie haben zwei Kinder. Welche kulinarischen Werte möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben?
Dass sie essen, was auf den Tisch kommt, alles probieren und auch immer anständig am Tisch sitzen und Tischmanieren zeigen. Denn die Zeit am Tisch ist wichtig. Denn man tauscht sich da aus, spricht miteinander über den Tag, reflektiert und schaut voraus. Der Esstisch ist ein wichtiges soziales Element, um auch den Austausch mit den Kindern zu fördern. Diese Werte, Manieren und Wertschätzung gegenüber dem Lebensmittel, möchten wir unseren Kindern weitergeben.
Gibt es noch etwas, was Sie in der Küche noch unbedingt lernen möchten?
Es gibt so viele Regionen auf dieser Welt und sehr vieles, was ich noch nicht kann und weiss. Ein Kochkurs mit einer italienischen Nonna, so richtige traditionelle italienische Küche, denn dort könnte ich bestimmt noch eine Menge lernen.
Ich lege bei meiner Nonna ein gutes Wort für Sie ein.
Sehr gut! (lacht)
Welches Gericht oder welche Zutat haben Sie zuletzt für sich entdeckt?
Vor zwei Jahren haben wir uns eine Auszeit genommen und sind mit den Kindern auf Reisen gegangen. Nach dieser Reise habe ich begonnen, sehr viel mehr mit Schärfe zu arbeiten.
Ansonsten nutzen wir unseren Schlossgarten als kleines Labor. Dort pflanzen wir alles Mögliche an und lassen es teils auch etwas weiter spriessen, selbst wenn es schon reif ist. Denn so entstehen viele schöne Sachen. Zum Beispiel bei einem Radieschen: Dort wächst plötzlich eine kleine Bohne, die auch nach Radieschen schmeckt. Das ist der Wahnsinn. Das entdeckt man gar nicht, wenn man alles sofort erntet. Auch beim Koriander: Irgendwann kommen die schönen Blüten und dann wieder die Korianderkörner. Die sehen aus wie Pfefferkörner und haben einen sehr intensiven Koriandergeschmack. Im Garten entdecken wir so viel, indem wir den Garten einfach beobachten und auch mal wuchern lassen. Es entstehen immer wieder Sachen, die man nicht kennt und dann spürt man, dass da noch mehr dahinter ist. Das finde ich jeweils sehr spannend.
Vor zwei Jahren haben wir uns eine Auszeit genommen und sind mit den Kindern auf Reisen gegangen. Nach dieser Reise habe ich begonnen, sehr viel mehr mit Schärfe zu arbeiten. Andreas Caminada
Dazu braucht es viel Verbundenheit.
Ja, genau. Zudem braucht es offene Augen, die Fähigkeit zuzuhören und zu schauen. Aber auch Gespräche mit Menschen zu führen, die sich auskennen. Denn so entdeckt man immer etwas Neues.
Gibt es noch etwas, was Sie schon immer mal sagen wollten, aber noch nie die Gelegenheit dazu hatten?
Ich würde gerne der ganzen Gastronomie ein Dankeschön aussprechen. Man lernt den Fakt wieder zu schätzen, dass es Gastronomen gibt, die den Beruf mit Herzblut machen und ihre Betriebe so führen, dass man Spass hat, wenn man sie besucht. Es ist auch schön zu sehen, dass Nachwuchs da ist, der Freude am Beruf hat.
Schlussendlich geht es nicht nur ums Essen, sondern um die Gastgeberkultur. Die Leute an der Front, im Service, brauchen auch viel mehr Anerkennung. Denn sie vollbringen tagtäglich eine Menge Dienstleistungen und sorgen für das Wohl der Gäste. Man sollte ihnen viel mehr Wertschätzung entgegenbringen.
Das Interview mit einem weiteren Spitzenkoch lesen Sie hier.
Interview Fatima Di Pane Bilder Schloss Schauenstein
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