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Winter

Einzigartige Brauchtümer der Schweiz

27.11.2021
von Severin Beerli

Ob Tschäggättä, Chalandamarz oder Silvesterklausen: Die Schweiz birgt zahlreiche Brauchtümer. Über 199 zählt die Liste der «Lebendigen Traditionen Schweiz». «Fokus» wagt den Versuch, einige davon zu erklären.

Auf den Spuren eines Kinderbuchs

Wer kennt sie nicht, die Geschichte des Bündner Dorfknaben Schellen-Ursli. Der sich auf den gefährlichen Weg macht, die grosse Glocke im Maiensäss zu holen. Im Mittelpunkt der Geschichte ist eine alte Bündner Tradition: «Chalandamarz».

Das bezeichnet in der rätoromanischen Sprache den Beginn des Märzmonats. Mit Glocken wird der Winter ausgeläutet und der Frühlingsbeginn gefeiert. Dabei ziehen Schulkinder in Bauernblusen, Zipfelmützen und Trachten am frühen Morgen mit Glocken und Peitschen von Haus zu Haus. Währenddessen werden Chalandamarz-Lieder gesungen sowie Geld für die Schulreise und Essen für das gemeinsame Mahl gesammelt.

 Jedes Dorf hat ein eigenes Chalandamarz

Der Brauch unterscheidet sich dabei von Dorf zu Dorf: «In einigen Dörfern, beispielsweise in Zuoz oder Samedan, nehmen traditionsgemäss nur die Knaben am Umzug teil», sagt Luzi Bürkli, Mediensprecher von Graubünden Ferien. Die Knaben ziehen dabei am Chalandamarz als Hirten durch das Dorf, während die Mädchen das Abendessen mit anschliessendem Ball vorbereiten. Auch Feuer ist zum Frühlingsbeginn ein Mittel um den Winter zu vertreiben: «In Poschiavo werden am ‹Pupoc da Marz› von den Schülerinnen und Schülern hergestellte, grosse Puppen nach einem Umzug verbrannt», so Bürkli.

Chalandamarz ist eine Tradition, die auch bei Familien beliebt ist. Wunderbar lässt sich der Brauch im Bergdorf Guarda erleben, dort steht auch das Haus, das Schellen-Ursli-Illustrator Alois Carigiet für seine Zeichnungen Inspiration lieferte.

Tschäggättä im Wallis

Im Wallis leben viele Dörfer und Täler ihre ganz eigenen Brauchtümer: «Spektakel ist garantiert, wenn «Tschäggättä» und andere Gestalten durch die Gassen ziehen, um den Winter oder böse Geister zu vertreiben», sagt Laude-Camille Chanton, Kommunikationsverantwortliche von Valais/Wallis Promotion. Tschäggättä ist ein Lötschentaler Brauch. Dabei entstehen einzigartige Kostüme und furchteinflössende, liebevoll gefertigte Masken. Über den Ursprung ranken sich zahlreiche Legenden und Theorien. Chanton erklärt: «Eine der am häufigsten genannten Ursprungslegenden der Tschäggättä ist die Sage von den Schurten-Dieben. Diese wohnten früher in den Wäldern auf der Schattenseite des Tales. Es waren kleine, aber gedrungene Männer, die in der Nacht auf Raub und Diebstahl auszogen.» Diese Schurten-Diebe sollen ein Männerbund gewesen sein, in ähnlicher Kostümierung, wie die Tschäggättä.

Traditionen verändern sich

Die verkleideten Tschäggättä treten zwischen Maria Lichtmess und dem Dienstag vor dem Aschermittwoch auf und jagen allen einen Schrecken ein, die sich auf den Gassen bewegen: «Wer sich früher den maskierten Burschen nicht rechtzeitig zu entziehen vermochte, riskierte, in den Schnee gedrückt und mit Russ geschwärzt zu werden. Heute wird dies nicht mehr angewandt. Auch verstecken sich unter den Masken nicht mehr – wie früher üblich – nur ledige Jungmänner, sondern auch Frauen, Kinder und verheiratete Männer.»

Mit Tierverkleidung und Jutesäcken: Tradition in Evolène

Neben Tschäggättä findet ein weiterer wichtiger Walliser Brauch im Dorf Evolène statt: «Peluches & Empaillés». Jugendliche laufen dabei am Dreikönigstag, dem Evolèner Fasnachtsstart, mit grossen Kuhglocken durchs Dorf. Danach folgen die «Peluches» in Kostümen seltsamer Tierwesen. «Alleine oder einem Anführer folgend, ziehen sie mit ihren Glocken durch das Dorf und lehren den Passanten das Fürchten. In der Fasnachtswoche gesellen sich dann die sogenannten «Empaillés» zu den «Peluches» und ziehen verkleidet mit Jutesäcken, die mit Stroh gefüllt, sind und Reisbesen durchs Dorf. Mit dem Anzünden des «Poutratse» am Fetten Dienstag wird dann das Ende der Fasnachtszeit und der Beginn des Frühlings eingeläutet», erklärt Chanton. 

Zwei Mal Silvester im Appenzell

Einer der bekanntesten Bräuche im Appenzell ist sicherlich das Silvesterklausen. Hierbei wird gleich zweimal Silvester gefeiert. Das erste Mal am 31. Dezember und das zweite Mal nach dem julianischen Kalender am 13. Januar. An beiden Tagen sind die Silvesterkläuse unterwegs. Davon gibt es drei Gruppen: «Die Schöne, die Wüeschte und die Schö-Wüeschte.» Die Schönen tragen liebevoll gefertigte Kopfbedeckungen und Gewänder, die Wüsten und die Schön-Wüsten kunstvolle Kostüme aus Naturmaterialien und wilde Hüte und Masken.

Von früh bis spät wird in sogenannten Schuppel (Gruppe aus sechs bis zehn Kläusen) von Haus zu Haus spaziert und jeweils den Bewohnenden der Häuser mit «Zäuerli», einem Appenzeller Naturjodel, ein gutes neues Jahr gewünscht. Genau diese «Zäuerli» machen das Silvesterklausen auch zu etwas Berührendem: «Ich sehe oft Menschen, auch solche, die mit der Tradition nichts zu tun haben, wie sie zuhören und dann zu Tränen gerührt sind. Man erlebt wirklich viel beim Silvesterklausen», sagt Walter Frick, aktiver Silvesterklaus Kurator des Brauchtumsmuseum Urnäsch.

Mit dem Baumstamm unterwegs

Eine andere Tradition aus dem Appenzell ist das alle zwei Jahre stattfindende Urnäscher Bloch. Ein geschmückter Baumstamm samt qualmenden Ofen wird mit Wappen versehen und von paarweise nebeneinander gehenden Männern durch die Appenzeller Dörfer gezogen. Währenddessen knallt der Fuhrmann mit der Peitsche und ein Schmied hämmert auf den ebenfalls auf dem Baumstamm befestigten Amboss ein. Herolde und ein verkleideter Bär unterhalten die Schaulustigen und «Kässelibuben» sammeln Geld für den nächsten Blochumzug. Nicht unerwähnt bleiben darf die Alpfahrt, wo jeweils die Bauern und Bäuerinnen ihr geschmücktes Vieh feierlich auf die Alp führen. Walter Frick: «Morgens um fünf wird man von den Schellen und dem Gesang der Sennen geweckt, welche aus der Ferne in der Morgenruhe zu hören sind. Das ist der Wahnsinn, so eine schöne Zeit.»

Bild Andrea Badrutt, Chur

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