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Business Deutschland Recht

Heute schon die Lieferkette gecheckt?

21.03.2023
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Das am 1. Januar in Kraft getretene Sorgfaltspflichtengesetz, auch Lieferkettengesetz genannt, verpflichtet größere Unternehmen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland zur Einhaltung und Überwachung der Menschenrechte und des Umweltschutzes. Die verordnete Sorgfaltspflicht fordert Risikomanagement und Berichtswesen gleichermaßen.

Das Lieferkettengesetz ist vor allem eins: ein weiterer Anschlag auf das Abteilungsdenken von gestern. Denn wer sich nur um seine Kreise kümmert, könnte angesichts der eingeforderten Informationen und des dazu nötigen Verständnisses für einen umfassenden Schutz der Menschenrechte und der Umwelt bald nervös werden. Wie, um Himmels Willen, ist es in jeder nahen und fernen Ecke einer Firma um Menschlichkeit und Natur bestimmt?

Und vor allem: Wie können Unternehmen mit mindestens 3000 Mitarbeitenden nun sicherstellen, dass in jedem Glied einer Lieferkette soziale und ökologische Standards definiert, erfasst und im nächsten Schritt schnell verbessert werden? Expert:innen wissen längst: Das Lieferketten-Reporting kann wahrscheinlich gar nicht sicherstellen, dass überall zu jedem Zeitpunkt alles in Ordnung ist. Aber es bringt sämtliche Akteur:innen einer Firma dazu, sich regelmäßig über die Befindlichkeiten in den Verzweigungen Gedanken zu machen und entsprechende Aktionen einzuleiten.

Risiken erfassen, bewerten, abstellen

Die Möglichkeiten zu einer Planung der Berichterstattung und damit regelmäßigen Anpassung und Umsetzung des Lieferkettengesetzes hängen vor allem von der Installation eines speziellen Risikomanagements ab. Letzteres muss Risiken lokalisieren, bewerten und priorisieren. Der nächste Schritt besteht dann in einer veröffentlichten Grundsatzerklärung und einer für alle Mitarbeitenden zugänglichen Beschwerdestelle. Wichtig hierbei: Es müssen eben auch indirekte Zulieferer diesen Zugang bekommen, die bis dato für viele Unternehmen praktisch unsichtbar waren. 

Der Gesetzgeber ist überzeugt davon, mit dem Gesetz im Sinne der Unternehmen zu handeln, denn »durch Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten (…) soll auch den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden. Die angemessene Weise eines Handelns, das den Sorgfaltspflichten genügt, bestimmt sich jeweils nach unternehmensspezifischen Kriterien.« Dass der Gesetzgeber mit dem letzten Satz bewusst klarmacht, dass es kein Patentrezept gebe, muss nicht als Schwäche ausgelegt werden. Im Gegenteil. Es kann auch als Vertrauensbeweis in eine moderne Unternehmensführung interpretiert werden. Während die ersten neuinstallierten Risikomanager:innen vor allem auf »Wie«- und »Wieviel«-Fragen setzen, um unfaire Löhne, dreisten Landraub, Kinderarbeit oder die Verhinderung von Gewerkschaftsgründungen aufzuspüren, werden gleichzeitig praktikable Berichtstrukturen erarbeitet, die möglichst genau diese ersten Schritte dokumentieren sollen. Der Gesetzgeber mahnt als Summe aller Aktivitäten nämlich eine klare Berichterstattung an, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz BAFA, eingesehen und bewertet werden kann und soll. Das BAFA, so das Gesetz, sei mit Eingriffsbefugnissen ausgestattet und könne Zwangs- und Bußgelder verhängen.

Wettbewerbsnachteil oder Chance?

Die angedrohten »behördlichen Durchsetzungsmechanismen« mit »Eingriffsbefugnissen« bestehen auch darin, gewisse Unternehmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen. Das kann vor allem ab 2024 weiterreichende Folgen haben, wenn auch Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden ihre Lieferketten untersuchen und dokumentieren müssen.

Führt das alles nur zu mehr Bürokratie und weniger Attraktivität am Industriestandort Deutschland? Man tut gut daran, hier etwas weiter zu blicken. Im nächsten Schritt soll das Sorgfaltspflichtengesetz nämlich an eine »künftige europäische Regelung angepasst werden mit dem Ziel, Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu verhindern«. Und ganz sicher kann das Lieferkettengesetz auch als Werbung fürs jeweilige Unternehmen wirken, das sich ernsthaft einer Verbesserung der Arbeits- und Wirkungsbedingungen widmet. Vor Ort in Deutschland, aber auch in weit entfernten Ländern, wo sich mit fairen wechselseitigen Geschäftsbeziehungen sicher leichter verlässliche Handelsnetzwerke aufbauen lassen. Eine »Care and stay«- statt »Hire and fire«-Politik kann besonders auch in turbulenten Zeiten, hier wie dort, Verbindungen und Unternehmen festigen.

Keine Frage: Das Lieferkettenschutzgesetz ist eine erzieherische Maßnahme, die dort andockt, wo Mitarbeitende zum Beispiel wöchentlich Berichte an die Abteilungsleitung verfassen. Man macht es vielleicht nicht gerne, erkennt jedoch über die Wochen und Monate den Sinn. Regelmäßig zu reflektieren, führt nicht selten zu einer Verbesserung der eigenen Tätigkeit oder des eigenen Lebens oder des Lebens anderer. Von daher ist das Lieferkettengesetz auch ein Lernprozess zugunsten einer empathischen Unternehmensführung.

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