lastwagen auf strasse. güterverkehr. cargo sous terrain
iStockphoto/Marcus Millo
Mobilität

Die Zukunft des Güterverkehrs: ganzheitlich, vollautomatisch, unterirdisch

04.03.2023
von SMA

Am Knotenpunkt der Megatrends Mobilität, Konnektivität und Neo-Ökologie befindet sich ein Mammutprojekt in der Entstehung: Cargo sous terrain. Mit den ersten Probebohrungen im Januar beginnt nun die Vision eines unterirdischen Güterverkehrs, zur Realität zu werden.

Beim Begriff «Mobilität der Zukunft» denken die meisten wohl an den elektrisierten Individualverkehr, selbstfahrende Autos und Shared Mobility. Vergessen wird dabei aber oft, dass auch der Gütertransport grossen Einfluss auf Infrastruktur und Verkehrsverhalten ausüben. Die Schweizer Gesellschaft befindet sich im Wandel. Wir werden individueller, mobiler und nachhaltiger. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung unaufhörlich, sodass sich nicht nur die Ansprüche an die Mobilität ändern, sondern auch die Umstände. Mit anderen Worten: Die Verkehrsinfrastruktur wird in nicht allzu ferner Zeit an ihre Grenzen stossen. Nur den Güterverkehr betreffend geht das Bundesamt für Raumentwicklung ARE von einem Wachstum von plus 37 Prozent aus (Perspektiven des Schweizerischen Personen- und Güterverkehrs 2040).

Gütertransporte auf Strasse und Schiene

Der Gütertransport erfolgt in der Schweiz mehrheitlich über den Strassen- und Schienenweg. Infolgedessen konkurrieren der Personen- und der Warenverkehr um Kapazitäten der öffentlichen Infrastruktur. Trotz der Reduzierung von Engpässen wird der Platz aber knapp. Unter anderem das Bevölkerungs- als auch das Wirtschaftswachstum sorgen dafür, dass Menschen und Güter immer mehr Fläche für sich beanspruchen. Abhilfe schaffen könnte ein Ausbau der Kapazitäten, doch vieles spricht dagegen, dass Strassen- und Schieneninfrastrukturen mehr Raum einnehmen sollen.

Logistik ganzheitlich gedacht

Eine Lösung könnte sein, die Güter von Strasse und Schiene zu holen oder auf andere Schienen zu verlagern. Verlaufen die neuen Transportwege im Untergrund, können Ballungszentren mit hohem Güterverkehr effizient mit Logistikzentren und Umschlagplätzen verbunden werden. So die Kernidee von Cargo sous terrain.

Konkret handelt es sich bei diesem Vorhaben um ein unterirdisches Tunnelsystem, das schlussendlich zumindest einen Teil der Schweiz logistisch erschliessen soll: Die Hauptachse soll von Genf über Lausanne, Bern und Zürich bis St. Gallen führen, während davon abgehend weitere Zweigstrecken Thun, Basel und Luzern bedienen. Das Ziel ist, dass kleinteilige Güter störungsfrei zwischen den Stationen fliessen, sodass Wartezeiten an Umladestationen vermieden und Zwischenlager überflüssig werden.

Die Frage nach einem Ausbau der Strassen- und Schieneninfrastruktur könnte sich erübrigen.

Weitere Komponenten des Güterverkehrs

Das Tunnelsystem transportiert die Güter zwischen sogenannten Hubs. Damit diese Art von Logistik jedoch gesamtheitlich funktioniert, muss eine zweite Komponente hinzugedacht werden: die Feinverteilung innerhalb der Städte. Tatsächlich ist die City-Logistik untrennbarer Bestandteil der Idee von Cargo sous terrain. Denn der flüssige Warenverkehr hängt auch von einer reibungslosen Verteilung auf der letzten Meile ab. KI-Anwendungen sollen hier Abhilfe schaffen, sodass die Güter mit dem geringstmöglichen Ressourcenaufwand von Hub zum Bestimmungsort gelangen.

Dies spricht eine dritte, ebenso wichtige Komponente an: die IT. Cargo sous terrain ist nicht nur ein Logistik-, sondern auch ein grosses Digitalisierungsprojekt. In Zukunft soll der Betrieb dieser «One Chain»-Logistik voll automatisiert ablaufen. Um dies zu ermöglichen, muss erst eine geeignete IT-Infrastruktur aufgebaut und implementiert werden.

Nachhaltigkeit

Der Hauptgrund hinter der Idee von Cargo sous terrain ist schlussendlich die Nachhaltigkeit. Founding Partner Pierre de Meuron beschreibt das Vorhaben auch als Sozial- und Umweltprojekt. Durch die Verlagerung des Güterverkehrs in den Untergrund wird die Belastung von Strasse und Schiene gemildert. Die Frage nach einem Ausbau der Infrastruktur könnte sich erübrigen, wodurch sich die Verkehrsfläche nicht ausbreiten muss. Der niedrigere – oder zumindest gleichbleibende – Flächenbedarf belässt der Landschaft und der Natur ihren Raum. Ausserdem soll Cargo sous terrain ausschliesslich elektrifizierte Fahrzeuge und Transporter nutzen, was sich in einer Senkung von Lärm- und CO2-Emissionen niederschlägt: ein grosser Schritt in Richtung dekarbonisierte Logistik.

Grünes Licht vom Bund

Die gesetzliche Grundlage für das Grossprojekt legte das Parlament bereits am 17. Dezember 2021. Cargo sous terrain ist zwar eine privatwirtschaftlich organisierte Aktiengesellschaft, der Bund setzt allerdings die Erfüllung gewisser Bedingungen voraus. Einerseits muss der Grundsatz der Nichtdiskriminierung eingehalten werden. Das heisst, auch Parteien, die nicht finanziell am Projekt beteiligt sind, müssen gleichermassen Zugang zu dieser neuen Infrastruktur erhalten. Andererseits ist die Mitfinanzierung mit öffentlichen Geldern ausgeschlossen.

Teilprojekte und derzeitiger Stand von Cargo sous terrain

Der Zeitplan für Cargo sous terrain ist ambitioniert: Die Gesamtfertigstellung ist auf das Jahr 2045 angesetzt, die in Teilprojekten erfolgen soll. Ab 2031 soll die erste Teilstrecke zwischen Härkingen-Niederbipp und Zürich inklusive zehn Hubs ihren Betrieb aufnehmen. Im Januar 2023 wurde mit Probebohrungen begonnen, um das Gelände zu prüfen und den detaillierten Streckenverlauf zu klären.

Die Kantone Thurgau und St. Gallen haben bereits grosses Interesse an einem Anschluss an Cargo sous terrain angemeldet. Eine Studie zu Durchführbarkeit und Potenzial kam 2022 zum Schluss, dass der unterirdische Güterverkehr in die Ostschweiz sowohl technisch als auch wirtschaftlich machbar ist. Dasselbe gilt ebenso für die Romandie.

Auch für die Komponente der City-Logistik werden erste Erfahrungen gesammelt. Die Stadt Zürich ist mit dem Pilotprojekt Salübox gestartet: An vorerst drei Standorten können alle Lieferdienste Pakete zur Abholung deponieren. Ab diesem Frühjahr wird auch der Päckchenversand für Privatpersonen möglich sein. Das Pilotprojekt soll zeigen, ob Konzepte dieser Art den Bedürfnissen von Bevölkerung und Gewerbe entsprechen und Lieferketten entlasten.

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