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Machtmissbrauch der IT-Giganten

20.04.2022
von Elma Pusparajah

In der digitalen Zeit gewinnen IT-Unternehmen zunehmend an Macht und Grösse. Die Marktmacht gegenüber Konkurrenten, Lieferanten und Abnehmern regelt das Schweizer Kartellgesetz. Doch wann muss dieses eingreifen? 

Ein Unternehmen ist marktbeherrschend, wenn es unabhängig von anderen Markteilnehmern agieren kann, ohne die Befürchtung zu haben, seine Marktanteile zu verlieren. Eine marktbeherrschende Stellung innezuhaben, ist kartellrechtlich zulässig, jedoch kann diese auch missbraucht werden.

In solchen Situationen intervenieren die Wettbewerbsbehörden. Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf, Professor für Kartellrecht an der ZHAW und Rechtsanwalt bei Agon Partners, erläutert das Phänomen des Marktmachmissbrauchs: «Ein marktbeherrschendes Unternehmen hat gewisse Verhaltenspflichten gegenüber seinen Konkurrenten, Kunden und Zulieferern.

Diese dürfen nicht ohne rechtfertigende Gründe aus dem Markt gedrängt oder sonst benachteiligt werden. Der Gesetzgeber hat dies so eingeführt, um negative Auswirkungen solcher Verhaltensweisen auf den Wettbewerb zu verhindern.»

Bei der Beurteilung der klassischen Marktbeherrschung werden – vereinfacht ausgedrückt – vor allem die Marktanteile der Konkurrenten angeschaut. Das am 1. Januar 2022 neu eingeführte Konzept der relativen Marktmacht berücksichtigt dagegen das Kräfteverhältnis innerhalb einer Wertschöpfungskette. Dadurch wird das Kartellrecht nach dem Willen des Gesetzgebers den effektiv vorherrschenden Marktgegebenheiten gerechter, indem auf die individuellen Abhängigkeitsverhältnisse fokussiert wird.

Marktbeherrschung durch Schlupflöcher

Das Schweizer Kartellrecht regelt unter anderem das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens und verbietet die missbräuchliche Ausnutzung seiner Marktstellung. Bei einem Missbrauch könnte das stärkere Unternehmen seine Verhandlungsmacht ausnutzen und seinem Partner etwa unangemessene Preise oder Konditionen aufzwingen, ganz nach dem Motto «friss oder stirb». Wie bei jedem Gesetz existieren auch beim Kartellgesetz Schlupflöcher, daher wird dieses heute wieder revidiert.

Derzeit besteht in zunehmend digitalisierten Märkten das Risiko, dass der Wettbewerb nachhaltig beeinträchtigt wird. Dies geschieht, indem beispielsweise ein Autohersteller über eine Internetseite die Fahrzeuge selbst an die Endkunden verkauft und dabei bisherige Autohändler zu reinen Agenten macht. So kann ein Hersteller den Wettbewerbsdruck aus dem Ausland unterbinden, um z.B. einen höheren Endpreis in der Schweiz zu erzielen.

Die Wettbewerbskommission Weko ist für die Durchsetzung des Missbrauchsverbots in der Schweiz zuständig. Die Weko betreut 95 Prozent aller Fälle. Die restlichen fünf Prozent landen vor Gericht. Die eher geringe Zahl an Mitarbeitenden bei der Weko lässt nur die Bearbeitung einer beschränkten Anzahl der Anzeigen zu. Aufgrund dessen plant der Bundesrat mit der aktuellen Kartellgesetzrevision, den Zugang zu Gerichten zu erleichtern und dadurch mehr Kartellrechtsverstösse aufzugreifen.

Fallbeispiel der IT-Branche

Ein klassischer Fall einer missbräuchlichen Ausnutzung einer Marktmacht tritt auch auf, wenn ein Unternehmen den Bezug seines marktbeherrschenden Produktes mit der Nutzung weiterer Produkte koppelt oder wenn es den Preis ohne Gründe massiv erhöht.

In der IT-Branche ist ein Missbrauchspotenzial vorhanden, wenn ein IT-Gigant auf dem Markt nahezu keine Konkurrenz mehr antrifft, wie beispielsweise die GAFAM-Firmen. In solchen Fällen profitieren die Unternehmen davon, dass die Kundschaft nicht oder kaum auf Alternativen der Konkurrenz ausweichen kann. Hierbei handelt es sich in erster Linie um kartellrechtswidrige Kopplungsgeschäfte und unangemessene Lizenzgebühren.

Für den Schutz der KMU gegen eine Marktmacht existiert zwar ein wirksames kartellrechtliches Instrumentarium, doch ist es nicht immer ratsam, allein gegen solche IT-Giganten vorzugehen, da Retorsionsmassnahmen nicht ausgeschlossen werden können.

Erst wenn alle Bemühungen scheitern, kommt ein kartellrechtliches Verfahren in Frage.

Ein erfolgversprechender Schritt ist vielmehr, eine Interessengemeinschaft IG zu bilden, um die Anliegen einzelner Unternehmen zu vereinen. Dadurch kann die IG gezielter in Verhandlungen mit IT-Riesen treten. Ein weiterer Lösungsansatz ist es, einen Verband oder eine Stiftung wie die «KMU-Rechtsdurchsetzung» einzuschalten. 

KMU sind auf funktionierende Geschäftsbeziehungen angewiesen. Somit ist in einer Verhandlung zuerst der Bezug der essenziellen IT-Leistungen sicherzustellen. Erst wenn alle Bemühungen scheitern, kommt ein kartellrechtliches Verfahren in Frage. Für Anwält:innen kann es verhandlungstechnisch anspruchsvoll werden, die Interessen der KMU an einer funktionierenden IT sowie der Überprüfung des Verhaltens des IT-Unternehmens durch die Weko zu koordinieren.

Krauskopf erklärt weiter: «Bestehen Anhaltspunkte für ein kartellrechtlich relevantes Verfahren, wähle ich jeweils eine klassische Verhandlungsstrategie, welche darauf ausgerichtet ist, bestmöglich marktkonforme ‹commercial terms› auszuhandeln. Dies geschieht in einem Eskalationsmodus unter Einbezug aller Instrumente aus der Litigation-PR, welche auch Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit umfassen. Die Anzeige bei der Weko oder eine Klage vor Gericht ist dann meistens eine ultima ratio.»

Verstösse und Verfahren 

Wenn die Weko ein Verfahren eröffnet, kommen auf die Anzeigenden in der Regel keine weiteren Aufwände oder Kosten hinzu. Jedoch müssen sie die Anzeige mit genügend Informationen und Fakten belegen, so dass die Weko den Fall aufgreifen und weiterführen kann. Geht ein KMU hingegen zu einem Zivilgericht, können grosse Kostenrisiken anfallen. In solchen Fällen kann dann das KMU durch Crowdfunding die benötigten Mittel für den Prozess sammeln.

Wird der IT-Gigant bei einem Verfahren vor der Weko verurteilt, können erhebliche Sanktionen anfallen. Das Kartellgesetz sieht hohe Bussen vor: zehn Prozent des in den letzten drei Jahren erwirtschafteten Umsatzes in der Schweiz. Ausserdem kann die Weko während des Verfahrens anhand vorsorglicher Massnahmen dafür sorgen, dass das klagende KMU weiterhin mit den IT-Leistungen versorgt wird.

Während der Pandemie hat die Marktmacht von IT-Unternehmen zugenommen. In den letzten zwei Jahren kam es zu deutlich mehr Streitigkeiten gegen Preiserhöhungen und schlechteren Konditionen. Die Kunden sind in eine Abhängigkeit zu den IT-Giganten geraten, sodass sich sogenannte «Gefangenen-Systeme» (Locked-in Effekt) entwickelt haben. Das Ausmass der Verstösse dieser IT-Mächte gegen das Kartellgesetz wird sich erst in den nächsten zwei bis drei Jahren zeigen.

Text Elma Pusparajah

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