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Sharon Stone: «Wir müssen als Gesellschaft lernen, trotz Krankheiten zu funktionieren»

12.11.2020
von Marlène von Arx

Ein Kondom schütze gegen Aids, eine Maske gegen Covid-19: Die Schauspielerin und Aids-Aktivistin Sharon Stone erklärt, welche Parallelen zwischen den beiden Virus-Infektionskrankheiten bestehen und wie sie nach einem massiven Schlaganfall wieder ins Leben zurückgefunden
hat.

Sharon Stone, Sie haben Ihnen nahestehende Menschen wegen dem Coronavirus verloren. Unser herzliches Beileid.

Danke. Die Friedensnobelpreisträgerin Betty Williams, die wie eine zweite Mutter für mich war, kam mit einer Lungenentzündung und meine Adoptiv-Gotte mit Sepsis ins Krankenhaus. Beide sind dort am Coronavirus gestorben.

Sie waren einer der ersten Hollywoodstars, die das Coronavirus ernst nahmen. Bereits bei Ihrer Geburtstagsparty Anfang März haben Sie bei den Gästen die Temperatur gemessen. Sind Sie denn Hellseherin?

Ich höre hin, mache meine Recherche und schaue voraus. Ich engagiere mich seit 25 Jahren im Kampf gegen Infektionskrankheiten. Denn ich kenne die Ärzte, die sich damit befassen, seit Jahren. Das Ganze fing ja auch nicht erst Anfang März an. Ende Februar habe ich meine Termine ausserhalb der USA abgesagt. Man drohte mir mit Klagen. Mein Anwalt sagte zudem, ich sei die erste, die Reisen absagte.

Seit Jahren engagieren Sie sich im Kampf gegen Aids. Welche Parallelen gibt es denn zur aktuellen Coronapandemie?

Unter dem Mikroskop gibt es schon ähnliche Elemente. Aber viel wissen wir noch nicht. Mutiert das Coronavirus und wie? Was wir hingegen wissen: Bisher sind 44 Millionen Menschen an Aids gestorben und es gibt immer noch keine Impfung und kein Heilmittel. Zu sagen, wir hätten in sechs Monaten oder einem Jahr einen Impfung gegen das Coronavirus, scheint mir etwas gar einfach. Sonst hätten wir gegen Aids ja schon längst einen Impfstoff – es sei denn, die Vorurteile gegen Aidskranke hätten etwas mit der Verzögerung zu tun.

Denken Sie also, es dauert noch viel länger, bis wir aus dem Gröbsten raus sind?

Sehen Sie: Als wir 11 Millionen Aids-Tote zu bemitleiden hatten, hatten wir noch keine Ahnung, wie es weitergehen würde. Auch bei 22 Millionen noch nicht. Und immer noch gilt: Wer kein Kondom trägt, kann immer noch Aids bekommen. Deshalb sage ich allen, die jetzt raus wollen: Habt ein Hirn im Kopf! Tragt Maske, wascht die Hände und ich würde auch Brille tragen, weil ich niemanden in meine Augen niesen lassen will. Also Vorsichtsmassnahmen treffen, so wie bei HIV auch. Mit der Einschränkung von Bürgerrechten hat das nichts zu tun. Im Restaurant heisst es ja auch, man könne nicht oben ohne oder ohne Schuhe rein. Denn das ist jetzt das Gleiche bezüglich Masken.

Wer kein Kondom trägt, kann immer noch Aids bekommen. Sharon Stone

Immerhin: HIV-positiven Menschen stehen heute Medikamente zur Verfügung.

Ja, wir haben jetzt lebensrettende Medikamente gegen Aids und Behandlungen, die helfen. Aber es sterben immer noch jeden Tag Leute an Aids. Und nur weil ein Mittel Männern hilft, heisst das nicht, dass es gleich gut bei Frauen oder Kindern wirkt. Die Infektionsforscher haben vor ein paar Monaten endlich ein Heilmittel für die afrikanische Schlafkrankheit im Kongo gefunden. Für die Schweinegrippe haben wir hingegen noch keines. Wir müssen als Gesellschaft lernen, trotz dieser Krankheiten zu funktionieren. 75 Prozent der von Covid genesenen Leute haben nachwirkende Gesundheitsprobleme – welche Auswirkungen hat das auf die Wirtschaft und die Krankenkassen? Wir sind eigentlich erst am Daten sammeln.

Welches hohes Gut die Gesundheit ist, wissen Sie aus eigener Erfahrung, denn 2001 stand Ihr Leben auf Messers Schneide…

Genau. Meine rechte Wirbelarterie im Nacken platzte. Ich hatte einen Schlaganfall und eine massive Hirnblutung. Ich hatte eine fünf prozentige Chance zu überleben.

75 Prozent der von Covid genesenen Leute haben nachwirkende Gesundheitsprobleme – welche Auswirkungen hat das auf die Wirtschaft und die Krankenkassen? Sharon Stone

Können Sie den Weg zur Genesung ein bisschen beschreiben?

Als ich nach Hause kam, konnte ich auf der linken Seite nichts hören und nichts sehen. Noch Jahre später wurde es im einen Auge schwarz und ich sah nichts mehr. Als das Gefühl im Bein wieder zurückkam, war es, als ob jemand mit dem Messer darauf einstach. Mein Hüfte war unstabil. Bis ich meinen Namen wieder schreiben konnte, dauerte es fast drei Jahre. Mein Arm wollte einfach nicht auf meinen Kopf hören. Ich sah Farben am Boden und die Wände waren krumm. Ich stotterte unerklärlicherweise, bis Dr. Hart Cohen, der auch den Musiker Glen Campbell behandelte, mit Medikamenten diese Hirnausfälle stoppen konnte. Es dauerte dann etwa sieben Jahre, bis ich mich wirklich erholt hatte.

Wie schwierig diese Zeit für Sie war, wusste man in Hollywood gar nicht, oder doch?

Ich wollte eigentlich nicht darüber reden, aus Angst, dass ich nie wieder einen Job bekomme, wenn die Leute wissen, von wie weit her zurück ich mich wieder aufbauen musste. Ich habe hie und da ein bisschen etwas gearbeitet. Nichts Grossartiges, aber einfach um zu sehen, zu was ich im Stande war. Aber die Unterstützung war nicht wirklich da. Es war hart, alles zu verlieren und wieder von vorne anzufangen. Das Showbusiness ist ein Business, dass einem noch einen Stoss verpasst, wenn man eh schon am Boden liegt. Man wird auch schnell vergessen.

Wie haben Sie den Weg nach oben wieder gefunden?

Das Beste, was man in so einem Moment machen kann, ist etwas für jemanden anderen tun. Denn niemand klopft einfach an und lädt einem zu einer Party ein. Wenn man sich für jemanden einsetzt, kann man immerhin schon mal irgendwo hin. Denn ich habe in dieser Zeit die besten Leute kennengelernt: Menschen, die sich bei Hungersnöten engagieren und in Flüchtlingslagern, etc. wie eben Betty Williams; Desmond Tutu wurde eine Email-Freund. Ich hätte all diese tollen Menschen, die sich für bessere Lebensumstände für andere einsetzen, nie kennengelernt, hätte ich nicht solche dunkle Zeiten durchgemacht.

Trotzdem sind Sie sicher hin und wieder auch frustriert. Wie überwinden Sie Gefühle der Ohnmacht?

Ich habe mir die Erlaubnis gegeben, auf den Balkon zu gehen und aus voller Lunge zu schreien, als ob ich ermordet werde. Das Tolle ist: Niemand scheint zu denken, das sei seltsam. Meine Nachbarn verstehen das offenbar. Dann gehe ich wieder rein und boxe auf mein Kissen ein. Und dann mach ich mich wieder an die Arbeit. Ich würde gerne mehr Mitgefühl hören, mehr Humor, mehr Zärtlichkeit, mehr Bedächtigkeit und mehr praktisches Verständnis für diese globale Krise. Das wäre sicher auch hilfreich.

Die mentale Gesundheit darf man ja gerade jetzt auch nicht vergessen…

Ganz genau. Ich teile auf den Sozialen Medien Hotline-Kontakte für Suizid-Gefährdete. Jetzt gibt es auch endlich eine Hotline für Transgender-Menschen. Wenn man nicht mehr raus und Leute treffen und arbeiten kann, verliert man schon ein bisschen seine Bodenhaftung. Denn wir müssen miteinander in Kontakt bleiben. Und auch für sich selbst schauen. Mal ein Bad nehmen, oder malen – ich male beispielsweise. Ich habe auch immer Malbücher zu Hand, wenn ich am Telefon bin. Und es gibt inzwischen ja auch viele gute Fernsehprogramme. Oprah Winfrey hat eine Diskussionsrunde – alles via Zoom. Das funktioniert prächtig.

Wie gehen Ihre Kinder mit den Einschränkungen der Pandemie um?

Sie blühten eigentlich recht auf. Ihre Noten wurden während des Heimunterrichts besser. Natürlich hatten wir auch schwierige Zeiten, aber die hat man auch, wenn man nicht in Quarantäne ist. Alles in allem ist es eine gute Familienzeit für uns.  

Oprah Winfrey hat eine Diskussionsrunde – alles via Zoom. Das funktioniert prächtig. Sharon Stone

Ihr ältester Sohn lebt nun auch wieder bei Ihnen?

Ja, er lebte bei seinem Vater, als ich krank war. Ich habe dafür gekämpft, dass er wieder zurück kommt, aber nicht auf eine hässliche Art, sondern mit Mitgefühl und Würde; skandalfrei und dass er es mit allen Parteien gut hat. Das dauerte eine Weile. Wer weiss, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht krank geworden wäre: Vermutlich hätte ich nur ein Kind gehabt, eine unglückliche Ehe und keine Karriere. Aber stattdessen habe ich mich getrennt und noch zwei Jungs, zwei Brüder, adoptiert. Und inzwischen habe ich mit Steven Soderbergh und Ryan Murphy gearbeitet.

Was halten denn die Jungs von ihrer Mutter als Schauspielerin? Haben Sie Ihre Filme überhaupt gesehen?

Mein Jüngster ist 14 und sie haben bereits alle gesehen. Vor allem über «Basic Instinct» haben wir viel gesprochen ­– darüber, wie die Leute reden, Macht missbrauchen und unangebracht handeln und was tatsächlich Sache ist. Sie finden mich ziemlich cool und eine gute Schauspielerin.

Ich teile auf den Sozialen Medien Hotline-Kontakte für Suizid-Gefährdete. Sharon Stone

Sie wurden ja auch für einen Oscar nominiert – an der Seite von Robert De Niro in «Casino»!

De Niro ist der Lieblingsschauspieler von zwei meiner drei Söhne, aber das fing mit «Meet the Fockers» an, nicht mit «Casino».

Betrachten Sie «Casino» und die Oscarnominierung als den Höhepunkt Ihrer Karriere?

Mein grösster Traum und mein Ziel war es, eines Tages mit Marty Scorsese und Robert De Niro zu arbeiten. Also ja, ich habe bekommen, was ich wollte. Ich bin nur ein bisschen enttäuscht, dass andere Regisseure dieses Kalibers mir danach keine Jobs angeboten haben. Ich bin ja wieder gesund, funktioniere voll und schaffe es auch, dreissig Seiten Dialog pro Tag zu lernen.

Ich bin ja wieder gesund, funktioniere voll und schaffe es auch, dreissig Seiten Dialog pro Tag zu lernen. Sharon Stone

Sie sind inzwischen 62 Jahre alt. Was wissen Sie jetzt, das Sie mit 40 noch nicht wussten?

Zum Beispiel wusste ich nicht, dass man als Ehefrau nicht alle Probleme lösen kann. Ich wusste nicht, dass egal wie gut der Partner ist, die Ehe oder das Leben nicht automatisch glücklich ist. Ich wusste auch nicht, dass ich diesen massiven Schlaganfall haben und enorm dankbar sein würde, dass ich überhaupt 60 werde. Nun habe ich mich damit abgefunden, dass ich zu den älteren Semestern gehöre. Ich habe mich entschlossen, zu altern wie eine Tänzerin. Ich muss also weiter beweglich bleiben.

Für «Shutter Island» hat auch Mark Ruffalo mit Martin Scorsese zusammengearbeitet. Das Interview mit dem Schauspieler gibt es hier.

Text Marlène von Arx Bilder HFPA

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