Die Schweizer Weintradition zeichnet sich durch ihre Vielfalt und regionalen Besonderheiten aus, die in den verschiedenen Weinregionen des Landes zum Ausdruck kommen. «Fokus» sprach mit dem diplomierten Winzermeister Roland Lenz über die Schweizer Weinkultur.
Herr Lenz, was macht Ihrer Meinung nach einen Wein besonders oder herausragend?
Ein Wein ist für mich besonders, wenn er den unwiderstehlichen Drang weckt, gleich nach dem ersten Schluck einen zweiten zu nehmen. Der Geschmack muss so überzeugend und ansprechend sein, dass man einfach mehr geniessen möchte. Auf einer persönlichen Ebene beginnt die Qualität eines guten Weins bereits bei seiner Herstellung. Besonders wichtig ist mir, dass er aus ökologischem Anbau stammt, erkennbar an einem entsprechenden Zertifikat auf der Etikette. Darüber hinaus schätze ich Weine aus PIWI-Traubensorten, die für nachhaltige und umweltschonende Praktiken stehen. Diese Merkmale machen für mich einen wirklich gelungenen Wein aus und unterstreichen dessen Charakter und Qualität.
Welche Rolle spielt der Jahrgang in der allgemeinen Wahrnehmung eines Weines?
Der Jahrgang spielt eine wesentliche Rolle in der Wahrnehmung eines Weins, besonders wenn er auf natürliche Weise hergestellt wurde. Je natürlicher der Wein produziert wird, desto stärker spiegelt er den Werdegang der Pflanze wider. Bei einem Jahrgangswein lässt sich dadurch die jeweilige Vegetation des Jahres deutlich erkennen, was ihn besonders spannend macht. Es bedeutet aber auch, dass ein echter Jahrgangswein ein Unikat ist, da er die spezifischen klimatischen Bedingungen und den Charakter des jeweiligen Jahres widerspiegelt. Jeder Jahrgang muss daher neu bewertet und verkostet werden, um seine individuellen Qualitäten zu entdecken.
Inwiefern haben sich die Geschmäcker und Vorlieben der Weintrinker:innen in den letzten Jahren verändert?
Personen, die nur gelegentlich Wein geniessen, tendieren dazu, Weine zu bevorzugen, die geschmeidig und abgerundet sind, ohne Ecken und Kanten. Solche Weine haben oft einen höheren Restzuckergehalt, was sie zugänglicher und einfacher im Geschmack macht. Im Gegensatz dazu haben regelmässige Weintrinker:innen oft differenzierte Vorlieben und schätzen komplexere Weine mit charakteristischen Nuancen und einer grösseren Vielfalt an Geschmacksprofilen. Dieser Trend spiegelt eine wachsende Kluft in den Vorlieben wider, abhängig davon, wie intensiv sich jemand mit Wein beschäftigt.
Wie sieht die ideale Kombination aus Wein und regionalen Spezialitäten aus, die Genusssuchende in der Schweiz erleben können?
Die Schweiz ist bekanntlich ein Käseland und zu den typischen Käsespezialitäten wie Raclette und Fondue passen Schweizer Weissweine ideal. Diese Kombination ist bei Tourist:innen besonders beliebt. Aktuell befinden wir uns zudem in der Wildsaison, wo einheimische Rotweine hervorragend mit Wildgerichten harmonieren. Im Tessin etwa passt ein kräftiger Tessiner Rotwein perfekt zu einer traditionellen Polenta.
Wie spiegelt sich die Schweizer Weinkultur in den verschiedenen Regionen des Landes wider?
Die Schweizer Weinkultur ist stark von den Anbauregionen geprägt. In Gebieten wie dem Genfersee oder dem Wallis, wo Wein angebaut wird, ist die Weinkultur tief verwurzelt und allgegenwärtig. Hier spielt Wein eine wichtige Rolle im Alltag und in der Gastronomie. In anderen Kantonen wie Uri oder Glarus, wo kein Weinbau betrieben wird, ist Wein hingegen weniger präsent. So variiert die Bedeutung des Weins in den verschiedenen Regionen der Schweiz deutlich, abhängig davon, ob es sich um Weinbaugebiete handelt oder nicht.
Gibt es bestimmte Wein-Events oder Festivals, die für Weinfans ein «Must-see» sind?
Ein herausragendes Ereignis ist der «Tag der offenen Kellertür» am 1. Mai, bei dem mehrere Hundert Weinbetriebe in der Deutschschweiz ihre Türen öffnen und Verkostungen anbieten. Ein weiteres Highlight ist das «Swiss Wine Tasting» im Kunsthaus Zürich im August, wo die grössten Schweizer Weinbaubetriebe ihre Weine präsentieren. Diese Veranstaltungen bieten eine hervorragende Gelegenheit, die Vielfalt und Qualität der Schweizer Weine kennenzulernen und direkt mit Winzer:innen in Kontakt zu treten.
Was sind einige der häufigsten Fehler, die Weinliebhaber:innen bei der Auswahl oder Verkostung von Wein machen?
Ein häufiger Fehler von Weinliebhaber:innen ist die Auswahl des Weins allein nach der Etikette, indem sie die Flasche mit der schönsten Gestaltung wählen. Stattdessen sollten sie sich beraten lassen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Zudem ist es wichtig, nicht direkt nach dem Genuss von Kaffee oder Dessertwein zu verkosten, da dies den Geschmack beeinflussen kann. Auch das Probieren auf leeren Magen ist nicht ratsam. Letztlich sollten Weinliebhaber:innen auf ihren eigenen Geschmack vertrauen und ihre Vorlieben aktiv erkunden, anstatt blind auf die Empfehlungen anderer zu setzen.
Der Jahrgang spielt eine wesentliche Rolle in der Wahrnehmung eines Weins, besonders wenn er auf natürliche Weise hergestellt wurde. – Roland Lenz, Dipl. Winzermeister
Kann man den eigenen Gaumen schulen, um die verschiedenen Geschmäcker und Aromen in Weinen besser zu erkennen?
Ja, absolut! Es gibt zahlreiche Kurse, wie zum Beispiel an der Académie du Vin, die speziell für Laien angeboten werden und das richtige Degustieren lehren. Das Beste ist, wenn man mit allen Sinnen die Welt der Weine erkundet, die Düfte wahrnimmt und den Wein bewusst auf der Zunge spüren kann. Allerdings erfordert das Training des Gaumens definitiv Übung und Hingabe.
Welche praktischen Tipps können Sie geben, um Wein optimal zu lagern und zu servieren?
Für die optimale Lagerung und Servierung von Wein sollten einige Tipps beachtet werden. Wein sollte bei etwa 13 Grad Celsius in einem Raum oder Keller ohne grosse Temperaturschwankungen gelagert werden. Aperitifweine können direkt ins Glas gegossen werden, während Rotweine in grösseren Gläsern etwa 20 Minuten vor dem Trinken eingeschenkt werden sollten. Den Moment beim Anstossen zu geniessen, ist wichtig, um das volle Aroma und den Geschmack des Weins zu entfalten.
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