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Beat Schlatter ist im Alter nicht ruhiger geworden

17.05.2019
von Mona Martin

Was haben Strassenreinigung, Bingo und nackte Pobacken gemeinsam? Jawohl, Beat Schlatter. Der 58-jährige Schweizer Kabarettist, Schauspieler und Drehbuchautor hält seit bald 30 Jahren Bauch- und Lachmuskeln seiner Landsleute fit. Wir haben ihn wenige Meter von seiner Wohnung mitten im Zürcher Niederdorf zum Gespräch getroffen.

Beat Schlatter, Sie wurden am 5. Mai 58 Jahre alt. Wie haben Sie Ihren Geburtstag verbracht?

Ich nehme seit Jahren frei am Geburtstag und gehe alleine irgendwohin. Ich gehe spazieren und denke darüber nach, was schön und was weniger erfreulich war. Ich finde, der Geburtstag sollte in jeder Firma ein Freitag sein. Es ist ein wichtiger Tag, um sich zu überlegen. «Wieso bin ich auf der Welt?», «wie war das früher in der Kindheit?» Ich finde es sehr wichtig, alleine wegzugehen, weil nur dann setzt man sich genau mit diesen Fragen auseinander.

Hatten Sie je das Bedürfnis woanders als in Zürich zu leben?

Ich habe hier natürlich meine Freunde, meinen Fussballclub, meine Produzenten, meine Verleger. Ich könnte mir mit meinem Beruf gar nicht vorstellen, plötzlich in Italien zu arbeiten. Leben vielleicht schon, aber dann nicht mehr arbeiten.

Ich weiss nicht, woher eine Idee kommt. Beat Schlatter

Also etwas für nach der Pension?

Ja, falls ich mir die jemals leisten kann (lacht). Es gibt doch diesen Witz. Einer sagt: «Morgen bekomme ich die Pension». Der andere: «Cool, und was machst du übermorgen?».

Wie entspannen Sie?

Also sicher nicht auf einem Liegestuhl. Da denke ich die ganze Zeit an Probleme, welche in einem Projekt noch nicht gelöst sind. Ich kann mich aber entspannen, wenn eine Idee fertig ist, man weiss, sie funktioniert und es an die Ausführung geht. Jetzt arbeite ich zum Beispiel gerade mit einer befreundeten Ärztin an einem Jan Ullrich-Doping-Set als Preis für die nächste Live-Bingo-Show. Jan Ullrich weiss natürlich nichts davon. Zuvor habe ich einige Schweizer Sportler angefragt, aber die haben gleich abgewinkt (lacht).

Das klingt ja auch ziemlich frech. Ist das denn legal?

Es gibt einige Preise in der Bingo-Show, die sich am Rande der Legalität bewegen. Das sind spannende Preise. Beim Doping-Set achten wir natürlich darauf, dass es nicht gefährlich wird für die Person, welche es dann nimmt. Aber solche Vorhaben machen Spass und das entspannt mich. Fredy Bickel habe ich übrigens auch über die Bingo-Show kennengelernt. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob ich ihn – natürlich mit Herrn Canepa zusammen – zum Essen einladen darf. Dann haben sie ein sauteures Restaurant gewählt und schon im Voraus Champagner bestellt und so weiter. Nach dem Essen fragte ich dann, ob es möglich wäre als Bingo-Preis, nach dem Spiel mit der Mannschaft zu duschen. Seither haben wir eine ganz spezielle Freundschaft (lacht).

Haben Sie den Preis bekommen?

Nein. Das wäre etwas kompliziert geworden. Aber das Essen hat sich trotzdem gelohnt. Als Preis durfte man dann als zwölfte Person bei einem offiziellen Spiel im Original-FCZ-Tenue ins Stadion einlaufen und in der Reihe stehen. Der Gewinner war zwar Brillenträger, doch die Gastmannschaft hat allen zwölf die Hand geschüttelt, ohne etwas zu merken.

Woher kommt Ihre Inspiration?

Ich weiss nicht, woher eine Idee kommt. Vielleicht etwas Göttliches. Man kann den Boden dafür schaffen. Sich mit humorvollen und intelligenten Leuten umgeben. Aber woher die Idee wirklich kommt, weiss ich nicht.

Wie entscheiden Sie, ob Sie eine Idee weiterverfolgen?

Das spürt man, indem man mit Leuten spricht und die Idee erzählt. Wenn du merkst, dass es ankommt, lohnt es sich, weiterzumachen. Ab dem Moment fängt die Arbeit an. Oft kommt etwas aus einer Notlage heraus. Bei «Katzendiebe» zum Beispiel: Ich spielte in einer Rockband. Wir hatten einen Proberaum, wussten aber nicht, wie wir den bezahlen sollten. Da kamen wir auf die Idee, rundherum Katzen zu klauen und ein paar Tage im Übungsraum zu behalten und zu warten bis die Vermisstenmeldungen kommen. Dann brachten wir die Katzen zurück. Das Traurige daran ist, zu realisieren, dass du damit mehr verdienst, als mit Auftreten. Dort habe ich gemerkt, da könnte man in die Fiktion rüber. Daraus entstand dann eine Kinokomödie.

Also ein spontaner Prozess: Sie erzählen, schauen, wie es ankommt und dann entwickelt es sich?

Nein, das ist dann schon harte Arbeit. Jeden Morgen um zehn oder elf Uhr mindestens ein Jahr lang. Das wird dann fast wie ein Bürojob, mit dem Unterschied, dass du erst um elf anfängst (lacht).

Dafür arbeiten Sie dann bis um elf Uhr nachts?

Nein, das kannst du nur so drei Stunden machen. Danach hast du keine Ideen mehr und kannst nur noch Fleissarbeit machen.

Was war ein grosser beruflicher Rückschlag?

Rückschläge sind im Moment wahnsinnig hart. Im Nachhinein bedeuteten sie aber immer einen Schritt in die Veränderung, einen Reifeprozess. Was mich sehr mitgenommen hat: Ich habe einen Fotoband mit Bildern von ca. 250 Schweizer Garderoben herausgegeben. Alle Bilder sorgfältig ausgewählt und zusammengestellt. Ich musste die Bücher zwei Mal drucken. Das hat wahnsinnig viel gekostet. Das Buch hat sich trotz bester Promo nicht verkauft.

Ich kenne niemanden, der ohne Gage für einen Konzern Werbung macht. Beat Schlatter

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe einfach ein Riesenlager zu Hause und jedes Mal, wenn ich eingeladen bin, bringe ich eines mit. (lacht) Nein, es macht uns Künstler ja auch aus, dass wir das aushalten. Es gehört dazu, sich damit auseinanderzusetzen, was nicht gut war und das dann zu verbessern. Wenn du das nicht kannst, dann musst du aufhören. Der Fotoband weckte keine Emotionen. Jetzt gebe ich beim Merian-Verlag ein Buch raus: 5000 Postkarten, aufwendig geordnet nach Sujets. Als ich die beim Verlag präsentierte waren die Reaktionen: «Oh, da war ich schon mal», «So schön!». Es weckte also Emotionen.

Sind Sie als Komikerseele der Meinung, dass man über alles lachen können soll?

Nein, auf keinen Fall! Es gibt eine moralische oder ethische Regel, worüber man keinen Witz macht. Es sei denn, man will provozieren. Aber die Frage ist, ob es dann noch lustig ist und ob man dann noch den Auftrag als Komödiant erfüllt.

Wann vergeht Ihnen das Lachen?

(Denkt lange nach) Sicher mal bei schweren Schicksalsschlägen (hält nochmals inne). Aber es braucht noch viel mehr bei mir. Ich bekam mal eine Anfrage von einer Klinik für Schwerstdepressive. Da hat keiner gelacht, nicht einmal bei den todsicheren Lachern. Nach der Vorstellung sagte ich zum Leiter: «Es hat ihnen wohl nicht so gefallen.» Und er: «Doch, sonst laufen sie jeweils raus.» Ist ja eigentlich nicht zum Lachen aber das zeigt, es braucht relativ viel, bis mir das Lachen vergeht.

Sie sind in verschiedensten Werbespots zu sehen. Wie wählen Sie Ihre Engagements aus?

Da ich kein One-Man Comedian bin, der schnell, schnell auftreten kann, muss ich mein Leben irgendwie anders finanzieren. Bis ein Stück geschrieben ist, dauert es ein Jahr. Wir bekommen das Geld jeweils erst danach und auch nur, wenn’s funktioniert. So ein Theaterstück kostet etwa 200 000 Franken, damit wir überhaupt starten können. Entweder teilt man sich das Risiko oder man hat einen Sponsor. Und dann gibt es natürlich schon ethische Kriterien, aber solche [unpassenden] Anfragen weist mein Management meist schon im Vorhinein zurück. Werbung ist vor allem ein Finanzierungsmittel. Ich kenne niemanden, der ohne Gage für einen Konzern Werbung macht. Das wär für mich unverständlich.

Sie haben für die Schweizerische Vereinigung Morbus Bechterew Werbung gemacht. War das eine rein pragmatische Entscheidung oder gab es da noch andere Beweggründe?

Meine Mutter ist sehr früh an einer rheumatischen Erkrankung gestorben und ich habe sie drei Jahre gepflegt und in den Tod begleitet. Das wünsche ich niemandem. Meine Mutter hatte eine tödliche Form von rheumatischer Erkrankung. Bei Morbus Bechterew muss es sehr schlecht laufen, damit es tödlich verläuft. Aber es war ein persönlicher Bezug da, ja.

Haben Sie denn selbst Angst, krank zu werden?

Selbstverständlich! Wer nicht? Ich mache es sicher nicht zum Zentrum meines Lebens und denke nicht konstant daran. Aber wenn ich meiner Mutter Blumen auf den Friedhof bringe, dann liegen da sicher schon sechs Kollegen von mir. Meine Mutter ist früh gestorben und konnte nie eine Show von mir sehen. Wenn so etwas passiert ist, ist dir das präsent. Vielleicht nicht im Alltag, aber das bleibt dir und dann plötzlich hast du Angst, wenn etwas wehtut.

Achten Sie auf Ihre Gesundheit, vielleicht auch deswegen?

Es könnte besser sein (lacht)! Ich bin ein Genussmensch, Genuss kommt bei mir schon vor der Gesundheit.

Sie beschreiben im Buch «Bin gleich zurück» eine Situation mit einem Freund, in welcher ein «Pilzlitrip» sich ziemlich lustig entwickelt. Könnte sich eine solche Situation wiederholen?

Ja (lacht). Ich nehme seit 20 Jahren den 31er Bus. Letzte Woche bin ich betrunken in die falsche Richtung gefahren und habe es erst in Altstetten gemerkt. Das kann schon mal passieren. Ein Rausch ist manchmal ja auch etwas Schönes, oder? Es ist ein sozialer Schmierstoff, man spricht über Dinge, über die man sonst nicht sprechen würde. Ich habe mir auch schon überlegt, dass es ein Gesetz geben sollte, dass man das Handy ab 0.8 Promille nicht mehr benutzen darf. Es ist schon passiert, dass ich einer Frau, die ich nicht so gut kannte, versprochen habe, am 60. Geburtstag ihrer Eltern gratis aufzutreten. Sie war zum Glück Tänzerin und tanzte im Gegenzug am Geburtstag meines Vaters.

Meine Mutter ist früh gestorben und konnte nie eine Show von mir sehen. Beat Schlatter

Würden Sie sagen, Sie sind im Alter ruhiger geworden?

Nein (überlegt). Nein, ich glaube nicht.

Können Sie sich vorstellen in den Ruhestand zu gehen?

(Überlegt lange) Dass ich nicht mehr für die Öffentlichkeit Dinge mache, kann ich mir sehr gut vorstellen aber einfach so zu Hause in einem bequemen Sessel sitzen und dann ab und zu «go poste», das kann ich mir nicht vorstellen. Ich mag Menschen. Wenn ich nicht auftreten würde, würde ich in der Beiz am Stammtisch sitzen. Ich würde wahrscheinlich noch im Altersheim ein Wettbüro aufmachen, um zu wetten, wer noch wie lange lebt.

Sie kommen mit dem E-Banking nicht zu Gange. Gibt es Momente, in denen Sie sich alt oder abgehängt fühlen?

Das hat eigentlich schon Anfang Schulzeit angefangen, als das Rechnen, das Französisch und die Geometrie angefangen haben (lacht). Ich habe das im Radio gesagt mit dem E-Banking, danach habe ich acht so gelbe Büchlein zugeschickt bekommen. Das sind so viele, die überlebe ich gar nicht mehr. Ich finde es völlig ok, noch am Postschalter einzuzahlen. Du bist persönlich in Kontakt mit den Menschen am Schalter. Das gehört ja auch zu meinem Beruf, zu hören, wie Menschen sprechen und wie sie sich bewegen.

Es macht Ihnen also nichts aus, manchmal nicht mehr mitzukommen?

Nein, es ist ja nicht der Perfektionismus, den man an den Menschen gerne hat, sondern die Fehler. Ich finde, man muss sich nicht schämen, wenn man etwas nicht kann oder etwas nicht versteht.

Gibt es noch unentdeckte Seiten an Ihnen?

Wenn man mit über 50 ein Talent noch nicht ausgelebt hat, dann hat man einen grossen Fehler gemacht. In meiner Branche muss man ein Talent oder eine Idee auf der Stelle flüssig machen, um den Mietzins und die Krankenkasse zu bezahlen (lacht).

Bilder Beat Schlatter Kummer & Kummer Photography
Text Mona Martin

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