winersport in  kälte
Sport Winter

In der Kälte Sport treiben ohne Nachteile

19.01.2022
von Kevin Meier

Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass Bewegung in der Natur essenziell für die Gesundheit und das Wohlbefinden ist. Zwangsläufig verbringt man jedoch in der kalten Jahreszeit mehr Zeit drinnen, wodurch man sich weniger körperlich betätigt. Zudem kursieren einige Mythen zum Thema Sport im Winter. «Fokus» hat bei Dr. med. Roman Gähwiler, Co-Leiter des Sportmedizinzentrums Kantonsspital Aarau (KSA), nachgefragt, welche Aussagen tatsächlich zutreffen.

Dr. Roman Gähwiler, kann man Erkältungen und grippale Infekte mit Sport «ausschwitzen»?

Nein, das ist leider ein Mythos. Zwar kann man beim Joggen während einer Grippe eventuell eine temporäre Verbesserung der verstopften Nase und des Körpergefühls feststellen, dies hat aber nichts mit «Ausschwitzen» zu tun. Dieses Gefühl legt sich nach dem Sport zügig wieder. 

Intensiver Sport bei grippalen und somit viralen Infekten kann sogar gefährlich sein. Insbesondere bei Grippe mit Fieber kann die intensivere körperliche Belastung zu Herzmuskelentzündungen, einer sogenannten Myokarditis, führen. In der Sportmedizin ist zudem bekannt, dass Virusinfekte der oberen Atemwege auch nach durchgestandener Infektion bei Sport in der Kälte zu einer Überreaktion der kleinen Luftwege in der Lunge führen können. Man weiss, dass das Immunsystem während rund einer Stunde nach der körperlichen Belastung anfälliger auf Infekte ist. Aus diesem Grund sollte man nach dem Sport im Winter eine schnelle Ab- oder Auskühlung des Körpers durch beispielsweise nasse Haare oder verschwitzter Kleidung verhindern. 

Es ist also kein Irrglaube, dass Sport mit nassen Haaren im Winter zu Erkältungen führen kann?

Nein, die Körpertemperatur ist essenziell für die Körperfunktionen und die Immunabwehr. Auch nasse Verhältnisse wie Schnee und Regen erhöhen das Unterkühlungs- und somit das Krankheitsrisiko. Ideal ist eine Körpertemperatur von rund 37 Grad Celsius. Dieser Wert bezieht sich jedoch auf den Ruhezustand. Bei Belastungen müssen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden, damit die Körpertemperatur sowohl in der Kälte als auch in der Wärme weitgehend konstant bleibt. 

Es wird gesagt, man solle sich bei Sport im Kalten warm einpacken.

Genau. Der Mensch verliert über die Hautregionen mit grosser Oberfläche wie dem Kopf und den Händen einiges an Körperwärme. Diese Körperpartien sollten dementsprechend mit atmungsaktiven Handschuhen und Mütze gut geschützt werden. Für Oberkörper und Beine ist mehrschichtige Baumwoll- und Funktionskleidung mit drei bis vier Lagen empfehlenswert.

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass im Ruhezustand bereits bei einer Aussentemperatur von unter 28,5 Grad Celsius vom Körper gewisse thermoregulatorische Anpassungen vorgenommen werden müssen, um optimal zu funktionieren. Sportmedizinische Studien zeigen, dass eine Umgebungstemperatur von etwa 13 Grad die besten Voraussetzungen bietet, um mit der entsprechenden Kleidung die maximale körperliche Leistung zu erreichen. 

Die kleinen Luftwege sind auf eine gewisse Luftfeuchtigkeit angewiesen, um optimal zu funktionieren. Dr. med. Roman Gähwiler

Kann die kalte Luft die Lunge schädigen?

Das kann ich nicht generell beantworten, da es auf verschiedene Faktoren ankommt und die Menschen und ihre Lungen individuell auf Kältereize reagieren. Grundsätzlich sollte man jedoch auf intensiven Sport bei deutlichen Minustemperaturen verzichten. Die Amerikanische Gesellschaft für Sportmedizin empfiehlt keinen Sport bei Temperaturen unter minus 27 Grad Celsius. Der internationale Skiverband FIS setzt die Grenze für Langlauf-Events bei minus 20 Grad, der europäische Fussballverband UEFA bei minus 15 Grad.

In Bezug auf die Lunge kann kalte Luft zu reaktiven Verengungen der kleinen Luftwege führen – den Bronchien und Bronchiolen. Dies wird wahrscheinlich, wenn die kalte Luft mit windigen Verhältnissen auftritt oder die Sporttreibenden dehydriert sind. Die kleinen Luftwege sind auf eine gewisse Luftfeuchtigkeit angewiesen, um optimal zu funktionieren. Doch kalte Luft weist eine tiefe Feuchtigkeit auf. Deshalb hat der Mensch unter anderem auch die Nase, deren Schleimhäute trockene Aussenluft «vorbefeuchten» können.

Die Belastungsintensität ist ebenfalls ein bedeutender Faktor. Atemwegsprobleme bei Wintersportarten sind sehr häufig. Beispielsweise waren bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver rund 63 Prozent der Athlet:innen davon betroffen. Bei diesen Lungenschädigungen handelt es sich meist um temporäre Probleme während oder kurz nach der Kälteexposition, und nicht um fixierte Langzeitschäden im eigentlichen Sinne.

Eine Volksweisheit besagt auch, dass bei Sport im Winter die Abwehrkräfte mehr angeregt werden. Was steckt dahinter?

Das ist ein Mythos. Der erwiesene positive Gesundheitseffekt von moderat-intensiver Bewegung ist meines Wissens nicht abhängig von der Aussentemperatur. Die bereits erwähnten Komplikationsrisiken bestehen jedoch durchaus. Moderate körperliche Aktivität kann das Immunsystem insofern positiv beeinflussen, dass obere Atemwegsinfektionen, beispielsweise Influenza-Viren oder Lungenentzündungen, vermindert werden können. Denn insbesondere bei älteren Menschen kann die Antikörperantwort durch regelmässige Bewegung verbessert werden. Dieser Effekt ist unabhängig von Jahreszeiten. Aus sportmedizinischer Sicht wäre es darum fragwürdig, den Leuten im Winter exzessiveren Sport als im Sommer zu empfehlen.

Sport und Bewegung sind aber unerlässlich. Wissenschaftlich spannend wird in Zukunft die Frage sein, inwiefern die bakterielle Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, und deren Einfluss auf die körpereigenen Abwehrkräfte durch Sport beeinflusst werden kann. Im Magen-Darm-Trakt gibt es naturgemäss eine Vielzahl an Bakterien, welche in einem gewissen Gleichgewicht koexistieren und den Menschen gesund halten. Gesundheitssport scheint sich positiv auf die Balance und die Diversität dieser Darmbakterien auszuwirken. Diesbezüglich ist noch einiges an Forschung nötig, um genauere Aussagen machen zu können. Auch hier scheinen jedoch winterliche Temperaturen keinen relevanten Unterschied zu machen.

Wie gesund sind Saunagänge? Stärken abwechselnde Temperaturreize das Immunsystem?

Interessanterweise, ja. Die «Wechseldusche» aktiviert und trainiert das Gefässsystem. Bei längerer Anwendung kann sich das positiv auf das Immunsystem auswirken. Studien legen nahe, dass «Wechselduscher:innen» etwa zehn Prozent weniger Infekte der oberen Atemwege erleiden. Darüber hinaus scheint die Blutdruckregulation genauso davon zu profitieren. 

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