brustkrebs abtasten
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«Ich habe mein altes Leben zurück»

30.04.2022
von Kevin Meier

Mit 62 Jahren hat Doris Berger Truninger gerade die Chemotherapie ihres zweiten Brustkrebses hinter sich. Im Interview mit «Fokus» erzählt sie, wie sie die beiden Erkrankungen erlebt hat und was sie allen Frauen mitgeben möchte.

Frau Doris Berger Truninger, wie wurde bei Ihnen der Brustkrebs das erste Mal entdeckt?

Vor rund drei Jahren wechselte ich von meinem bisherigen Gynäkologen zu einer neuen Frauenärztin. Als ich mich bei einer Routinekontrolle obenrum freimachen sollte, hat diese bereits während des Ausziehens gesehen, dass etwas nicht stimmte. Sie musste mich nicht einmal anfassen; sie sah es der Brust an, die eine Peau d’orange, Orangenhaut, zeigte. Obwohl ich mich bereits seit einem halben Jahr regelmässig nach den Empfehlungen der Krebsliga selbst abtastete, bemerkte ich selbst die Veränderung nicht. Die Gynäkologin erklärte mir, dass man sich nicht nur abtasten, sondern auch vor dem Spiegel den Arm über dem Kopf kreisend die Hautoberfläche der Brust betrachten sollte. Ich hätte es also früher erkennen können. Das heisst, man müsste die Frauen besser instruieren.

Welche Behandlung folgte?

Damals waren es drei hormonsensitive Tumore. Das bedeutet, dass sie Hormone für ihr Wachstum benötigen. Es folgte eine Operation, bei der das Drüsengewebe der Brust und der Wächter-Lymphknoten entfernt wurden. Gleichzeitig erfolgte ein Wiederaufbau der Brust mit einem Implantat. Leider wurde nach der OP in der Gewebeuntersuchung ein weiterer Tumor entdeckt, so dass eine zweite Operation durchgeführt werden musste. Da ich anschliessend nur Antihormone einnehmen musste, war ich eigentlich zufrieden.

Mein Ziel war immer, ins normale Leben zurückzukehren, mit dem ich mehr als zufrieden war. Doris Berger Truninger

Wie kam es zur zweiten Diagnose?

Nach dem ersten Brustkrebs ging ich vierteljährlich zur Kontrolle. Dort wurden erneut drei Tumore zwischen dem Implantat und dem kleinen Rest der Brust entdeckt. Diesmal waren sie aber hormonnegativ. Die Wahrscheinlichkeit, auf derselben Seite zwei verschiedene Krebsarten zu entwickeln, liegt im Promillebereich. Ich sollte vermutlich Lotto spielen (lacht). Diesmal gab es keine andere Möglichkeit mehr, als ganze Brust und weitere 20 Lymphknoten zu entfernen. Auch wurden eine begleitende Chemotherapie und danach eine zusätzliche Bestrahlung notwendig.

Wie haben Sie die Behandlung emotional erlebt?

Beim ersten Mal habe ich es nicht als «schlimm» empfunden. Mir war bewusst, was ich habe, denn es waren keine schnell wachsenden, bösartige Tumore. Da ich eher pragmatisch bin, wusste ich, dass meine Überlebenschancen sehr gut sind. Krebs war auch kein neues Thema für mich. Damit war ich schon häufig konfrontiert, weil ich Hüte nähe für jene, die durch die Chemotherapie ihre Haare verlieren. Es war aber anstrengend, wie meine Mitmenschen mit mir gesprochen haben. Es schwang ein Unterton im Sterbemodus mit. Ich antwortete jeweils, dass es mir eigentlich gut gehe, wenn sie normal mit mir sprechen.

Was hat Ihnen durch diese Zeit geholfen?

Ich habe begonnen, jede Woche eine Art Infomail zu schreiben, um darüber zu informieren, wie eine Behandlung abläuft. Für mich selbst war das auch eine Form von Verarbeitung. Genauso stellte meine Familie, meine fünf Kinder und die zehn Enkelkinder, ein unterstützendes Umfeld dar. So habe ich diese Behandlungszeit recht gut überstanden. Mein Ziel war immer, ins normale Leben zurückzukehren, mit dem ich mehr als zufrieden war.

Hat Ihnen etwas Angst bereitet?

Viele Frauen haben nach der Entfernung von Lymphknoten Einschränkungen mit der Armbeweglichkeit und entwickeln teilweise auch ein Lymphödem. Deshalb habe ich mit dem Onkologen und dem Operateur um jeden Lymphknoten gekämpft (lacht). Trotzdem wurden 20 davon entfernt, mein Kampf war also erfolglos. Nach der zweiten, eigentlich dritten Brustoperation gab es tatsächlich für kurze Zeit Einschränkungen, aber nach sechs Wochen hatte ich auch dank Physiotherapie mein altes Leben zurück. Im Vergleich zu dem, was andere durchmachen müssen, bin ich sehr froh, nun keine Einschränkungen mehr zu haben.

Was ist Ihre Sicht auf die Brustkrebsbehandlungen im Allgemeinen?

Egal ob Brustzentrum oder Privatklinik, die Bandbreite der Resultate reicht von schön bis grauslich. Leider ist es unter Betroffenen kein Thema, wie Frauen nach solchen Operationen aussehen oder wie eingeschränkt sie sind. Ohnehin läuft man nach einer zehnmonatigen Behandlung auf dem Zahnfleisch. Mir ist es wichtig zu sagen, dass Frauen mehr über die konkreten Auswirkungen einer Brustkrebsbehandlung wissen sollten. 

Welche Botschaft möchten Sie jenen mit der Diagnose Brustkrebs mitgeben?

Sich Zeit lassen und sich ausführlich informieren lassen. Viele Brustkrebse sind nicht hochaggressiv, sodass man nicht sofort entscheiden muss, welchen der Behandlungswege man einschlagen soll. Gleich nach der Diagnosestellung wollte ich nur meine Brust radikal abschneiden. Es vergingen jedoch sechs Wochen, bevor ich operiert wurde. In dieser Zeit fand eine Aussöhnung mit meinem Körper statt. Selbstverständlich gibt es Frauen, die froh über eine schnelle Operation sind und wieder andere, denen alles zu schnell geht. 

Bei jungen Frauen sind die Fruchtbarkeit und der Haarverlust ein grosses Thema. Dabei ist der gegenseitige Austausch unter den Betroffenen sehr hilfreich.

Mir ist es ein Anliegen, dass sich Frauen für Brustprothesen an Fachgeschäfte wenden. Doris Berger Truninger

Jede Behandlung verändert die Brust. Manchmal braucht es auch eine Brustprothese. Mir ist es ein Anliegen, dass sich Frauen dafür an Fachgeschäfte wenden. Diese können mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung die richtige Prothese und den passenden BH vorschlagen. Auch für die kompetente Behandlung des Lymphödems sind sie der richtige Ort.

Was möchten Sie allen Frauen mitgeben?

Mein Ratschlag ist, dass alle Frauen mit ihren Frauenärztinnen und -ärzten über die Möglichkeit von Brustkrebs reden, bevor sie erkranken. Auf diese Weise weiss Frau schon etwas über die Optionen und Behandlungen Bescheid, bevor sie sich entscheiden muss. Ich stelle fest, dass eine neutrale Übersicht von Operationen und Therapien mit Vor- und Nachteilen schwierig zu erhalten ist. Diese Informationen müssten auch Nicht-Betroffenen zur Verfügung stehen.

Interview Kevin Meier

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