nicolas bürer für nicolas bürer ist digitalisierung ein mittel zum zweck
Digitalisierung Bildung Innovation Interview

Für Nicolas Bürer ist Digitalisierung ein Mittel zum Zweck

02.07.2019
von Moreno Oehninger

Ob man will oder nicht. Digitalisierung betrifft uns alle und ist privat sowie beruflich unausweichlich. Nicolas Bürer, Managing Director von digitalswitzerland sprach mit «Fokus Digitalisierung» über Smart Mobility, Blockchains und wie wichtig die 5G-Technologie für die Schweiz ist.

Nicolas Bürer, die Schweiz ist in Sachen Digitalisierung vorne mit dabei – ja oder nein?

Im Grossen und Ganzen sind wir gut bis sehr gut dabei. Bei gewissen Themen übernimmt die Schweiz ganz klar eine Vorreiterrolle. Beispielsweise ist sie bei zwei wichtigen internationalen Rankings an der Spitze: Beim Digital Competitivness Index von der IMD belegt die Schweiz den fünften Rang weltweit und beim allerwichtigsten Ranking, dem INSEAD Talent Competitivness Index, sind wir sogar die Nummer Eins – und das seit ungefähr fünf Jahren. Auch im Bereich der 5G-Technologie ist die Schweiz eines der schnellsten Länder momentan. Aber bei der E-ID oder der E-Participation hinken wir ganz klar hinterher. Da sind uns Länder wie Estland oder Dänemark ungefähr zehn Jahre voraus. 

Man liest beides: Die Digitalisierung schaffe mehr oder eben weniger Jobs. Was meinen Sie?

Beides ist richtig. Durch die Digitalisierung gehen Jobs verloren, werden automatisiert oder von Robotern übernommen. Man geht von ungefähr einer Million Jobs aus, die dadurch verloren gehen. Aber das Wichtigste ist, dass diese Jobs durch etwa 800 000 bis 1.2 Millionen neue Jobs mit komplett unterschiedlichen Jobprofilen ersetzt werden. Ein gutes Beispiel ist Emmi, die bereits eine Produktionslinie eines Joghurts komplett automatisiert hat. Aber Emmi stellt nach wie vor neue Arbeitskräfte ein – anstatt Laufbandarbeiter benötigen sie nun Software Engineers. Um diesen neuen Profilen gerecht zu werden, ist es essentiell, dass man sich weiterbildet. Insbesondere für Arbeitnehmende ab 40 Jahren kann dies sehr anspruchsvoll werden. Auch sie werden noch ungefähr 30 Jahre arbeitstätig bleiben und darum ist es essentiell, dass sie sich digital fit halten und weiterbilden, um den neu geschaffenen Jobprofilen gerecht zu werden. Ansonsten führt dies dazu, dass Jobs, die nicht hier besetzt werden können, ins Ausland ausgelagert werden.

Gemäss einer Studie der HWZ sind 85 Prozent der befragten KMU «digitale Dinosaurier». Nutzt der massgebende Teil der Schweizer Wirtschaft das Potenzial der Digitalisierung immer noch zu wenig?

Auch ich sehe hier Handlungsbedarf. Sehr viele grosse Unternehmen machen in Sachen Digitalisierung einen sehr guten Job. Sie besitzen aber auch die nötigen Ressourcen und qualifizierte IT-Talente. Bei KMU, die sich ausschliesslich auf ihr Kernbusiness fokussieren, ist die Digitalisierung eher ein notwendiges Übel – und das ist ein Fehler. Digitalisierung und Innovation im Allgemeinen dürfen nicht als Störfaktoren angesehen werden, sondern als Chance. Es muss «Top of mind» und in der Strategie der KMU verankert sein.

Digitalisierung und Innovation im Allgemeinen dürfen nicht als Störfaktoren angesehen werden

Wie können KMU das Potenzial besser ausschöpfen?

Eine richtiges Businessmodell sowie eine richtige Markt- und Technologieanalyse sind sicher wichtige Punkte. Aber wichtiger ist es, die richtigen Personen, welche das nötige Know-how und das entsprechende Mindset mitbringen, im Verwaltungsrat und im Management zu beschäftigen. KMU müssen eine klare Strategie entwickeln, die auf Digitalisierung und Innovation basiert. Hier helfen Neugier und ein offenes Mindset, indem man an Veranstaltungen oder Trainings geht und sich über die wichtigen Themen informiert. 

Wen betrifft die Digitalisierung am meisten?

Alle. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft ist in allen Bereichen von der Digitalisierung betroffen – in unserer Arbeit, aber auch als Konsumenten. Die Gesundheitsbranche, die Industriebranche, also das Manufacturing, sowie die Financial und Professional Services sind Industrien, die stark betroffen sind. Auch Handwerker, die eine rein analoge Leistung anbieten, profitieren von der Digitalisierung. Sie können ihre Prozesse davor oder danach – beispielsweise Offerten, Zahlungen, usw. – digitalisieren und dadurch optimieren. 

Was bedeutet der digitale Fortschritt für die Schulbildung?

Ich finde es unabdingbar und extrem relevant, dass wir in unser Schulsystem ein Fach namens «Computational Thinking» integrieren. Einmal pro Woche lernen Schülerinnen und Schüler die gesamte vernetzte Welt der Technologie und Innovation kennen und lernen, wie man Herausforderungen mit Hilfe von Computern und Algorithmen lösen kann. Die neuen Jobs werden für die meisten  mit Technologie zu tun haben. Darum ist es sehr wichtig, dass dieses Wissen in der obligatorischen Schulbildung erlernt wird.

Einfach erklärt: Was sind Blockchains?

Eine Blockchain ist wie ein dezentrales Netzwerk, das Werte und Daten transportiert. Es wird nicht von einer Zentralinstanz kontrolliert, sondern die Informationen werden auf Netzwerken und mehreren Servern verteilt. Dadurch sind Blockchains kaum manipulierbar. 

Wie kommt es, dass die Schweiz in der Blockchain-Entwicklung eine führende Rolle übernimmt?

Einige hervorragende Persönlichkeiten haben das Thema sehr schnell entdeckt und brachten die Schweiz dadurch in eine sehr gute Position. Dazu zählen verschiedene Vereine, Initiativen, Verbände, das Krypto-Valley und natürlich auch einige Glücksfälle – aber Glück kann man ja bekanntlich provozieren. Ein Beispiel von Glück ist, dass die Firma der zweitgrössten Kryptowährung ihren Hauptsitz in Zug hat. Heute profitieren wir von einem extrem grossen Ökosystem mit über 3 000 Arbeitnehmenden, die schweizweit mit Blockchain arbeiten – bei Grossunternehmen, aber auch bei Start-ups.  

Wie schätzen Sie das Potenzial dieser Technologie ein?

Zurzeit befinden wir uns im Krypto-Winter – man kann es sogar als Blockchain-Winter bezeichnen. Während der ersten drei Jahre gab es einen sehr grossen Hype. Dann stellte man fest, dass die Technologie viel zu langsam ist, zu wenig parallel und viel zu viel Energie konsumiert. Anders gesagt: Die erste Technologiewelle von Blockchain scheint nicht skalierbar zu sein. Der Blockchain-Winter wird so lange dauern, bis die nächste Technologiewelle kommt. Blockchain wird aber schätzungsweise nicht in allen Branchen eingesetzt werden können. Jedoch in Bereichen wie Supply-Chain, also der Wertschöpfungskette, aber auch im Transport und in der Finanzbranche wird Blockchain eine wichtige Rolle einnehmen. Auch ganz spannend wird die Entwicklung um den neuen Stablecoin «Libra», woraus der Vereinssitz in Genf angesiedelt worden ist und bis 100 weltweite Grossfirmen partizipieren werden. 

Zurzeit befinden wir uns im Krypto-Winter

Wie «smart» ist die Schweizer Mobilität bereits? 

Die Schweiz ist auf gutem Wege und möchte in den kommenden Jahren «Top of mind» im Bereich der Mobilität werden. Das zeigen die SBB mit der Absicht, den Hauptbahnhof Zürich zum digitalsten Bahnhof der Welt zu machen. Die Schweiz hat die Chance, dass sie ein kleines Land ist über eine hervorragende Telekom- und Mobilitätsinfrastruktur verfügt und dadurch in den kommenden Jahren auch im Bereich Smart Mobility eine Vorreiterrolle übernehmen kann. Was fehlt, ist vor allem die 5G-Technologie. Denn ohne 5G wird es keine smarte Mobilität geben. Die benötigten Verbindungen zwischen Autos, Sensoren, usw. kann nicht mit der 4G-Technologie funktionieren. Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass die Schweiz derzeit unter den zwei Ländern der Welt ist, mit Südkorea, die am schnellsten die 5G-Technologie im grössten Teil des Landes bis Ende 2019 installieren werden. 

Es werden im Zusammenhang mit der 5G-Technologie gesundheitliche Schäden  befürchtet. Sind diese Ängste gerechtfertigt?

Was wir bereits wissen, ist, dass 5G die gleiche Frequenz nutzt wie die aktuelle 4G-Technologie und auch die Stärke des Signals bleibt nach wie vor deutlich innerhalb der Schweizerischen und Europäischen Richtlinien. Einzig die Latenz wird auf einige wenige Millisekunden reduziert. Somit können Informationen schneller und auf mehr Geräte parallel übertragen werden. Aber es ist sehr wichtig, dass in den nächsten Jahren fundamentale wissenschaftliche Studien geführt werden. Man muss mit Sicherheit sagen können, ob und wie schädlich die 5G-Technologie für die Gesundheit ist. 

Würde die Schweiz ohne 5G auf der Strecke bleiben?

Ja, absolut! Es geht nicht mehr ohne. Es geht um neue Jobs und die Prosperität der Wirtschaft und eine digitale, smarte Zukunft. Die neuen Jobs kriegen wir nur durch Innovationskraft und durch die technologischen Fortschritte, die daraus folgen – wie beispielsweise 5G. Würde die Schweiz jetzt warten, wäre das fatal. Unsere Vorreiterrolle ginge verloren und die Jobs wären auch weg. 

Was sind die neusten Trends in der Smart Mobility?

«Mobility as a Service» oder kurz «MaaS» ist der aktuelle Trend. Die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Transportmitteln, Bahn, Flug, Auto aber auch der öffentliche Verkehr werden vernetzter und sind dadurch einfacher zu konsumieren. Mobilität wird zur Commodity und trotz dem Trend, dass junge Leute weniger Autos kaufen, werden dadurch in der Zukunft mehr Autos auf den Schweizer Strassen unterwegs sein.

Warum ist «Smart Mobility» notwendig?

Eine sehr gute Frage, vor allem auch im Bezug auf die Digitalisierung. Das fragte man sich auch, als vor 120 oder 130 Jahren das Automobil erfunden wurde. Viele sahen es sogar als Gefahr für die Fussgänger und heute können wir nicht mehr ohne. Die Erfindung war für die Gesellschaft wie auch für die Wirtschaft eine Entwicklung. Mit der Digitalisierung ist dies nicht anders. Smart Mobility, aber auch andere Themen wie Digital Health oder Smart Building sind zukunftsrelevant. Sie bringen der Gesellschaft einen höheren Komfort und schaffen vor allem neue Jobs. Um diese Jobs anbieten zu können, die mit der Digitalisierung und auch mit der Smart Mobility geschaffen werden, muss die Schweiz ein digitaler und innovativer Hub bleiben.

Bedeutet Smart Mobility einen Eingriff in unsere Privatsphäre?

Es stimmt, dass smarte Mobilität eine gewisse Transparenz sowie die Sammlung und Übermittlung von Daten und Werten erfordert. Dies ist aber kein Neuland und ich würde es auch nicht als Eingriff bezeichnen. Ein Beispiel ist Spotify. Aufgrund der gehörten Musik werden Künstler, Alben oder Songs empfohlen, die einem auch gefallen könnten. Von diesem Service könnte man nicht profitieren, wenn man nicht bereit wäre, dem System seine Daten zu geben. Auch der Trend zeigt, dass die Möglichkeit, durch gesammelte Daten die angebotenen Services zu optimieren, immer wichtiger wird. Ich finde es aber immens wichtig, dass dabei auch die einzelnen Stimmen der Schweizer Bevölkerung respektiert und beachtet werden. Das bedeutet, dass erstens ein gewisser Datenschutzmechanismus eingebaut wird, der sicherstellt, dass die gesammelten Daten anonym bleiben und zweitens, dass man es auch respektiert, falls man nicht bereit ist, seine Daten zu teilen.

Wo wünschen Sie sich noch mehr digitalen Fortschritt?

Im gesamten Energiesektor und im Umweltschutz. Wie gesagt sind Digitalisierung und Technologie nur ein Mittel zum Zweck. Ich würde sagen, sie ist sehr wahrscheinlich die Lösung für unsere ehrgeizigen Umweltschutzziele bis 2030 respektive bis 2050. Ohne Technologie und ohne technologischen Fortschritt werden diese unerreichbar sein.

Wie sieht die digitale, «smarte» Welt in 50 Jahren aus?

Ich bin Optimist. In 50 Jahren werden wir, denke ich, im All sein und das Universum entdecken – ob Roboter oder Mensch wird sich zeigen. Unsere Lebenserwartung ist deutlich länger, über 100 Jahre, und wir werden bestimmte Krankheiten nicht mehr haben. Das ist vielleicht ein wenig naiv von mir, aber ich glaube, dass wir durch die Digitalisierung und den kommenden technologischen Fortschritt viele Umweltprobleme gelöst haben werden. Der Komfort und die Services sind für uns aus heutiger Sicht noch unvorstellbar. Wichtig ist, dass wir uns mit und durch die Technologie weiterentwickeln und nicht ihr Sklave werden. Dann wird das Ganze smart.

Interview: Moreno Oehninger

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