mediation, konfliktlösung
Editorial Recht

Konflikte gehören dazu

04.11.2021
von SMA
Franziska Müller Tiberini, Präsidentin Schweizerischer Dachverband Mediation SDM

Franziska Müller Tiberini,
Präsidentin Schweizerischer
Dachverband Mediation SDM

Wenn ich eine Unternehmerfamilie in ihrem Nachfolgeprozess begleite, stelle ich zu Beginn oft die Frage: Wo stehen Sie auf einer Skala von 1 bis 10? 1 heisst, es ist «alles in Butter», 10 bedeutet «ich schmeiss den Bettel hin». Auf diese Frage antwortete mir kürzlich eine Mutter: «3 – wir sind uns nicht immer einig, aber es läuft gut», der Sohn jedoch sagte: «Für mich ist es eher eine 5 bis 6. Es hat schon mehrmals richtig gekracht!». Ob ein Konflikt als harmlos empfunden wird, oder sich bereits bedrohlich anfühlt, empfindet jeder Mensch anders. Das sind die Vorboten oder Warnzeichen, die Klärung brauchen.

Konflikte zu haben, ist normal. Konflikte begleiten uns im Kleinen wie Grossen. Zuhause, in der Familie, in der Partnerschaft, am Arbeitsplatz, mit den Nachbarn oder den Geschäftspartnern. Konflikte können uns in Wechselbad von Gefühlen werfen: Sie strapazieren unsere Nerven, lösen Empörung oder Wut aus. Manche reagieren laut, andere werden leise – und ziehen sich zurück. 

Konflikte entstehen, wenn unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse aufeinandertreffen, und beide Parteien nicht nur auf ihrem jeweiligen Standpunkt verharren, sondern gar davon überzeugt sind, dass ihre Sichtweise, die einzig richtige ist. Wenn die Flexibilität fehlt aufeinander zuzugehen, gerät man bald in eine Sackgasse. 

Der Weg aus der Sackgasse ist die Kommunikation. Zuhören, sicherstellen, dass man sein Vis-à-Vis richtig verstanden hat, sich mit einer offenen Haltung begegnen und die Bereitschaft, die verschiedenen Positionen auszuhandeln. Damit in der Zukunft ein Miteinander – oder zumindest ein Nebeneinander – möglich ist.  Die Erkenntnis, dass man sehr wohl unterschiedliche Bedürfnisse und Sichtweisen haben darf, ist meist der erste Schritt zu einer Lösung. Dafür braucht es Respekt vor dem Anderssein des anderen. 

Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl beschreibt in seinem bekannten Eskalationsmodell drei Hauptphasen eines Konfliktes. In der ersten Phase stehen die beiden Konfliktparteien in Kommunikation miteinander – beide Parteien können als Gewinner aus dem Konflikt gehen. In der zweiten Phase verschärft sich der Konflikt: Denunziationen, Gesichtsverlust und Drohungen prägen diese Stufe. Eine der Parteien wird den Konflikt verlieren. Die letzte Phase ist eine Lose-lose-Situation. Der Drang, den Gegner besiegen zu wollen, kann die Konfliktparteien bis in die eigene Vernichtung treiben.  

Manchmal gelangen zwei Parteien über den Punkt hinaus, wo sie noch miteinander reden können. Die Verstrickung von Sachthemen, emotionaler Verhärtung und Geldfragen, sind meist jene Elemente, die einen komplexen Streit ausmachen. Bei Familienunternehmen erlebe ich diese Situation immer wieder. Der Sohn, der das Familienunternehmen im Tagesgeschäft führt, plant grössere Investitionen. Die Mutter, in der Rolle als Präsidentin des Verwaltungsrates, findet dies zu riskant und blockiert die Erweiterung in eine neue Technologie. Für die Argumente ihres Sohnes hat sie kein Gehör. Die Positionen verhärten sich. Der Konflikt eskaliert. 

Eine der Möglichkeiten einen komplexen Konflikt zu lösen, ist, dass ein Jurist oder eine Anwältin hinzugezogen wird. Eine andere ist die Mediation, die ich empfehle. Warum? Eine Mediation ist ein Prozess, der die Verantwortung der Lösungsfindung bei den Parteien belässt. Das Resultat einer erfolgreichen Mediation geht über eine Schlichtung hinaus. Wer an einer Mediation teilnimmt, geht verändert aus dem Prozess. In Familienunternehmen, wo man sich nicht nur an der Geschäftsleitungssitzung oder im Verwaltungsrat trifft, sondern auch beim sonntäglichen Brunch, ist man darauf angewiesen, sich auch nach einem Konflikt respektvoll begegnen zu können.

In einem solchen mediativen Prozess hat der Sohn entschieden, das familiengeführte Unternehmen zu verlassen. Trotz diesem Bruch ist es Mutter und Sohn gelungen, als Familie verbunden zu bleiben. 

Ein Konflikt ist nicht immer zu vermeiden – ihn jedoch zu lösen ist Arbeit, und meist ein Gewinn auf der Beziehungsebene. Auch dann, wenn man sich in einer Nachfolgelösung dafür entscheidet, sich vom Unternehmen zu trennen und geschäftlich eigene Wege zu gehen. Als Familie bleiben wir für die Zukunft in Freundschaft als Gemeinschaft verbunden. 

Text Franziska Müller Tiberini, Präsidentin Schweizerischer, Dachverband Mediation SDM

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