«Wie geht Mannsein heute?», «Wie wird man ein ‹richtiger› Mann?», «Mann oh Mann»: Fast täglich thematisiert eine Doku, ein Talk oder ein neues Buch die Frage, was Männlichkeit heute bedeutet, woran Männer gemessen werden, wie sie zu sein haben und nicht zuletzt: Wie es Männern heute geht. Es ist offensichtlich eine intensive Suche im Gang, die herkömmliche Idealbilder hinterfragt, ohne dass neue bereits verfügbar wären. Dieses Orientierungsvakuum ist für viele Männer schwierig.
Gut belegt ist doch: Auch wenn diese Suche viele kalt lässt und von einigen auch als Zumutung erlebt wird, so birgt sie doch für uns Männer das Potenzial, mehr Freiheit, Zufriedenheit und Gesundheit zu verwirklichen – seelisch und körperlich.
Denn bei allen Unterschieden, die zu betonen im Namen der Vielfalt auch männlicher Lebensformen unbedingt wichtig ist, verbindet Männer eines nach wie vor: Es fällt ihnen schwer, sorgsam mit sich selbst umzugehen. Das schlägt sich auch statistisch nieder. Männer sterben in der Schweiz im Durchschnitt vier Jahre früher als Frauen, gehen seltener und später zum Arzt, ernähren sich ungesünder und pflegen Freundschaften weniger aufmerksam, als es Frauen im statistischen Mittel tun.
Die Sorge um die eigene Gesundheit bringt nicht nur Vorteile für den einzelnen Mann mit sich, sondern kommt auch der Gesellschaft als Ganzes zugute.
Dabei ist hinlänglich bekannt, dass die noch immer verbreitete Erwartung, als Mann stets stark sein zu müssen und seine Emotionen im Griff zu haben, nicht nur mit gesundheitlichen Nachteilen, sondern für viele auch mit grossem Druck einhergeht. Denn die klassisch männlichen Strukturen – die wir politisch gerne unter dem Begriff des Patriarchats zusammenfassen – nötigen auch vielen Männern eine Lebensweise auf, die nicht nur ihrem Wohlbefinden, sondern vor allem ihren Wünschen zuwiderläuft. Fügt sich diesem Druck nun auch noch die legitime Erwartung an Männer hinzu, die eigene Männlichkeit zu hinterfragen, sich mit scheinbar selbstverständlichen Privilegien auseinanderzusetzen und allgemein mehr Verantwortung über die klassische Ernährerrolle hinaus zu übernehmen, so wird es manchen zu viel. Sie fühlen sich nicht gesehen in ihren Beiträgen für Familie und Gesellschaft und abgewertet dafür, dass sie sich so verhalten, wie man es ihnen seit Jahrzehnten beigebracht hat.
Deshalb sind wir bei männer.ch, dem Dachverband der progressiven Männer- und Väterorganisationen der Schweiz, der Überzeugung: Die Sorge um die eigene Gesundheit bringt nicht nur Vorteile für den einzelnen Mann mit sich, sondern kommt auch der Gesellschaft als Ganzes zugute. Sie ist ein wichtiges Element in der Gestaltung gerechter Geschlechterverhältnisse. Denn ein Mann, der sich um sich selbst kümmert, bricht mit dem traditionellen Bild des «starken Mannes», der keinen Schmerz kennt und ohne Hilfe auskommt. Die Sorge um die eigene Gesundheit zeigt, dass Verletzlichkeit und Fürsorge auch männliche Eigenschaften sind. Sie sollen gelebt werden (dürfen).
Männergesundheit als zentrales Thema zu behandeln, fördert somit eine Kultur, die Männer ermutigt, Verantwortung für ihr eigenes Wohlbefinden zu übernehmen. Das schafft zugleich Platz und Aufmerksamkeit für fürsorgliches Handeln zugunsten von anderen. Und es rüttelt gleichzeitig gewaltig an einengenden Geschlechterstereotypen. Insofern liegt in der Frage «Mann, wie geht es Dir?» ein grosses Veränderungspotenzial. Wagen wir es, sie regelmässig und ernsthaft zu stellen – uns selbst und unserem Umfeld.
Text Jean-Daniel Strub, Präsident männer.ch
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